"Wir leben alle auf dem gleichen Planeten"
Die kanadische Band Austra steht seit 2010 für futuristischen Electro-Pop. Im Januar erscheint ihr Album "Future Politics", auf dem sich Sängerin Katie Stelmanis Gedanken zu einer Politik der Zukunft macht. Mathias Mauersberger sprach mit ihr über gesellschaftlichen Utopien.
Martin Böttcher: "Utopia" heißt ein Song der kanadischen Gruppe Austra, die erste Single aus dem Album "Future Politics", das Ende Januar auf den Markt kommt. Dazu begrüße ich jetzt meinen Kollegen Mathias Mauersberger hier im Studio, hallo! Du hast Katie Stelmanis, die Sängerin und Texterin von Austra, getroffen. Welche Art von Utopie beschreibt sie in diesem Song?
Mathias Mauersberger: Zunächst einmal das genaue Gegenteil. Eine graue, anonyme Großstadt, in der die Menschen Tag für Tag zur Arbeit "robotern", weitestgehend selbstentfremdet leben. Der Song wurde inspiriert von Katie Stelmanis Heimatstadt Toronto, in der in den letzten Jahren, wie in so vielen anderen Metropolen der Welt, die Gentrifizierung um sich gegriffen hat − im Stadtkern seien überall neue, teure, aber auch sehr gleichförmige Apartmentblocks entstanden, die zum Teil von chinesischen Investoren aufgekauft wurden, erzählte Stelmanis. Und aus dieser kalten globalisierten Welt träumt sie sich nun heraus − in eine Utopie, in der mehr Sinn für Gemeinschaft herrscht und in der auch die Kunst einen größeren Stellenwert hat.
Martin Böttcher: Stelmanis geht aber noch weiter, ihr kommendes Album heißt "Future Politics". Wie soll diese Politik der Zukunft denn nun aussehen?
Mathias Mauersberger: Im Song eben wurde ja schon deutlich, dass Stelmanis keine Freundin des Kapitalismus ist. Sie ist stark beeinflusst von der ebenfalls kanadischen Autorin Naomi Klein, deren Buch "No Logo!" Anfang der Nullerjahre ja zu einer Art Bibel der Globalisierungskritik wurde. Und sie wünscht sich tatsächlich eine Welt, die nachhaltiger wirtschaftet und ganz ohne Grenzen auskommt.
Katie Stelmanis: "Ich bin überzeugt von der Idee des 'Wholism', der Ganzheit. Es ist einfach dumm, dass die Welt in verschiedene Länder unterteilt ist, die alle ihre eigenen Gesetze machen. Denn wir leben alle auf dem gleichen Planeten. Es muss einfach eine Art globale Regierung geben anstatt verschiedener Länder, die sich wie Geschäftsleute untereinander bekriegen."
Mathias Mauersberger: Also ein sehr optimistischer Gedanke von Katie Stelmanis alias Austra. Eine Welt, die zusammen- und nicht gegeneinander arbeitet und Rücksicht auf unsere Umwelt nimmt. Die Realität sieht aber anders aus: Wenn man aktuell in die USA schaut, dann sieht man einen frisch gewählten Präsidenten Donald Trump, der eine Mauer gegen mexikanische Einwanderer bauen will und den Klimawandel anzweifelt. Auch in Europa, in Großbritannien, Frankreich, sogar in Deutschland ist der Nationalismus wieder auf dem Vormarsch.
Indigene Völker sind die Hoffnungsträger
Martin Böttcher: Von wem soll diese Utopie, die Katie Stelmanis beschreibt, denn ausgehen?
Mathias Mauersberger: Für Stelmanis stehen die Künstler und Kreativen hier in der Pflicht, was vielleicht ein etwas naiver, romantischer Gedanke ist, der aber tatsächlich auf eine reale Erfahrung zurückgeht. Stelmanis hat ihr neues Album zum Teil in Mexiko aufgenommen, hat sechs Monate in Mexiko City gelebt. Dort gibt es eine sehr lebendige Clubszene von DJs und zum Teil auch Bildenden/Visuellen Künstlern, Grafikdesignern, die sich zurückbesinnen auf die Kultur und Musik der indigenen Bevölkerung, die also elektronische Musik mit Cumbia und mexikanischer und peruanischer Volksmusik mischen. Und das hat durchaus eine politische Konnotation, denn diese Musiker wollen tatsächlich die Kultur der Indios, der Ureinwohner bewahren und beim jungen Publikum bekannter machen − auch als Gegengewicht zum amerikanischen Kapitalismus. Und Stelmanis sieht in dieser Bewegung eine ganz wichtige politische Entwicklung, die sich auch in anderen Ländern fortsetzt.
!!Katie Stelmanis:! "In Lateinamerika, aber auch in Kanada und den USA gibt es eine Welle von Leuten, die die indigenen Kulturen feiern. Das steht geradezu am entgegengesetzten Ende des Nationalismus, denn hier wird nicht nur künstlich eine Art von Gemeinschaft hergestellt, sondern es werden die alten Lebensformen einer prä-kapitalistischen Welt gewürdigt. Die Ureinwohner galten oft als 'wertlos', da sie weder über eine eigene Währung noch über Geld verfügten. Aber die Zukunft wird von den indigenen Bevölkerungen abhängen, denn der Kapitalismus zerstört unseren Planeten. Die Ureinwohner sind die Einzigen, die ihr Land nicht aus ökonomischen Gründen verteidigen. Und es gibt tatsächlich viele kluge Köpfe, Philosophen und Globalisierungskritiker, die der Meinung sind, dass die indigenen Völker unsere Welt retten werden."
Mathias Mauersberger: Das muss man noch mal etwas erklären, was Katie Stelmanis von Austra hier meinte. Es gab in Kanada tatsächlich vor kurzem den Fall einer Öl-Pipeline, die auf dem Land der "First Nations", also der kanadischen Ureinwohner gebaut werden sollte und von diesen durch friedlichen Protest und letzten Endes das Eingreifen beziehungsweise Umlenken der Regierung verhindert wurde. Dieser Fall erregte in Kanada einige Aufmerksamkeit und wurde unter anderem auch von Naomi Klein in ihrem letzten Buch "This Change Is Everything" aufgegriffen. Und er wird auch auf "Future Politics" eine Rolle spielen, zum Beispiel im Song "Gaia", den wir dann ab Ende Januar hören können.
Utopien aus der elektronischen Ecke
Martin Böttcher: Nun haben wir einiges über Austra und die gesellschaftlichen Utopien auf deren Album "Future Politics" erfahren, das am 20. Januar 2017 erscheint. Seit Montag sprechen wir anlässlich unseres Wochenthemas "500 Jahre Utopie" schon über die Utopien in der Musik. Am Mittwoch hatten wir die Berliner Gruppe Chicks on Speed zu Gast. Gibt es Parallelen zu deren politischer Vision und Arbeitsweise?
Mathias Mauersberger: Chicks on Speed kommen natürlich noch mehr aus dem Kontext der Bildenden Kunst, aber es gibt sicherlich Parallelen. Bei Austra spielt, ähnlich wie bei COS, auch der performative Aspekt eine Rolle, die Band tritt gerne in bunten Kostümen, wallenden Kleidern auf, legt Wert darauf, auch visuell eine eigene Welt zu erschaffen, in der – so Katie Stelmanis – der Zuschauer "er selbst" sein kann. Also auch hier eine Art Utopie im Kleinen. Aber es gibt im Bereich der elektronischen Musik noch einige andere Beispiele für politische Bands: Das schwedische Electro-Pop-Duo The Knife, mit dem Austra oft verglichen wird, hat 2014 Musik für ein Europa-Musical geschrieben, in dem es um die Migrationspolitik der EU ging. In diesem Jahr gab es sehr gelungene politische Alben von Polica oder auch von Anohni, dem neuen Projekt des New Yorker Sängers Antony Hegarty, auf dem es unter anderem auch um Klimapolitik beziehungsweise den Klimawandel ging. Ich denke, man wird da aus der elektronischen Ecke auch 2017 noch einiges hören.
Martin Böttcher: Mathias Mauersberger über die gesellschaftlichen Utopien auf dem neuen Album der kanadischen Band Austra. Und wir hören noch einen Song, welchen?
Mathias Mauersberger: Das Titelstück, in dem es heißt: "We don’t need more money, there's only one way, future politics." Wir brauchen nicht noch mehr Geld, es gibt nur einen Weg, eine Politik der Zukunft. Eine klare Absage an den Kapitalismus.
Was ist aus den Utopien und Visionen von Thomas Morus geworden? Der Schwerpunkt "Zukunft denken. 500 Jahre 'Utopia'" in Deutschlandradio Kultur sucht nach Antworten vom 18. bis 27. Dezember. Die Übersicht der Themen und alle bereits gesendeten Beiträge gibt es hier zu lesen und zu hören: Utopien in Politik, Gesellschaft und Kunst − Welche anderen Welten sind möglich?