Mit grüner Power gegen schwarze Kohle
16:04 Minuten
Bei den Buschbränden in Australien verkohlten mehr als zwölf Millionen Hektar Land. Über eine Milliarde Tiere starben. Danach kamen die Wassermassen. Fast 70 Prozent der Australier sind wegen des Klimawandels alarmiert – und tun sie was?
Es ist wie immer: Monstrosity macht, was er will. Bernie Rolly zuckt mit den Schultern. So leicht ist der Rentner aus Yarragon, einem verschlafenen Nest im Hinterland Melbournes, der zweitgrößten Metropole Australiens, nicht aus der Fassung zu bringen.
"I have a horrible little dog. Monstrosity." Das kleine Monster ist Bernies Pudelmischling – und gerade damit beschäftigt im Schaugarten des "Baw-Baw Sustainability Network", der lokaler Umweltgruppe, Duftmarken zu setzen. Es gibt Nachholbedarf. Gestern mussten Hund und Herrchen den ganzen Tag zu Hause bleiben. Die Buschbrände, natürlich.
"Wir steuern geradewegs in die Katastrophe"
Aus dem benachbarten East Gippsland war der Rauch herübergeweht und hatte alles eingenebelt. Die Augen, erzählt der 70-Jährige mit dem grauen Rauschebart, brannten wie verrückt. Der Hals kratzte.
"Wir steuern geradewegs in die Katastrophe", sagt er. "Und was tut unsere konservative Regierung: Sie schaut dem Ganzen tatenlos zu. Für die ist Nachhaltigkeit ein Fremdwort. Unter der alten Labor-Regierung hatten wir eine CO2-Steuer und einen Handel mit CO2-Zertifikaten. Doch die Konservativen haben das abgeschafft. Es ist ein Desaster. Morrison, der Premierminister, sagt, er wolle keine Revolution beim Klimaschutz, sondern eine Evolution. Hallo? Die Evolution dauert Millionen Jahre. So viel Zeit haben wir nicht."
Missmutig stapft der Haudegen durch den Garten, vorbei an Himbeerbeeten und Knoblauchstauden. Alles Bio, wie seine Rosenzucht fünf Kilometer entfernt. 20.000 Rosen hat Bernie in guten Jahren gezüchtet: rote, gelbe, violette. 26 Jahre lang, bis der Boden immer weniger hergab. Er letztes Jahr aufgeben musste.
"Die Leute konnten sich bei uns anschauen, wie man sich vernünftig um Pflanzen kümmert. Meist waren alle überrascht: 'Wie, ihr wässert eure Rosen nur zwei Mal im Jahr?' Und wir: 'Ja, das reicht vollkommen.' Rosen brauchen kaum Wasser. Aber was tun die meisten Australier? Sie gießen ihre Rosen ohne Ende", erklärt er.
Nicht nur über Nachhaltigkeit reden, sondern handeln
Bernie schaut hoch. Da ist er endlich, Malcolm McKelvie, einer seiner zehn Mitstreiter aus dem Netzwerk. Der 53-Jährige ist noch ganz aus der Puste. In seiner Hausarzt-Praxis gab es einen Notfall, deshalb hat er sich verspätet.
"Wir in unserer Gruppe reden nicht nur über Nachhaltigkeit, wir handeln. Wir schließen die Lücke zwischen Theorie und Praxis. Wir gehen da pragmatisch vor. Am Wochenende öffnen wir wieder unseren Garten, damit sich Besucher anschauen können, wie sie auf kreative Art und Weise das ernten, was sie gesät haben."
Nachhaltiger Gemüseanbau - darauf legt Malcolm großen Wert. Genau wie darauf, dass die Leute weniger Energie verbrauchen. Seit mehr als zehn Jahren besucht der Mediziner Haushalte im Baw-Baw-Bezirk und schaut sich an: Wie hoch ist der Stromverbrauch? Ist das Haus wärmegedämmt? Wer will, bekommt von ihm ein Energieverbrauchszertifikat. 400 australische Dollar - umgerechnet rund 220 Euro – kostet das. Bundesweit gültig sei das zwar nicht, meint der drahtige Typ, während sich Monstrosity an den Himbeeren zu schaffen macht. Doch zumindest Malcolms Heimatstaat Victoria erkennt das Zertifikat an.
"Wir müssen so viel machen, weil unsere Bundesregierung uns in Stich lässt", kritisiert er. "Sie tut nichts in puncto Nachhaltigkeit. Ich könnte mir Besseres vorstellen, als drei Stunden lang bei jemandem zu sitzen, um mit ihm seinen Energieverbrauch durchzugehen. Doch ich fühle mich dazu verpflichtet. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir irgendwann eine Regierung bekommen, die sich endlich um die Umwelt kümmert. Die Frage ist nur, ob es dann nicht schon zu spät ist."
Ein ausrangierter Schulcontainer, mit Platz für 30 Leute und einem Poster mit dem Spruch: "Lebe einfach, damit andere einfach leben können". Willkommen in der Kommandozentrale des lokalen Netzwerks. Malcolm setzt sich zusammen mit Bernie an einen abgewetzten Schreibtisch. Es gibt viel zu bereden. Auch in Yarragon machen sich die Leute jetzt Sorgen, wollen von Malcolm wissen, ob die Brände etwas mit der Klimakrise zu tun haben. Alle, nur nicht der Bürgermeister.
Der Arzt verzieht das Gesicht. Sie sind nicht gerade die dicksten Freunde. Erst recht nicht, seit herausgekommen ist, dass Malcolm vor kurzem bei einer Blockadeaktion von Extinction Rebellion – der Umweltrebellen – in Melbourne mitgemacht hat und vorübergehend verhaftet worden ist.
"Ich bin schon viel länger bei den Grünen als bei Extinction Rebellion", erzählt er. "Was ich sagen will: Ich bin es gewöhnt, dass Leute mich einen Extremisten nennen und doof von der Seite anmachen. Ich weiß noch, kurz vor der Parlamentswahl letztes Jahr habe ich in meinem Garten im Beet herumgewühlt. Und plötzlich brüllt da dieser Typ: 'Was grinst du denn so blöd, du Schwachkopf!'"
"In Sonnen- und Windenergie steckt Riesenpotenzial"
Den einen oder anderen dummen Spruch hat sich auch schon Vanessa Petrie anhören müssen. Auch sie ein Greenie – ein Öko. Melbourne, die Flinders Lane im Herzen der 4,9-Millionen-Einwohner-Stadt. Hipster-Cafés gehen hier auf Tuchfühlung mit Schlipsträgern und Bettlern.
Oben, im zweiten Stock eines leicht heruntergekommenen Backstein-Gebäudes, sitzt Vanessas unabhängiges Thinktank "Beyond Zero Emissions". Thinktank und Netzwerk – wirft die 43-Jährige ein. Der Frau im schwarzen Hosenanzug ist das wichtig. Schließlich haben sich unter ihrem Schirm mehr als 200 kommunale Umweltgruppen vernetzt, darunter auch Malcolms Truppe. Sie eint ein Ziel: Australien CO2-frei machen. Idealerweise durch grüne Energie.
"Wenn du dir nur das Potential für Sonnen- und Windkraft innerhalb eines zehn Kilometerradius des bestehenden Stromnetzes in Australien anschaust: Das wäre mehr Energie, als wir jemals bräuchten", sagt sie. "In Sonnen- und Windenergie steckt Riesenpotenzial. Nicht zuletzt wirtschaftliches Potenzial. Das wissen die meisten Australier nur leider nicht. Allein das Northern Territory, das Bundesland im Norden: Dort existieren die weltweit besten Voraussetzungen für Sonnenkraft. Wir haben das einmal durchgerechnet. Wenn man dort 90 Gigawatt Sonnenenergie produzierte, dann würde das 8000 neue Jobs schaffen und jährliche Einnahmen von mehr als zwei Milliarden australischen Dollar."
Noch aber ist das Zukunftsmusik: Das muss man Vanessa nicht zweimal sagen, sie kennt die Fakten. Dass die CO2-Emissionen in Australien mit 17 Tonnen pro Kopf doppelt so hoch sind wie in Deutschland. Sich die australische Regierung weigert, das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen. Vanessas Augen werden zu zwei kleinen Schlitzen. Stimmt alles. Doch nur jammern hilft auch nicht.
Viel lieber verweist sie auf das, was schon einigermaßen gut läuft. Der Anteil von Wind- und Sonnenkraft am gesamten Strom-Mix etwa beträgt ein Viertel. Und auf zwei von 13 Millionen australischen Haushalten sind Sonnenkollektoren installiert.
Bloß nicht nur Hiobsbotschaften, so lautet auch Lachlan Rules Motto. Der 28-Jährige hat sich zu seiner Chefin ins Besprechungszimmer gesetzt - auch er ein Optimist. Auch er hofft, dass Australien durch die Buschbrände, die eine Fläche so groß wie ein Drittel Deutschlands verwüstet haben, wieder einen "Port Arthur Moment" erlebt.
"Ich hoffe sehr, ich bin Tasmanier", erzählt er. "Ich war in Tasmanien, als 1996 der Amoklauf in Port Arthur passierte. Danach haben die Leute eingesehen: Wir müssen unsere Waffengesetze verschärfen. Es könnte uns alle treffen. Ich hoffe sehr, dass wir das Gleiche jetzt nach den Buschbränden erleben. Es ist das erste Mal, dass Australier in Großstädten wie Sydney und Melbourne die Folgen der Klimakrise am eigenen Leib gespürt haben. Du merkst, Viele sind sauer, dass die Bundesregierung dem Ganzen tatenlos zugeschaut hat. Morrison, unser Premier, wiederholt ja gebetsmühlenartig: 'Die Jobs in der Kohleindustrie sind wichtiger als Klimaschutz'. Ich hoffe sehr, dass die Brände ein Wendepunkt sind."
Noch mindestens 100 Jahre Steinkohleförderung?
Auslaufmodell Steinkohle? Von wegen. Noch mindestens 100 Jahre werde das "schwarze Gold" auf dem Fünften Kontinent noch gefördert, ist sich Tony Maher, der Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft sicher. Sydney, Australiens Wirtschafts-Metropole, das Geschäftsviertel. Bis zur berühmten Oper sind es keine 15 Minuten, zum Landesparlament von New South Wales auch nicht viel länger. Beste Lage also.
Doch Mahers Draht zu den Mächtigen war schon einmal enger. In New South Wales haben, ähnlich wie in der Hauptstadt, die Konservativen das Sagen – und die stehen nicht unbedingt im Verdacht Gewerkschaftsfreunde zu sein. Die Greenies auch nicht. Der schwarzgekleidete Mann schüttelt den Kopf. Die erst recht nicht. Fordern doch allen Ernstes, den Kohleexport nach China und Indien zu stoppen, der Umwelt zuliebe.
"Die Wahrheit ist, das hätte keinen Einfluss auf die weltweiten CO2-Emissionen", sagt er. "Australiens Anteil am weltweiten Kohleabbau beträgt nur vier Prozent, wir exportieren jährlich 400 Millionen Tonnen Kohle. China produziert im selben Zeitraum 4 Milliarden Tonnen und importiert zusätzlich das bisschen Kohle von uns. Wenn sie nicht unsere Kohle importieren, holen sie sich einfach welche aus anderen Ländern."
Konstatiert der Gewerkschaftsboss, nur um hinzufügen allein zwischen Juli 2018 und Juni 2019 habe Australien Dank des Kohle-Exports 64,8 Milliarden australische Dollar eingenommen und so mehr als 50.000 Bergbauarbeitsplätze gesichert.
Mythos und Fakten: Bei Maher verschwimmt das zuweilen. Zwar stimmen die Zahlen, doch Tatsache ist auch, seit 2012 mussten elf Kohlekraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen schließen. Tausende Jobs verschwanden. Jobmotor Bergbau, das war einmal. Andere Branchen haben ihm längst den Rang abgelaufen.
So beschäftigt allein die Tourismusindustrie fast 650.000 Menschen. Maher aber bleibt bei seinem Mantra: Jeder Job zählt. Das, grummelt er, sollte sich auch sein Lieblings-Feind hinter die Ohren schreiben.
"Der ehemalige Führer der Grünen, Bob Brown, ist letztes Jahr im Wahlkampf im Konvoi von den südlichen Bundesstaaten nach Zentral-Queensland gefahren", sagt er. "Zu den Kohleminen. Um den Leuten zu sagen: 'Ihr werdet Eure Jobs verlieren! Ihr müsst Opfer bringen! Zum Wohle Australiens!' Und was war das Ende vom Lied? Die Wahlbezirke in Zentral-Queensland sind an die Konservativen gefallen. Brown ist ein eitler Pfau. Den Leuten vorzuschreiben, was sie zu tun haben und was nicht: Das geht gar nicht."
Wenn im Café auf Plastik serviert wird
Ein neuer Tag, eine andere Ecke von Sydney. Und damit zu einer Deutschen, die es 2001 nach Australien verschlagen hat und die gerade ziemlich fassungslos ist.
"Das ist ja wirklich hanebüchen, oder? Hier im Café wird einem Plastik serviert", sagt sie. "Das ist so was von unglaublich. Da ist Australien im Vergleich zu Deutschland extrem rückständig. Wie in fast allen Sachen, die Nachhaltigkeit angeht."
Über das ausbaufähige Umweltbewusstsein in ihrer Wahlheimat regt sich Ann-Charlott Paluch häufiger auf. Ansonsten aber lebt sie gerne Down Under. Erst recht, seit ihre vierköpfige Familie in Manly, dem Vorort mit seinen Bilderbuchstränden, eine Bleibe gefunden hat. Genau wie Bernie und Malcolm in Victoria hat sich die 50 Jahre alte Umweltberaterin dem "Zero Emissions Network" angeschlossen – und im September zusammen mit einer Handvoll Mitstreiterinnen ihre eigene Gruppe gegründet: "Zero Emissions Sydney North".
Die gebürtige Kölnerin hat gerade ziemlich viel am Hals. Gut 30 Stunden investiert Ann-Charlott pro Woche in ihr Ehrenamt. Telefoniert mit Ökostromanbietern. Mailt Herstellern von Sonnenkollektoren. Seit November läuft ihr Solarprogramm.
"Das nennt sich: 'Solar my house'. Das haben wir dann angefangen zu testen", erzählt sie. "Weil wir eben eine neue, Schrägstrich, alte Idee hatten, Solar über das Tupperware-Modell zu verkaufen, mit Solarpartys. Das hört sich natürlich ziemlich altmodisch an, aber der Gedanke mit Zero Emissions war: Wir wollen eben nicht sagen, macht einmal Solar aufs Dach und wechselt den Stromanbieter und dann seid ihr fertig. Sondern wir wollen so viele Leute wie möglich dafür begeistern sich zu engagieren - und auf diesen Zero-Emissions-Zug praktisch aufzuspringen."
Mit dem "Null-Emissions-Zug" auf der Überholspur
Der "Null-Emissions-Zug": Er hat kräftig an Fahrt gewonnen. Zumindest in Manly, das nicht nur die feinsten Sandstrände Sydneys hat, sondern auch jede Menge betuchtes Klientel. Anwalt war John MacLennan, ein erfolgreicher, bis der 66-Jährige von einem Tag auf den anderen entschied, es reicht. Acht Jahre ist das jetzt her.
Seitdem reist er viel. Engagiert sich ehrenamtlich, lange Zeit als Vorsitzender des australischen Roten Kreuzes. Und dank Ann-Charlott neuerdings auch als Umweltschützer. Praktischerweise.
"Eigentlich wollten wir immer schon Sonnenkollektoren installieren und so etwas für die Umwelt tun", sagt er. "Da passte uns die Solarparty gut in den Kram. Als Ann-Charlott und die anderen uns ausgerechnet haben, in spätestens sechs Jahren hat sich eure Investition amortisiert, haben meine Frau und ich uns nur angeschaut und gesagt, lass es uns machen. Es war einfach einleuchtend."
8000 australische Dollar haben die Sonnenkollektoren gekostet, seit Mitte November speisen sie Strom ins Netz. John strahlt Ann-Charlott an. Demnächst wollen sie sich wieder treffen, samt Videokamera. Der Jurist soll in einem Clip von "Zero Emissions Sydney North" mitmachen, um Werbung für grüne Energie zu machen. Und den Beweis anzutreten, dass sich die Emissionen doch auf Null drücken lassen – in Australien, dem Land der Greenies.