Reintegration von IS-Rückkehrern
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Deutsche IS-Rückkehrer, die Gräueltaten miterlebt oder aktiv daran teilgenommen haben, sind schwer wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Die Beratungsstelle „Legato“ versucht dies.
Hamburgs Verfassungsschutz hat die islamistische Szene in der Hansestadt im Blick. Dem Spektrum der sogenannten "sicherheitsgefährdenden und extremistischen" Islamisten gehören nach Angaben des heute vorgestellten Verfassungsschutzberichts rund 1600 Menschen an, so Torsten Voß, der Leiter des Amts:
"Wenn man sich dann anschaut die Entwicklung des Islamismus auf der nächsten Folie, dann stellen wir fest, dass wir auf sehr hohem Niveau eine Stagnation haben."
Und mittlerweile ist auch klar, wie viele Personen in den letzten vier Jahren die Stadt in Richtung der einstigen IS-Gebiete verlassen haben und wie viele zurückgekehrt sind.
"Wir zählen derzeit 86 Personen, die in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind. Wir müssen natürlich auch sehen, ob da auch alle angekommen sind. Aber von 86 Personen haben wir eine Drittel-Regelung: ein Drittel sind ungefähr wieder hier, ein Drittel sind mutmaßlich dort verstorben und ein Drittel befindet sich dort, entweder noch in kleinen Zellen des IS oder in Nordsyrien in Haft, bei den Kurden."
Jede einzelne Rückkehrerin, jeden einzelnen Rückkehrer hat das Landesamt für Verfassungsschutz auf dem Radar, so Torsten Voß:
"Wir schauen uns natürlich jeden einzelnen Rückkehrer an, inwieweit er wieder Fuß gefasst hat in der Szene. Wir versuchen natürlich auch zu generieren, was er eigentlich in Syrien gemacht hat, ob Straftatbestände erfüllt sind. Aber als vorläufiges Ergebnis können wir sagen, dass fast alle wieder in die islamistische Szene in Hamburg zurückgekehrt sind. Von Integration ist da nicht zu sprechen."
Radikalisierung frühzeitig verhindern
Damit eine Chance auf eine Reintegration in die deutsche Gesellschaft gelingt, werden alle Rückkehrer auch auf das Angebot von "Legato" hingewiesen. Die Beratungsstelle gibt es seit vier Jahren und hat es sich zum Ziel gesetzt, möglichst frühzeitig mit den vor allem jungen Muslimen in Kontakt zu kommen, die sich radikalisieren.
Meistens melden sich bei "Legato" Eltern, Geschwister oder Freunde, die um Hilfe bitten. Fast 400 Mal ist das in den letzten vier Jahren passiert, erzählt der "Legato"-Leiter André Taubert.
"Wir haben von diesen knapp 400 Fällen auch in über 50 Fällen mit diesen jungen Menschen auch selbst gearbeitet, um die es da ging. Aber es hilft auch, mit dem System darum herum, also mit Eltern, mit Angehörigen, mit Lehrern, mit Sozialarbeitern zu arbeiten, die auf einen jungen Menschen ja auch einwirken. Oftmals viel mehr, als wir als Berater in einer Beratungsstelle, weil die diesen jungen Menschen kennen!"
Von den rund 50 Menschen, an die die Berater von "Legato" herangekommen sind, ist nicht ein einziger später ausgereist. Und für diejenigen, die zurückgekehrt sind, ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft eine vermutlich viele Jahre währende Herausforderung, sagt André Taubert:
"Wir erleben junge Menschen, die noch gar nicht so lange wieder zurück sind, die kriegstraumatisiert sind, die eben selber auch Täter waren, die aus unterschiedlichsten Gründen aber auch nicht unbedingt schon bereit sind, darüber zu reden, was sie da erlebt haben. Das ist ein Problem. Wir haben, meiner Erfahrung nach, es hier oft mit jungen Männern und Frauen zu tun, die auf ihrer Suche nach dem richtigen Weg komplett auf den falschen Weg gelangt sind, aber denen man nur ganz, ganz schwer klarmachen kann, dass ihnen bewusst wird, dass sie auch einen therapeutischen Bedarf, insbesondere auch einen therapeutischen Bedarf haben."
Von alten Netzwerken fernhalten
Schon bei verurteilten Bankräubern, Gewalttätern oder Urkundenfälschern sei es schwierig, sie nach einer Haftstrafe wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Bei Menschen, die an der Seite des IS in den Krieg gezogen sind, die Gräueltaten miterlebt oder sogar aktiv daran teilgenommen haben, sei diese Aufgabe um ein Vielfaches komplexer.
"Gerade auch Frauen, die aus dem IS zurückgekommen sind und hier in Deutschland sind, können kaum anonym bleiben. Das heißt, das soziale Umfeld, der Ort, an dem sie wohnen, die Bewohner dort, die erfahren das dann irgendwann – sei es durch die Kinder oder wie auch immer – und dann werden auch die Kinder natürlich immer unter diesem Label: 'Das sind die Kinder des IS' oder 'Das sind diese IS-Rückkehrer' leben – und auch wahrscheinlich dauerhaft."
Dass die Menschen nach ihrer Rückkehr sich sofort von ihren alten Netzwerken und Freundeskreisen fernhalten, sei sicherlich wünschenswert, sagt der Berater. Realistisch sei es aber nicht:
"Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand seine alten Freunde aufsucht, weil die vielleicht auch weiter an seiner Seite stehen. Aber wir müssen auch ganz klar sehen: radikal sein heißt heute im Hinblick auf das Themenfeld etwas ganz anderes als noch vor drei, vier Jahren."
Denn die islamistische Szene verändere sich ständig. André Taubert beobachtet, dass sich einige junge muslimische Menschen zwar radikalisieren. Dass sich diese Radikalisierung bei vielen dann aber auf die eigene Lebensführung, auf die persönliche Praxis ihrer Religionsausübung bezieht und eben nicht in eine menschenverachtende, gewalttätige und tödliche Richtung mündet.
Islamfeindlichkeit erschwert die Reintegration
Zwei Dinge seien, wichtig, um die Gefahr der Radikalisierung junger Menschen möglichst klein zu halten: Denjenigen, die dem IS den Rücken gekehrt haben, sollte vom Rest der Gesellschaft ein Neuanfang ermöglicht werden. Gleichzeitig müsse man gegen die in den letzten Jahren gewachsene Islamfeindlichkeit eintreten.
"Es hilft uns überhaupt nichts, wenn wir versuchen, präventiv gegen Islamismus anzusteuern, aber auf der anderen Seite durch Rechtspopulismus, durch Rechtsextremismus eigentlich die Gründe, warum sich Menschen religiös begründet radikalisieren, immer mehr verstärken."
Denn gerade die Gleichsetzung von Islam, Islamismus, politischem Isam und islamischen Fundamentalismus, diese Gleichsetzung fördere vor allem bei jungen Menschen das Gefühl der Ausgrenzung, aus dem sich dann wiederum eine weitere Radikalisierung speisen kann.
Die Rückkehrinnen und Rückkehrern hätten, so André Taubert von der Beratungsstelle Legato, jedenfalls eines gemeinsam: Sie alle seien nach den Erfahrungen in IS-Gebieten schon heute geläutert. Ihr Weg zurück in die Gesellschaft wird trotzdem nicht einfach.