Wie Joseph Beuys zur Sprache fand
05:49 Minuten
Joseph Beuys' Verhältnis zur Sprache fand bislang wenig Beachtung. Dieser Facette im Schaffen des Künstlers widmet sich nun eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin.
"Ja, ja, ja …" - es kann so sein, es kann aber auch ganz anders sein. "Nee, nee, nee …" - das berühmte Selbstgespräch von Joseph Beuys beschallt jetzt die gewaltige Talgplastik "Unschlitt/Tallow" im Hamburger Bahnhof, den Abdruck des toten Winkels unter einer Fußgängerbrücke in Düsseldorf.
"Selbst wenn ein Titel ganz einfach ist, wie beispielsweise 'Ja, ja, ja, nee, nee, nee', das sind zwei Wörter, aus denen sich dieser zusammensetzt", erklärt die Kuratorin der Ausstellung, Nina Schallenberg. "Die aber, je nachdem wie sie moduliert sind, aus welcher Stimmung heraus man sie äußert mal euphorisch, mal genervt, mal glücklich, mal ganz traurig sein könnten."
Bewusstes Leben
"Von der Sprache aus", mit dieser neuen Perspektive belebt Schallenberg die bekannten Arbeiten von Beuys im Hamburger Bahnhof, die inzwischen etwas reglos und stumm wirken. Am 20. November 1985, zwei Monate vor seinem Tod, ging Beuys bei einem Vortrag in der Reihe "Reden über das eigene Land" auf sein Verhältnis zur Sprache ein: "Mein Weg ging durch die Sprache", sagte er, "so sonderbar es ist, er ging nicht von der bildnerischen Begabung aus".
Dann gehe Beuys weiter in seiner Rede und entwickle von diesem Ausgangspunkt aus "seine komplette plastische Theorie", erläutert Schallenberg. Am Ende der Rede spreche er davon, die Gesellschaft könne transformiert werden, indem man bewusst handele, bewusst rede und bewusst Dinge schaffe. "Er startet bei dem ganz kleinen Nukleus des Wortes, das ganz bewusst ausgesprochen wird und er landet bei einer Neuorganisation der Gesellschaft."
Die Ausstellung rekonstruiert diesen Weg vom Schweigen über einzelne Laute und Begriffe hin zur Schrift und zum politischen Vortrag sowie zur Legendenbildung. Beuys, der in einer Lebenskrise nach dem Krieg, die eigene Wortlosigkeit erlebt hatte, studiert in seinem traumwandlerischen Konvolut von Zeichnungen, dem "Secret Block for a secret Person in Ireland", den Fluss des Atems durch den Kehlkopf.
In einer Diskussionsveranstaltung 1970 grenzt er sich ab, zu dem großen Schweiger Marcel Duchamp: "Natürlich habe ich mich gefragt, was ich tue, wenn ich Kunst mache", so Beuys, "Ich bin nicht, wenn es wahr ist, was Sie gesagt haben von Marcel Duchamp, ein so schlechter Denker wie Marcel Duchamp".
Bei seiner "Handaktion" im Düsseldorfer Lokal Creamcheese 1968 steht Beuys noch stumm in der Ecke und gibt nur mit den Händen rhythmische Zeichen. Auch bei einem Konzert mit dem Fluxus-Künstler Nam June Paik bildet er keine Worte, sondern nur Laute, die an das Röhren eines Hirsches erinnern.
Dazwischen zitiert er Rudolf Steiner: "Erfüllung geht durch Hoffen, geht durch Sehnen, durch Willen. Wollen weht im Webenden, weht im Bebenden, webt bebend, webend bindend im Finden. Findend, windend, kündend…"
Schallenberg sagt dazu: "Gerade bei diesen Ö-Ö-Lauten, die er mit einem Hirschgesang zusammenbringt und benutzt, wenn er zwar sich lautlich äußern möchte, aber noch nicht sprachlich. Es sind Laute ohne Sinn, ohne Inhalt."
Vielfältige Lebensläufe
In der klar gegliederten Ausstellung lässt sich erkennen, wie Beuys Sprache und Plastik verknüpft, wie er in den Titeln poetisch und präzise mit Worten spielt. "Unschlitt" etwa bezeichnet das künstlerische Material für seine Skulptur, den Talg. Das Wort vermittelt aber auch den Eindruck von Stagnation.
Die Handschrift des Künstlers wird Bestandteil des Kunstwerks. Er setzt seine Signatur mitten ins Bild, gestaltet Stempel, notiert seine Vorträge auf Tafeln und schreibt seine Legende selbst. Präzise rekonstruiert Schallenberg im letzten Raum die Entstehung der fiktiven Biografie, mit der Beuys seinen Einsatz bei der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg verrätselt hat. Das beginnt mit einem Lebenslauf für die Bewerbung an der Universität.
Danach komme dann sein erster Lebenslauf, den er 1963 in einem Katalog auch wirklich veröffentlicht habe. Ab da zeige die Ausstellung einige der "Lebenslaufvarianten", die zu seinen Lebzeiten entstanden seien. "Man kann dann nachlesen, wie er sein eigenes Leben beschrieben hat", sagt Schallenberg, "Dann kann man sich aus diesem Kaleidoskop ein eigenes Bild machen."
Die Schau im Hamburger Bahnhof weitet die Perspektive auf das Werk, der Klang öffnet den Raum und lädt ein zum Spiel mit Bedeutungsvielfalt. Die Sprache setzt die monumentalen Plastiken in Bewegung.