Wie eine Feministin die Schweiz aufmischte
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Iris von Roten war die bekannteste und umstrittenste Feministin der Schweiz. Mit ihrem Buch "Frauen im Laufgitter" sorgte sie 1958 für einen Skandal. Nun ist dem Buch im Zürcher Literaturmuseum Strauhof eine Ausstellung gewidmet.
Remi Jaccard vom Zürcher Literaturmuseum Strauhof führt durch die Ausstellung und zeigt zunächst auf eine grüne Wand. Auf ihr sind sämtliche Kapitel von "Frauen im Laufgitter" aufgeführt. In dem Buch, das als ein Klassiker der feministischen Bewegung der Schweiz gilt, schilderte die Juristin, Journalistin und Feministin Iris von Roten auf rund 600 Seiten die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in der Eidgenossenschaft der 1950er-Jahre.
"Es fängt damit an, dass Frauen zu jener Zeit keinen Vertrag unterschreiben durften, ohne Einwilligung ihres Ehemanns, dass sie nicht abstimmen durften, obwohl sie Steuern bezahlten mussten, dass sie zu Hause zu bleiben hatten und für die Kinder zu sorgen hatten, dass ungleiche Löhne bezahlt wurden für dieselbe Arbeit", erläutert Jaccard.
Wütend-witzige Porträts der Arbeitswelt
Witzig und wütend porträtierte Iris von Roten mit einfacher, direkter Sprache etwa die Arbeitswelt der Frauen:
"Das ist das Mädchen zum Dienen: Das Dienstmädchen. Da ist die Tochter zum Servieren: die Serviertochter. Im Grunde geht es bei diesen Tätigkeiten um etwas sehr Ähnliches: Servieren bedeutet ja nichts anderes als bedienen."
Die Schweizerin forderte die Abschaffung der Differenzen zwischen den beiden Geschlechtern, deren gesellschaftliche Konsequenzen sie offen benannte:
"Die Frauen haben zu verblassen, damit die Männer die Wunderblüten am Baum des Lebens darstellen können."
Rosa Panorama des weiblichen Alltags
Iris von Roten, die verheiratet war und eine Tochter hatte, hatte zehn Jahre für "Frauen im Laufgitter" recherchiert. Doch, so erzählt Rémi Jaccard vom Literaturmuseum Strauhof, auch eine Reihe von persönlichen Erfahrungen wurden verarbeitet:
"Sie war promovierte Juristin. Sie hat mit ihrem Mann gemeinsam eine Kanzlei geführt und wurde dort immer für die Sekretärin gehalten."
Die Ausstellung lässt das Buch erleben - etwa mit Videoinstallationen - oder sehr eindrücklich mit Texten und Fotos wie im zentralen Raum der Schau, der ganz in Rosa dem weiblichen Alltag gewidmet ist, zwischen Mutterschaft, Haushalt und Liebe. Auch dazu formulierte Iris von Roten revolutionäre Gedanken.
Frei gelebte Sexualität
"Sie spricht sich sehr stark dafür aus, dass Frauen ihre Sexualität frei leben dürfen", erläutert Rémi Jaccard. "Sie selbst war verheiratet. Sie ließ sich im Ehevertrag entbinden von häuslichen Pflichten und zusichern, dass sie auch außereheliche Affären haben dürfte. Ihr Mann ebenso. Beide haben das auch gemacht. Das hat für dieses Paar offenbar sehr gut funktioniert."
Das Buch wurde kontrovers diskutiert. Ein Raum der Ausstellung zeigt das vielfältige Echo:
"Bravo, dreimal Bravo für Ihr tapferes und gescheites Buch!", lautet eine der an die Wand projizierten positiven Reaktionen. Oder: "Für Ihr Buch möchte ich Sie umarmen und danken. Nur schon für den Titel allein verdienen Sie ein Denkmal!"
Der Großteil der Reaktionen war schonungslos negativ - voller Empörung:
"Sie verdienen nicht mehr und nicht weniger, als übers Knie genommen zu werden, um Ihrem entblößten Hinterteil ein paar heftige Schläge zu versetzen."
Zu radikal für Frauenorganisationen
Das Werk war selbst Schweizer Frauenorganisationen zu radikal. Sie warfen Iris von Roten später vor, mitverantwortlich zu sein für den negativen Ausgang der Volksabstimmung über die Einführung des Frauenstimmrechts, fünf Monate nach Erscheinen des Buches.
Die als "Emanze der Schweiz" Beschimpfte zog sich zurück, schrieb Reiseerlebnisse nieder und malte. Geplagt von Gesundheitsproblemen, schied sie 1990 in einem minuziös geplanten Suizid aus dem Leben. Bis dahin war sie fast in Vergessenheit geraten, sagt Rémi Jaccard. Erst dann erinnerte man sich wieder stärker an Iris von Roten:
"Der hat zu einer neuen Aufmerksamkeit auch zur erneuten Publikation von 'Frauen im Laufgitter' Anfang der 90er-Jahre geführt. Heute, würde ich sagen, ist es so, dass zumindest den Namen und den Titel des Buches sehr viele Personen kennen, das Buch wirklich gelesen haben dann aber wiederum die wenigsten."
Dabei sind etliche der von Iris von Roten 1958 beschriebenen Ungleichheiten der Geschlechter noch immer ein Thema in der Schweiz.