Das neue Eldorado
Eisenerz, Kupfer, Kohle, Diamanten, Gold: Im australischen Perth gibt es einen sagenhaften Rohstoffboom - von der Finanzkrise ist der menschenleere Westen des Kontinents unberührt geblieben.
Die "James Stirling" ist ein Flussdampfer und verkehrt zwischen der Stadtmitte von Perth und dem Hafen namens Fremantle. Dort mündet der Swan-River, der Schwanenfluss, in den Indischen Ozean.
Sonne, Wasser, Geld - das sind aktuell die drei bestimmenden Faktoren für das Leben in Perth. Sonne und Wasser gab's immer schon:
"Perth hat meiner Meinung nach Strände, die in Australien ihres gleichen suchen. Einfach unverfälscht, großartig. Wir haben außerdem ein fantastisches Klima mit 3000 Sonnenstunden im Jahr. Dann sind da noch all die Vorteile, die der Swan-River bietet; nicht zu vergessen die Küste mit ihren Inseln wie etwa Rottnest, was alles zum Vergnügen beiträgt."
Simon Burley ist Direktor bei "Tourism Western Australia", dem staatlichen Tourismus-Verband, dem es zunehmend besser gelingt, Gäste anzulocken – in erster Linie Ostküsten-Australier, aber auch Ausländer, meist Europäer und immer mehr Asiaten. Im Sommer, der sehr lang und trocken ist, klettert das Thermometer schon mal über 40 Grad hinauf, aber eine regelmäßige Brise erleichtert das Leben:
"Der Fremantle-Doktor ist eine Meeresbrise, die immer am Nachmittag einsetzt. Wenn die Sonne vor allem im Sommer das Inland aufheizt und die warme Luft nach oben steigt, wird kühle Luft vom Meer angesaugt. Nun könnte man auch Nachmittagsbrise sagen, aber seit ewig ist nur vom Fremantle-Doctor die Rede, weil er die Schmerzen der Hitze kuriert."
"Die größte Gefahr sind Strömungen"
"Unser Kontinent ist eine Insel und weil es im Sommer heiß ist, gehen viele Menschen zum Strand. Aber dort lauern Gefahren. Die größte Gefahr sind Strömungen, die einen hinausziehen. Im vergangenen Jahr sind 17 Menschen an unsern Küsten ertrunken – sie sind insgesamt 12.000 Kilometer lang. Keines der Opfer befand sich an einem überwachten Strand. Etliche Menschen verlieren ihr Leben, dabei wollen sie nur Spaß mit dem Meer haben."
Haie, sagt Neil Poh noch, seien nur ein kleines Risiko, wenn man überlege, wie viele Millionen Mal jemand ins Wasser geht.
Ben Martin ist stellvertretender Herausgeber der westaustralischen Monopolzeitung, die genauso heißt: The Westaustralian. Ben, Ehefrau Jean und zwei kleine Töchter wohnen nicht weit vom Strand von Cottesloe, dem wohl berühmtesten von Perth. Einige Jahre war das Ehepaar weggewesen, hatte erst in Sydney und danach in London gelebt, die Welt bereist:
"Als wir nach vier Jahren nach Australien zurückkehrten, mussten wir wählen zwischen Sydney und Perth, unserer Heimatstadt. Perth war so gewachsen, auch wenn das Probleme schafft. Aber es ist fantastisch hier zu leben - meist hält man sich draußen auf und Gastronomie wie Kulturbetrieb hatten sich gut entwickelt und für Kinder ist es hier einfach großartig."
Über das Leben in Perth heißt es, es sei besonders "laid back", entspannt. Das hängt mit dem Klima zusammen, das so viele Freizeitaktivitäten im Freien erlaubt, denn auch an sonnigen Wintertagen mag es leicht 20 Grad warm werden. Aber entspannt stimmt nur noch zu Teilen: Seit das große Geld als Folge des Rohstoffbooms über Perth gekommen ist, setzt knallharte kapitalistische Gier dem "laid back" mächtig zu.
"Der Boom war voll im Gang als ich Ende 2008 zurückkam. Die globale Finanzkrise hatte eingesetzt und ich saß in meiner Londoner Redaktion und sah Lehman-Brothers abstürzen mit all den Problemen in Europa. Und dann kam ich hierher und es war, als ob Perth gar nichts von der Weltfinanzkrise mitbekommen hätte.
Wir schienen von diesen Problemen abgeschirmt, weil der Bergbau nach lukrativen Verträgen mit China boomte. Das meiste Geld wurde in Minen investiert, das hat Jobs geschaffen und viele Menschen angezogen. Sie bekommen enorme Gehälter, geben aber auch viel aus. Das sorgte für eine starke Wirtschaft."
Im überaus dünn besiedelten Bundesstaat Westaustralien finden sich in unvorstellbar großen Vorkommen all jene Stoffe, nach denen Minengiganten und Ölriesen gieren, die sprichwörtlichen Multis: die Minen für Eisenerz, Zinn und Kupfer, Bauxit oder Coltan, für Diamanten und Gold liegen weit ab von Perth, ein-, zwei-, dreitausend Kilometer entfernt.
Seit zudem riesige Öl- und Gasvorkommen im Meer vor den Küsten entdeckt wurden, kam es zu immer neuen Milliardengeschäften mit Japan, Südkorea, Indien, doch besonders China ist die treibende Kraft. In wenigen Dekaden ist Perth daher enorm gewachsen:
1978, als er herkam, lebten weniger als eine Million Menschen in Perth, erzählt Rob Butler, der stellvertretende Bürgermeister. Heute sind es zwei Millionen. Und jedes Jahr kommen 80.000 neue Bürger hinzu.
St. George's Terrace ist die Hauptlebensader von Perth und nicht nur der kürzeste Weg durch die Innenstadt. An St. George's Terrace residieren die Multis und die Banken und im Schatten ihrer Hochhaustürme erhebt sich mit 11 Stockwerken recht bescheiden, aber glitzernd das Rathaus mit seiner Fassade aus Chrom und Glas.
Auch für ungelernte Arbeiter jährlich 100.000 Euro möglich
Der überaus freundliche Bürgermeister Butler hatte gerade den chinesischen Botschafter in Australien zu Besuch. Auch ihn wird er an die Fensterfront seines eindrucksvollen Büros im zehnten Stock geführt haben, wo die Aussicht über Stadt und Fluss grandios ist:
Butler deutet auf die Baustelle unten am Flussufer, ein milliardenschweres Großprojekt, wo eine künstliche Bucht samt Insel geschaffen wird - gerahmt wird sie von etlichen Hochhäusern, von einer Flaniermeile mit Cafés, Restaurants und Geschäften. Es wird auch eine Marina geben, trotz all der 18 anderen Jachtclubs.
"Für alle Arbeiter im Bergbau sowie der Öl- und Gasförderung ist Perth das Eingangstor zum Nordwesten des Staates. Diese Arbeiter lassen erhebliche Summen in Perth. Chevron und Apache aus dem Ölsektor haben hier große Büros, die Minengiganten BHP und Rio Tinto ebenso. BHP hat gerade seine Büros von Melbourne nach Perth verlegt. Sie haben ein Hochhaus mit 48 Etagen gebaut, - wir hatten sie gedrängt, nach Perth zu kommen."
In den Minen kann selbst ein ungelernter Arbeiter problemlos umgerechnet 100.000 Euro im Jahr einstreichen und wird dabei noch gepampert – Kost und Logis sind oft frei. Der Arbeitgeber bezahlt auch die Flüge von und nach Perth – man arbeitet zwei oder drei Wochen in Zwölf-Stunden-Schichten, dann hat man entsprechend frei, weshalb viele in Perth leben. Eines gibt es in den Minen allerdings nicht: Gewerkschaften.
BHP ist der größte Bergbaukonzern der Welt, Rio Tinto nur unwesentlich kleiner. Beide sind australisch-britische Unternehmen. In Perth hat BHP nun sein neues Quartier so hinstellen lassen, dass es den kaum kleineren Turm des Rivalen Rio Tinto völlig verdeckt, zumindest auf den bevorzugten Fotomotiven der Innenstadt. Über ihre Erfahrung mit den Multis kann Carmen Lawrence durchaus anschaulich aus dem Nähkästchen eines Ex-Premiers erzählen:
"Die großen Multis verunsichern die Regierung. Sie kommen immer mit dem Argument, wenn du nicht spurst, dann verlagern wir einfach unsere Investitionen, gehen woanders hin. So haben sie auch mir gedroht. Und diese Drohung mit der Kapitalflucht wenden sie permanent an. Mich hat das wenig beeindruckt.
Australien besitzt eine stabile Wirtschaft und ein stabiles politisches System. Wenn sie nach Namibia wollen – viel Glück! Sie geben einiges an Geld für Lobbyismus aus und machen sich Mühen, um Einschüchterungs-Strategien zu entwickeln. Australische Politiker lassen sich zu schnell in Panik versetzen; - aber ich muss auch sagen, ich war diesem Druck mehrfach ausgesetzt und es ist nicht einfach, das abzufedern, wenn die Lokalzeitung Stimmung macht."
Gut kapitalistisch verhalten sich die Konzerne nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren. Denn alles, wirklich alles, was man an den Förderstätten benötigt, muss von Perth heraufgebracht werden: alle Geräte oder Pumpen, der gesamte Fuhrpark, die Verpflegung, jede Schraube, jedes Kabel, aber eben auch ganze Häuser und deren Einrichtung und so weiter.
Das geschieht in aller Regel über die Straße, die entsprechend befahren und dadurch stark belastet und verschlissen wird. Anderseits ist durch die Versorger ein Geschäftsfeld entstanden, das gleichfalls viel Geld nach Perth fließen lässt.
Es hängt mit dem neuen Wohlstand zusammen, den manche ungern teilen möchten, wenn hin und wieder die politische Forderung ertönt, Westaustralien solle souverän werden, um keine Steuern an die australische Bundesregierung abgeben zu müssen. Ben Martin, der Journalist von der "Westaustralian", vernimmt es "very laid back", - ganz entspannt:
Offener Reichtum in Perth
"Das ist eine Idee ohne Substanz, sich von Australien zu trennen. Radikal-Konservative mögen das glauben. Sicher: Wegen der Rohstoffe sind wir reich. Aber mit Blick auf all das, was ein souveräner Staat leisten muss, wird das nichts. Und die anderen Staaten würden es auch nicht zulassen."
Der Reichtum wird in Perth offen zutage getragen – sichtbar in vielen Nobelkarossen, Prachtvillen oder Luxus-Jachten. Die im Schatten sieht man dagegen so gut wie nicht.
"Manna" ist eine private Organisation, die sich um Obdachlose und Bedürftige kümmert. Zum Interview wird bewusst in ein Altenheim gebeten, wo sie täglich ein Abendessen für 250 Hilfsbedürftige kochen und aus Diskretion nicht zur Essensausgabe im Park – drei Gänge gibt's dort plus alkoholfreie Getränke. Bev Lowe, Gründerin von "Manna" zählt auf, was sie sonst noch leisten:
"Es fing alles klein an, aber dann kochten wir immer mehr und an immer mehr Abenden. Mittlerweile verteilen 200 Freiwillige mehr als 5000 Essen im Monat. Die Zahl der Bedürftigen steigt und ganz dramatisch stieg sie übers letzte Jahr. In 20 Schulen bereiten wir ein warmes Frühstück zu und unterstützen außerdem vier andere Organisationen. Verarmten Familien stellen wir Schul-Uniformen zur Verfügung - im vergangenen Jahr waren es 1000 Kinder in 38 Schulen. Und wir veranstalten Partys für Senioren, zuletzt hatten wir eine Hawaii-Party. Wir holen sie aus Alten- und Pflegeheimen, 200 Senioren."
Wegen besonderer Umstände und wegen der aktuellen Kostenlawine verarmen zunehmend mehr Menschen, wie viel genau ist unbekannt. "Manna" ist nicht die einzige Hilfsorganisation für Obdachlose in Perth, aber sie ist die Größte.
Viele Unternehmen spenden, damit "Manna" helfen kann, - aber nicht jene Großkonzerne, die mit dem Rohstoffboom Milliarden scheffeln. Bevor wir uns trennen, sagt Bev Lowe noch etwas Überraschendes:
"80 Prozent unserer Obdachlosen sind weiß. Viele Leute denken, das sind Aboriginals, aber dem ist nicht so. Umgekehrt sind bei der Frühstücksausgabe 80 Prozent Aboriginal- oder afrikanische Kinder."
Ausgerechnet im Whiteman-Park tanzen drei Ureinwohner zu den geheimnisvollen Klängen eines Didgeridoos, so heißt das typische Blasinstrument der Aboriginals. Das Trio will auf die Geschichte der Ureinwohner und auf ihre Behandlung als Minderheit im eigenen Land hinweisen.
Einer der umstehenden, Jimmy Maher sein Name, ist Rentner, sein volles Haar ist silbrig, seine Haut porzellanweiß, die Augen sind stahlblau. Jimmy ist ein Aboriginal – Kind einer Mischehe:
"Wotschab heißt das Stammesgebiet von Perth. Es gab 14 Stämme im Noongar-Volk. Heute leben hier 40 000 Noongars. Und schauen sie mal, da sind viele Aboriginal-Mütter mit kleinen Kindern, diese Bevölkerung wächst also."
Tatsächlich sind 80 Prozent der jugendlichen Strafgefangenen in Westaustralien Aboriginals. Daneben verblasst völlig, wenn andere sich nicht nur in der multi-ethnischen Gesellschaft behaupten, sondern Karriere machen - als Ärzte, Lehrer, Polizisten.
"Alle Unis in Perth haben sehr gute Programme für Aboriginals. Viele von uns haben hohe Positionen in der Regierung oder im Gesundheitswesen. Nur wenige sind hingegen Anwälte, aber das ändert sich, weil auffiel, dass wir da nicht gut repräsentiert sind."
Den Rohstoff-Boom ziert aktuell eine Delle, die Produktion lahmt, Immobilienpreise als wichtiger Indikator sind gefallen. Aber in Perth wird weiter wild geplant, investiert und gebaut.
Trotz mancher Leerstände bei Neubauten. Es gilt das Prinzip Hoffnung. So, wie man früher zur Wallstreet nach New York schaute, so sieht Perth heute auf China. Von dort kommen die Aufträge und die fetten Überweisungen.
Sorgt sich eigentlich niemand, dass Hoffnung nur eine unsichere Basis für Entwicklungen ist? Abschließend noch einmal Ben Martin:
"Es gibt die Sorge, dass uns geringeres Wachstum in China wehtun würde, was zweifelsohne der Fall wäre. Es gibt ja auch keine Alternative zu China. Deshalb gibt es Bedenken. Aber die chinesische Führung selbst hat ein Interesse daran und obendrein die Hoffnung, das Wachstum kontrollieren zu können, sodass es nicht überhitzt und eine Blase oder den Absturz zur Folge hat."
Sorgen machen sich jedoch die wenigsten Einwohner, sie sind vielmehr begeistert vom Leben in ihrer Stadt. Lob für Perth hört man allenthalben, etwa von Rick Gamble, einem Rentner, der aus Langeweile einen Teilzeitjob angenommen hat. Auf die Frage, ob es auch Nachteile gäbe, sagt er klipp und klar:
"Nicht wirklich. Ich find es hier einfach toll. Superwetter, gutes Essen, nette Menschen, ja wirklich toll."