"Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor"
Kunstmuseum Wolfsburg
24.4. bis 11.9.2016
Von der Autostadt zur Event-City
Wolfsburg, das ist mehr als Volkswagen: Hier ließ man berühmte Architekten bauen und sah sich als Event-City. Die Geschichte der Stadt wird in einer neuen Ausstellung im Kunstmuseum präsentiert. Sie zeige Deutschland im Brennglas, sagt Direktor Ralf Beil.
Rund 4500 Quadratmeter für die Geschichte und Kunst einer Stadt: "Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor" heißt eine neue Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg. Es ist die erste Schau, die Ralf Beil, seit 2015 Direktor dieser Institution, entwickelt hat.
Ralf Beil beschrieb im Deutschlandradio Kultur das Konzept der Ausstellung. Sie betrachte Wolfsburg als Sonderfall, der aber trotzdem in gewisser Hinsicht exemplarisch für Deutschland sei:
"Wolfsburg, diese Hauptstadt von Volkswagen, da bündelt sich für mich wirklich Deutschland wie im Brennglas. 'Weltlabor', das ist die Globalisierung und alles, was wir nach dem Krieg erleben, mit dem VW-Käfer und seinem Siegeszug. Aber es ist auf jeden Fall eine exemplarische Stadt für Deutschland: Die tiefe Provinz und der Landadel, das sind Kontinuitäten, die immer noch prägend sind."
"Wolfsburg, diese Hauptstadt von Volkswagen, da bündelt sich für mich wirklich Deutschland wie im Brennglas. 'Weltlabor', das ist die Globalisierung und alles, was wir nach dem Krieg erleben, mit dem VW-Käfer und seinem Siegeszug. Aber es ist auf jeden Fall eine exemplarische Stadt für Deutschland: Die tiefe Provinz und der Landadel, das sind Kontinuitäten, die immer noch prägend sind."
"Eine Musterstadt des Wirtschaftswunders"
Will die Ausstellung auch das Image der Stadt Wolfsburg verändern? Ihm gehe es auch darum, der Region wieder ihre Geschichte zurück zu geben, sagte Beil:
"Diese Stadt ist wirklich ein Modell. Sie war unseligerweise eine Modellstadt des Nationalsozialismus. Es war aber auch eine Musterstadt des Wirtschaftswunders. Nirgendwo hat man so früh angefangen mit Autos und Kühlschränken. Die sechziger Jahre waren sicher die Zeit, wo Wolfsburg am Besten funktioniert hat."
Das Publikum könne sich auf eine faszinierende Reise durch eine wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, meinte Beil:
"Hier in Wolfsburg sind eigentlich ganz wesentliche Punkte entstanden. Bis hin zur Event-City, den Bestrebungen von ganz vielen Städten, etwas für Besucher zu tun, für den Tourismus. Und große Gebäude zu machen wie das 'Phaeno' von Zaha Hadid oder die Autostadt in Wolfsburg. Das sind Facetten, die mich dazu führen zu sagen: Es ist wirklich eine Stadt wie Deutschland."
"Diese Stadt ist wirklich ein Modell. Sie war unseligerweise eine Modellstadt des Nationalsozialismus. Es war aber auch eine Musterstadt des Wirtschaftswunders. Nirgendwo hat man so früh angefangen mit Autos und Kühlschränken. Die sechziger Jahre waren sicher die Zeit, wo Wolfsburg am Besten funktioniert hat."
Das Publikum könne sich auf eine faszinierende Reise durch eine wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, meinte Beil:
"Hier in Wolfsburg sind eigentlich ganz wesentliche Punkte entstanden. Bis hin zur Event-City, den Bestrebungen von ganz vielen Städten, etwas für Besucher zu tun, für den Tourismus. Und große Gebäude zu machen wie das 'Phaeno' von Zaha Hadid oder die Autostadt in Wolfsburg. Das sind Facetten, die mich dazu führen zu sagen: Es ist wirklich eine Stadt wie Deutschland."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Anfang des 14. Jahrhunderts gab es noch keine Autos. Und ich glaube, deshalb können sich die meisten wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass die Geschichte von Wolfsburg mindestens bis dahin zurückreicht, ich habe es auch nicht gewusst. Aber man kann ja Dinge nachlesen. 1302 wird Wolfsburg das erste Mal erwähnt als Adelssitz derer von Bartensleben. Nun muss man zugeben, es hat dann schon noch einige Jahrhunderte gedauert, bis Wolfsburg so bedeutend und weltweit bekannt wurde wie heute. Aber wenn man eine Stadt auf 4.500 Quadratmetern mit allen Mitteln der Kunst vorstellt, dann ist ja eigentlich für alles Platz, nicht nur für die letzten 70 Jahre. Die Ausstellung "Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor" ist die größte, die es im Kunstmuseum Wolfsburg je gegeben hat, und die erste des dort noch relativ neuen Direktors Ralf Beil. Schönen guten Morgen, Herr Beil!
Ralf Beil: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ist denn tatsächlich auf diesen 4.500 Quadratmetern auch Platz für die Familie von Bartensleben?
Beil: Ja, es gibt eine Hall of Fame in dieser Ausstellung. Es beginnt eigentlich alles damit, mit diesem Museum von Wolfsburg, einem Museum im Museum. Und da ist nicht nur Platz für die Familie von Bartensleben, für vor allem die erste Frau, die das Ganze dort geworfen hat, die also wirklich alles zusammengeführt hat – auch das eine Besonderheit, dass hier wirklich auch eine Frau am Beginn dieser von der Schulenburg-Wolfsburgs steht tatsächlich –, sondern es geht noch viel weiter zurück.
Das erste Fahrzeug war ein Einbaum
Man muss wirklich auch sagen: Das erste Fahrzeug in Wolfsburg war natürlich kein Automobil, sondern es war ein Einbaum. Wir denken ja meistens an Papua-Neuguinea oder andere entfernte Weltgegenden, wenn wir so etwas hören, Einbaum. Aber es gab eben oder es gibt immer noch das Urstromtal der Aller im Territorium von Wolfsburg, und da sind eben Jäger und Fischer vor 3.600 Jahren unterwegs gewesen. Und für mich war das ein ganz besonders faszinierender Moment, den ich dann auch ans Publikum weitergeben wollte, tatsächlich diesen Einbaum in der Hall of Fame ganz am Anfang zu zeigen.
Kassel: Aber wann wurde denn Wolfsburg für Sie zum Weltlabor? Vermutlich auch nicht erst 1938, oder doch?
Beil: Weltlabor beginnt schon früher, beziehungsweise das Exemplarische. Ich gehe ja noch mal genauer zurück: Wolfsburg, diese Stadt von Volkswagen, diese Hauptstadt von Volkswagen, da bündelt sich für mich wirklich Deutschland wie im Brennglas vor allem.
Weltlabor, das ist dann tatsächlich nachher die Globalisierung und alles, was wir nach dem Krieg erleben mit dem VW-Käfer und seinem Siegeszug. Aber es ist auf jeden Fall eine exemplarische Stadt für Deutschland, weil eben diese tiefe Provinz und der Landadel (da sind). Ich habe noch nie so viele Adlige kennengelernt in den letzten Monaten, also wie in den letzten Monaten in Wolfsburg. Das ist tatsächlich etwas, was immer noch prägend ist, die Kontinuitäten sind auch ganz wesentlich, und gleichzeitig ist es etwas, was glaube ich Deutschland viel mehr ausgemacht hat über weite, weite Zeit als eben vielleicht eine Stadt wie Berlin, die dann irgendwann mal Hauptstadt wurde. Also, das heißt, ich setze eigentlich so an, dass ich sage: Wolfsburg ist ein Sonderfall, aber eben gerade deshalb exemplarisch für Deutschland.
Die glorreichen sechziger Jahre
Kassel: Aber große Fabriken und Wohnungen für die, die darin arbeiten, das ist ja heute trotzdem für viele Menschen, die es nur vom Durchfahren kennen, wirklich das Bild, das sie von Wolfsburg haben. Wollen Sie denn mit dieser Ausstellung auch das Image verändern dieser Stadt?
Beil: Es geht mir natürlich darum, einerseits die Geschichte der Region wieder zurückzugeben. Denn wie Sie das sagen: Es gibt eine ungeheure Verengung, und gleichzeitig natürlich auch sehr genau hinzuschauen, was das mit dieser Stadt ist. Und diese Stadt ist wirklich ein Modell. Es war unseligerweise eine Modellstadt des Nationalsozialismus, es war aber auch eine Musterstadt des Wirtschaftswunders. Nirgendwo hat man so früh angefangen mit Autos und Kühlschränken, und wenn Sie die Architektur sehen mit dem Alvar-Aalto-Kulturzentrum und so weiter, war das wirklich die Zeit, wo Wolfsburg sicherlich auch mit am besten funktioniert hat, die 60er-Jahre.
Aber es geht auch weiter. Die Globalisierungskrisen, die uns in den 90er-Jahren heimgesucht haben, denken Sie an Hartz, Peter Hartz, der Personalvorstand von VW war, erst mal die Probleme für Wolfsburg gelöst hat und dann die Probleme für Berlin und Deutschland gelöst hat. Das sind eben für mich diese faszinierenden Linien. Einfach zu sehen und zu entdecken und das Publikum dann auch mitzunehmen, zu sagen: Hier in Wolfsburg sind eigentlich ganz wesentliche Punkte entstanden bis hin zur Event-City, den Bestrebungen von ganz vielen Städten natürlich, etwas für Besucher zu tun, Tourismus, große Gebäude zu machen so wie eben das Phaeno von Zaha Hadid oder die Autostadt ab 2000, eben auch hier in Wolfsburg.
Das sind alles verschiedene Punkte, Facetten, die eigentlich mich dazu führen zu sagen, es ist wirklich eine Stadt wie Deutschland: Wirtschaft und Politik, die Vernetzung, die enge, intime Beziehung, die auch nicht immer nur positiv ist. All das lässt sich hier viel besser ablesen in Wolfsburg, weil wir hier keine Kathedralen haben, vielleicht auch keine so ausgeprägte Bürgergesellschaft wie in Frankfurt oder anderen Städten, sondern tatsächlich einfach die vier Schornsteine von VW, und vielleicht dort Strukturen von Deutschland viel stärker kenntlich werden.
Nachbild eines nächtlichen Containerhafens im Museum
Kassel: Nun findet diese Ausstellung ja in einem Kunstmuseum statt. Das klingt jetzt bei uns beiden, finde ich, fast ein bisschen so, als sei das eine historische Ausstellung, was sie unter anderem natürlich ist. Aber mit welchen künstlerischen Mitteln – vielleicht an ein paar Beispielen – setzen Sie das denn um?
Beil: Völlig richtig. Die Zugänge sind sehr, sehr unterschiedlich. Und es ist eigentlich nur ein ganz kleiner Teil, der sozusagen dann kuratorisch das beleuchtet. Denn wir haben viel mehr Großprojekte wie zum Beispiel das von Julian Rosefeldt, "Midwest", das ist tatsächlich, wenn Sie aus der Hall of Fame, diesem Museum herausgehen, stolpern Sie in einen nächtlichen Containerhafen. Es sind drei Container hochgestapelt, wir haben 40 Container dort aufgebaut in dieser riesigen Halle, die wir im Kunstmuseum einzigartigerweise haben, auf 1.600 Quadratmeter bis 16 Meter Höhe. Und Sie haben wirklich das Licht, die Grillen zirpen, Sie riechen das Gras und den Teer, wir haben Beton gegossen in diese große Halle,.
Sie kommen in ein Autokino, ein Restaurant, ein Diner leuchtet "Midwest" mit Glühbirnen. Un d Sie sehen einen Film von Julian Rosefeldt, wo es sich um Koffertausche dreht, um Autos, die nicht richtig vorankommen, eine Persiflage, wenn sie so wollen, eines Actionthrillers, der aber auch wieder sehr, sehr viel mit globalen Waren- und Finanzströmen zu tun hat, genauso wie natürlich der Containerhafen.
Denn Container, das ist ja die Insignie, die materielle Insignie wirklich des globalen Welthandels per se. Und das ist auch das Spannende, weil, ich wollte auch mal sichtbar machen, was hier in Wolfsburg eben größtenteils unsichtbar bleibt, die Energie sozusagen des Globalen.
"Wir arbeiten inhaltlich unabhängig"
Kassel: Wir nehmen das mit sichtbar und unsichtbar noch mal auf, um auf was zurückzukommen, was Sie vor ein, zwei Minuten schon gesagt haben, da haben Sie auch angesprochen, dass Wolfsburg auch zum Teil beispielhaft steht für die Verstrickung von Wirtschaft und Politik, ihre nicht immer positiven Auswirkungen. Nun ist natürlich das Kunstmuseum Wolfsburg auch ziemlich abhängig von VW, wird vom VW-Konzern ja unterschiedlich finanziert, hat diese Ausstellung auch gesponsert. Können Sie denn gerade über den Volkswagen-Konzern hier völlig unabhängig berichten?
Beil: Ja, es ist ein Irrtum. Manche dann auch bei der Abgaskrise, als wir Ausstellungseröffnung hatten, haben dann geschrieben: das Volkswagen-Museum. Es gibt die Autostadt, es gibt ein Automuseum, Volkswagen hat genügend eigene Museen. Wir haben eine Trägerschaft unabhängig, eine Holler-Stiftung.
Und deshalb: Wir werden gefördert von Volkswagen Financial Services und vielem anderem mehr. Aber wir sind unabhängig inhaltlich und können tatsächlich einen eigenen Blick werfen. Und das ist auch Volkswagen sehr, sehr wichtig, dass wir hier in Wolfsburg eben nicht einfach ein Industriemuseum machen oder irgendeine Schau, die sich einfach nur nach dem Mainstream richtet oder nach Positivismen, sondern es geht wirklich darum, hinter die Kulissen zu schauen.
Und deshalb: Wir werden gefördert von Volkswagen Financial Services und vielem anderem mehr. Aber wir sind unabhängig inhaltlich und können tatsächlich einen eigenen Blick werfen. Und das ist auch Volkswagen sehr, sehr wichtig, dass wir hier in Wolfsburg eben nicht einfach ein Industriemuseum machen oder irgendeine Schau, die sich einfach nur nach dem Mainstream richtet oder nach Positivismen, sondern es geht wirklich darum, hinter die Kulissen zu schauen.
Und das Spannende ist ja, dass die Künstler das äußerst kreativ machen. Es gibt ein Architekturbüro, ein "Chaotisches Architekturbüro" zugegebenermaßen von John Bock, der sich mit Hans Scharoun auseinandersetzt, dem Theater, das er in Wolfsburg gebaut hat, was vielleicht auch nicht mehr so ganz viele wissen. Wir haben ein Projekt "Holler-Hafen", das findet im Foyer und als Bauschild draußen statt, wir planen im September eine Wasserstraße … Sie sehen, wir gehen also auch in die Zukunft dieser Stadt, nicht nur in die Vergangenheit und Geschichte, sondern wollen wirklich ganz aktiv hinauswirken.
Nevin Aladag lässt den Sound der Stadt hören
Und vielleicht noch ein Beispiel, Nevin Aladag, wir haben das Glockenspiel am Rathaus in unmittelbarer Nähe vom Kunstmuseum umprogrammiert, dass dort eben dann der Sound der Stadt (zu hören ist). Das waren wirklich 50er-Jahre-Lieder, "Kein schöner Land" oder die Auswahl "Freude, schöner Götterfunken", jetzt hört man dort eben "Perfect Day" oder "Money, Money, Money", auch "Smoke on the Water". Das heißt, wir geben der Stadt einen neuen Groove, einen neuen Sound. Und auch das ist ganz, ganz wesentlich für diese Ausstellung. Also, Sie sehen, wie weit ausgreifend ich operiere in dieser Projektphase.
Kassel: Also, ich komme, Herr Beil, das haben Sie jetzt geschafft, und ich glaube, ich bin nicht der Einzige! Ralf Beil war das, der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, in dem morgen die Ausstellung "Wolfsburg Unlimited" eröffnet wird, die dann bis zum 11. September zu sehen sein wird. Herr Beil, ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen alles Gute für diese Ausstellung!
Beil: Vielen Dank Ihnen! Wiederhören!
Kassel: Tschüs! Ich verrate Ihnen noch was, wenn Ihnen eine Frage gefehlt hat, gebe ich eine kleine Antwort: Ja, der Abgasskandal kommt auch vor! Und wie er vorkommt, das müssen Sie sich selber anschauen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.