Von Schellack und Vinyl bis Blitzkrieg
Der deutsch-jüdische Emigrant Emil Berliner erfand das Grammophon, die zum Teil jüdische Punkband "Ramones" sang vom "Blitzkrieg Bop". Diese Facetten der jüdischen Populärkultur zeigt jetzt das Jüdische Museum München in der Ausstellung "Jukebox. Jewkbox!".
Vor den Stufen, die zur Ausstellung führen, steht eine Jukebox aus der "Somewhere Over The Rainbow" knistert. Ein stimmungsvoller Einstieg in die Ausstellung, deren Titel "Jukebox. Jewkbox!" ein wenig in die Irre führt, denn die musikindustrielle Geräteindustrie spielt hier nur eine verhältnismäßig kleine Rolle. Immerhin – auf den ersten Metern dokumentieren acht Abspielgeräte die Entwicklung des Grammophons, in dessen Trichter natürlich auch der legendäre Jack Russell starrt, der einst andächtig der Stimme seines verstorbenen Herrchens gelauscht haben soll – His Master’s Voice eben.
Das Herzstück der Ausstellung erwartet einen jedoch ein paar Schritte weiter. Hier ist ein Vorhang aus hunderten Schallplatten-Covern gespannt. Er umringt einen langen beleuchteten Tisch mit Barhockern und Kopfhörern, die zum Hören einladen, 43 Menschen erzählen ihre Geschichte jüdischer Identitätsstiftung, Erinnerungen an einzelne Schallplattenaufnahmen, die mitunter tief blicken lassen, in das Lebensgefühl junger Juden nach dem Holocaust. So erzählt etwa die in Tel Aviv lebende Schriftstellerin Lizzie Doron von ihrer Hassliebe zu den "The Barry Sisters", ein Vokalduo aus New York, das in den 1940er- und 1950er-Jahren traditionelle jiddische Lieder in Popversionen verpackte.
"Ich bin ein israelisches Mädchen, hier bin ich geboren. Ich möchte hebräisch sprechen, nur hebräisch. Ich möchte eine echte Sabra sein. Ich bin so ein Mädchen, das von einem anderen Land träumt, jenseits der Nachbarschaft und auch meine Mutter träumt meinen Traum. Jeden Shabbat Morgen legt sie mit zitternder Hand eine Schallplatte auf das Grammophon – die Barry Sisters, die in ihrer Sprache singen. Sie singen ´A Jiddishe Mamm` oder ´Bei mir bist du scheen`. Sie summt. Ich möchte das Grammophon ausschalten. Am Shabbat-Morgen darf ich keine Lieder hören, man darf nicht fröhlich sein. Ich bin wütend. Bis zu ihrem Tod bestand sie auf ´Bei mir bist du scheen` – auf dem Sterbebett bat sie um die "Barry Sisters" und sagte, dass sie ihre Familienangehörigen seien. Und jetzt, so viele Jahre danach, am Shabbat-Morgen, wenn mein Mann zu seinem Morgenlauf aus dem Haus geht – höre ich die "Barry Sisters" und Tränen fließen und fließen ganz von alleine."
"Ich bin ein israelisches Mädchen, hier bin ich geboren. Ich möchte hebräisch sprechen, nur hebräisch. Ich möchte eine echte Sabra sein. Ich bin so ein Mädchen, das von einem anderen Land träumt, jenseits der Nachbarschaft und auch meine Mutter träumt meinen Traum. Jeden Shabbat Morgen legt sie mit zitternder Hand eine Schallplatte auf das Grammophon – die Barry Sisters, die in ihrer Sprache singen. Sie singen ´A Jiddishe Mamm` oder ´Bei mir bist du scheen`. Sie summt. Ich möchte das Grammophon ausschalten. Am Shabbat-Morgen darf ich keine Lieder hören, man darf nicht fröhlich sein. Ich bin wütend. Bis zu ihrem Tod bestand sie auf ´Bei mir bist du scheen` – auf dem Sterbebett bat sie um die "Barry Sisters" und sagte, dass sie ihre Familienangehörigen seien. Und jetzt, so viele Jahre danach, am Shabbat-Morgen, wenn mein Mann zu seinem Morgenlauf aus dem Haus geht – höre ich die "Barry Sisters" und Tränen fließen und fließen ganz von alleine."
Abgrenzung zur Elterngeneration
Popmusik lebte über viele Jahrzehnte hinweg von der Abgrenzung zur Elterngeneration, kein explizit jüdisches Phänomen, aber es zeigt sich eben auch in den frühen Jahren populärer jüdischer Musik, wenn sich die Söhne von Kantoren, den Meistersängern der Synagoge, auf säkulares Terrain begeben, so wie Al Jolson etwa, der sich in "The Jazz Singer", dem allerersten Tonfilm 1927 im Grunde selbst spielt, einen jüdischen Sänger, der gegen den Willen seines Vaters am Broadway singt.
Richtig spannend wird die explizit jüdische Geschichte der Popmusik dann, wenn der popkulturelle Zeitgeist zur Reduktion auf die Provo-Geste zwingt, es ist die Zeit des Punk als Ende der 70er-Jahre Bands wie die "Ramones", bestehend aus zwei Juden und zwei Nicht-Juden, vom "Blitzkrieg Bop" singen. Die autoaggressiven "Ramones" und viele andere jüdische Punkbands agieren auf der Bühne, so Kurator Hanno Loewy, die Widersprüche des 20. Jahrhunderts.
"Dazu gehörte der politisch völlig unkorrekte Umgang mit Nazisymbolen. Dass Debby Harrie und Chris Stein ihre Band "Blondie" genannt haben, liegt nicht so sehr an ihrem Haarschopf, sondern dass der Hund von Adolf Hitler halt so hieß. Das waren die Art von Scherzen, die man gemacht hat. Das ist sozusagen der Tabubruch auf höchstem oder bösestem Niveau gewesen, denn der Gegensatz zwischen Nazis und Juden war sozusagen emblematisch – das größte Potential an Spannung, an Konflikt, an Bösem, das man sich vorstellen konnte."
Richtig spannend wird die explizit jüdische Geschichte der Popmusik dann, wenn der popkulturelle Zeitgeist zur Reduktion auf die Provo-Geste zwingt, es ist die Zeit des Punk als Ende der 70er-Jahre Bands wie die "Ramones", bestehend aus zwei Juden und zwei Nicht-Juden, vom "Blitzkrieg Bop" singen. Die autoaggressiven "Ramones" und viele andere jüdische Punkbands agieren auf der Bühne, so Kurator Hanno Loewy, die Widersprüche des 20. Jahrhunderts.
"Dazu gehörte der politisch völlig unkorrekte Umgang mit Nazisymbolen. Dass Debby Harrie und Chris Stein ihre Band "Blondie" genannt haben, liegt nicht so sehr an ihrem Haarschopf, sondern dass der Hund von Adolf Hitler halt so hieß. Das waren die Art von Scherzen, die man gemacht hat. Das ist sozusagen der Tabubruch auf höchstem oder bösestem Niveau gewesen, denn der Gegensatz zwischen Nazis und Juden war sozusagen emblematisch – das größte Potential an Spannung, an Konflikt, an Bösem, das man sich vorstellen konnte."
Die spannendsten Momente der Ausstellung
Es sind die spannendsten Momente der Ausstellung, wenn einzelne Plattencover über den groben Einblick in die verschiedenen Entwicklungen populärer jüdischer Musik hinaus weisen, wenn die perfektionierten Mechanismen der Musikindustrie zu greifen beginnen und sich Images und Inszenierungen mit einer keinesfalls homogenen jüdische Kultur verbinden.
Allerdings ist es deshalb auch kein Wunder, dass die chronologische Ausstellung etwas eklektisch endet, in einem Plattencover des Punkmusikers Richard Hell etwa, der eben seine jüdische Identität vollends auszublenden versucht. Auch fehlen in der Chronologie der Plattencover-Ausstellung zwei Jahrzehnte jüdischer Popmusik nahezu komplett. Nämlich genau die beiden eigentlich sehr interessanten Jahrzehnte nach Ende der Sowjetunion mit ihren ganzen Migrationsbewegungen, die auf das Hip Hop-Genre treffen.
Ausgespart wurden sie mit der Begründung es handle sich bei den 90ern um das Zeitalter der CD und nicht mehr um das der Schallplatte. Das ist zwar richtig, aber insofern unschlüssig, weil der Tonträger bei dieser Ausstellung ohnehin wenig relevant erscheint. Auch CD-Cover zeigen Bilder, die auf die dahinter gelagerten kulturellen Kontexte verweisen. Und genau die sind das Herzstück dieser Ausstellung, die man als Plattensammler und Popfan auf alle Fälle besichtigen sollte, allein schon um eines der wertvollsten Bob Dylan-Bootlegs zu bestaunen, den "Talkin’ Hava Negilah Blues" aus dem Jahr 1961.
"Den eröffnet er auf dieser Aufnahme ´Here’s a foreign song I learned in Yuta`. Wir wissen, dass Bob Dylan diesen Song in seinem Elternhaus wahrscheinlich bis zum Erbrechen hören musste. Er stottert sich durch dieses Lied aller Lieder, das sozusagen der Inbegriff des jüdischen Kitsches ist. Und am Ende setzt er sogar noch einen Jodler dran. Also er macht sich darüber auf böse Art und Weise lustig."
Die Ausstellung "Jukebox. Jewkbox!" - Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl" ist bis zum 22. November im Jüdischen Museum München zu sehen.
Die Ausstellung "Jukebox. Jewkbox!" - Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl" ist bis zum 22. November im Jüdischen Museum München zu sehen.