Die letzten zehn Jahre kommen immer mehr Klima-, Buschfeuer- und Hochwasserflüchtlinge nach Tasmanien. Je extremer die Wetter- und Klimabedingungen auf dem Festland werden, desto mehr Anfragen gibt es.
Australiens Klimaflüchtlinge
Auswandern mit Perspektive – die Anlegestelle Freycinet in der Coles Bucht in Tasmanien, Australiens größter Insel und kleinstem Bundesstaat. © imago images/YAY Images
Neustart in Tasmanien
23:18 Minuten
Dürren, Buschfeuer, Hochwasser – die Folgen des Klimawandels treffen Australien mit voller Wucht. Für viele ist das Leben auf dem Festland unerträglich geworden und sie fliehen nach Tasmanien. Aber ist das wirklich eine gute Idee?
Tasmanien hat seinem Taufpaten ein Denkmal gesetzt. Am Salamanca Place, im Herzen der Hauptstadt Hobart, steht der Tasman-Brunnen. Ein imposanter Sandsteinobelisk mit dem Kreuz des Südens thront über einem rundlichen Betonbecken, in dem Meerwasser um die bronzenen Miniaturnachbildungen dreier Segelschiffe plätschert.
Die mannshohe Statue daneben ist ein Abbild des holländischen Seefahrers Abel Tasman. Er hatte 1642 die Insel entdeckt, ihm zu Ehren trägt Australiens kleinster Bundesstaat seinen Namen. Tasman segelte damals nur ein paar Wochen entlang der Küste.
Heute zieht es moderne Neuankömmlinge nach Tasmanien – sie aber wollen bleiben. Für immer. Sie kommen nicht vom anderen Ende der Welt, sondern vom australischen Festland. Australier, die reif für die Insel sind. Klimaflüchtlinge in ihrem eigenen Land.
„Es macht Sinn auf unserer kleinen Insel im Südlichen Ozean zu leben. Ich rechne damit, dass immer mehr hierherkommen wollen.“
"Die Immobilienpreise gehen durch die Decke"
Eine Hitzewelle in Südaustralien, Waldbrände in Victoria, Überschwemmungen in New South Wales: Jedes Mal, wenn die Natur auf dem Festland verrücktspielt, klingelt bei Kim Morgan das Telefon. Morgan ist der leitende Manager bei "Peterswald for property", der führenden Immobilienagentur in Hobart.
„Ende der 90er“, erinnert sich Morgan, war der durchschnittliche Preis für ein Haus in Hobart 300.000 Euro. Heute liegt er doppelt so hoch: bei 600.000 Euro. Erst die inneraustralischen Klimamigranten hätten dem schwerfälligen tasmanischen Immobilienmarkt Beine gemacht.
„Allein im ersten Viertel dieses Finanzjahres hatten wir über sechs Prozent Wachstum. Die Immobilienpreise gehen durch die Decke. Trotzdem bleibt Tasmaniens Bevölkerungszahl durch stete Ab- und Einwanderung stabil. Den enormen Einwohnerzuwachs Hunderttausender wie in Teilen von Queensland, Melbourne oder Sydney über die letzten Jahre – den gibt es bei uns nicht.”
Gerade einmal 500.000 Einwohner auf einer Fläche so groß wie Bayern, 250 Kilometer südlich des australischen Kontinents. Tasmanien ist nicht das Ende der Welt, aber man kann es von dort aussehen.
Ein sich stetig aufheizendes Klima
Die Insel ist der letzte bewohnte Flecken Erde vor der Antarktis. Wer hier aufwächst, dem fällt schnell die Decke auf den Kopf. Dann geht man aufs Festland. Zum Studieren, wo mehr Arbeit ist oder mehr Leute sind.
„Es ist die australische Sehnsucht nach Sonne, Strand und dem ewigen Sommer“, glaubt Jason Byrne, Professor für Städteplanung an der Universität Tasmanien. Doch die Wirklichkeit seien: Rekordtemperaturen, Dürren und ein sich stetig aufheizendes Klima.
„Früher wollten die Menschen dahin ziehen, wo es wärmer ist. Jetzt aber stellen sie fest, dass das ein Fluch ist. Nehmen wir Sydney als Beispiel: Im Westen der Stadt ist es im Sommer bis zu 50 Grad heiß. Es ist gut möglich, dass es dort bald 55 Grad hat. So kann man nicht leben.”
Jason Byrnes Expertise in Sachen „Klima und Mobilität“ ist nicht nur berufsbedingt, sie ist auch persönlich. Byrne ist selbst ein Klimamigrant. Aufgewachsen im westaustralischen Perth studierte und promovierte er in den USA. Sein Spezialgebiet: nachhaltige Städteplanung.
Zu nah am Wasser gebaut
Zurück in Australien lehrte er an der Griffith Universität der Gold Coast. Australiens sechstgrößte Stadt liegt in einer Flussniederung direkt an der Küste südöstlich von Brisbane. Eine Region, die jährlich von starken Wirbelstürmen gebeutelt wird. Jason Byrne merkte schon bald, dass er buchstäblich zu nahe am Wasser gebaut hatte.
Als Wirbelsturm Debbie die Gold Coast traf, gab es verheerende Überschwemmungen. "Wir hatten Sorge, dass es uns auch früher oder später treffen würde. Als Städteplaner dachte ich: Das kann nicht gut gehen. Wir müssen hier weg."
Byrne bekam Jobangebote von Unis in ganz Australien. Wie sich das für einen Wissenschaftler gehört, verglich er Klimamodelle, Statistiken und Bevölkerungstabellen. Am Ende entschied er sich dafür, mit Kind und Kegel fast 1800 Kilometer weiter südlich, nach Tasmanien zu gehen. Aus guten Gründen.
„Tasmanien hat Lebensmittelsicherheit, eine verlässliche Wasserversorgung, eine stabile Regierung, eine funktionierende Infrastruktur, ein anständiges Gesundheitssystem, dazu gute Schul- und Bildungseinrichtungen. All das beizubehalten, ist einfacher, als die enormen Veränderungen, die anderswo durch den Klimawandel bewältigt werden müssen.“
Gemäßigtes Klima in Tasmanien
Abgesehen davon, das es dort keine Wirbelstürme gibt: Tasmanien hat einen unschlagbaren Vorteil gegenüber allen anderen australischen Bundesstaaten. Die Insel liegt auf dem 40. Breitengrad, ihr gemäßigtes Klima wird durch das umliegende Meer bestimmt.
Oder wie es Klimaforscher Nick Earl von der Universität Tasmanien ausdrückt: Während sich das Festland immer mehr aufheizt, sorgen der südliche Ozean und die Gefriertruhe der Antarktis dafür, dass Tasmanien das alles kalt lässt.
„Wir sind dem Polarkreis näher als dem Festland. Die Sonne ist im Sommer nicht so stark, die UV-Strahlung geringer. Es ist einfach angenehmer. Dafür kann es im Frühling auch schon einmal schneien."
„Tasmaniens Berge sorgen dafür, dass sich die Luft, selbst an heißen Tagen, nachts wieder abkühlt. Die extreme Hitze, die im Sommer das Festland plagt, ist in Tasmanien halb so wild.”
Kristallklare Bäche und saubere Luft
Kristallklare Bäche und Seen, die saubere Luft, dichte Wälder und fast die Hälfte der Insel ein Nationalpark: Ferienzeit hieß für Susan McKinnon und Ken Denman aus Queensland seit jeher: Urlaub in Tasmanien. Wandern, unberührte Natur erleben, draußen sein. Tasmanien war für sie alles, was ihre Heimat im Lockyer Valley westlich von Brisbane, nicht mehr war.
„Die Gegend, in der ich aufgewachsen bin und in der wir lebten, hat sich völlig verändert. Die Temperaturen waren früher erträglich, wir hatten sogar Frost im Winter. Das aber gibt es dort seit 20 Jahren nicht mehr. Alles ist anders. Es wird immer heißer.”
Susan, 56 Jahre alt, war Dozentin für Tourismus an der Universität Süd-Queensland, Ken ist 58 Jahre alt und Ingenieur. Die beiden lebten in einem Landhaus auf einem drei Hektar großen Grundstück, mitten im Busch.
Doch der Regen wurde Jahr für Jahr weniger, die Dürren immer länger und die Hitze immer unerträglicher.
„In Queensland gingen wir von einem Haus mit Klimaanlage zu einem Auto mit Klimaanlage und fuhren damit in ein Büro mit Klimaanlage. Und dann wieder zurück. So lebten wir, tagein tagaus. Es war zu heiß und zu schwül, um draußen irgendetwas zu unternehmen. Mit der Zeit zerstört das deine Seele.“
Ihr Aha-Erlebnis kam für beide an Kens 50. Geburtstag. Susans Geschenk war ein Kurztrip nach Tasmanien. Es war Oktober, Sommeranfang. Beim Rückflug hatte es in Hobart milde 14 Grad, bei der Ankunft in Brisbane 40 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Um neun Uhr abends. Susan und Ken hatten endgültig genug.
Keine zehn Pferde bekommen sie wieder weg
Sie hielten Kriegsrat und beschlossen, nach Tasmanien zu ziehen. Dort leben sie seit jetzt sieben Jahren in der Nähe von Hobart. Susan arbeitet bei einem Busunternehmen, Ken weiter als Ingenieur. Keine zehn Pferde würde die beiden von dort wieder wegbekommen.
„Was wir an Tasmanien so mögen ist, dass es vier Jahreszeiten gibt. In Queensland war immer nur Sommer.“
„Wir beide vermissen unsere Verwandten. Für die Familie leben wir fast in völliger Abgeschiedenheit. Trotzdem ist Tasmanien ein Paradies. Am meisten liebe ich den Schnee. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt.“
„Rein städteplanerisch hat Abgeschiedenheit auch seine Vorteile“, meint Uni-Professor Jason Byrne. Millionen Australier waren in Sydney und Melbourne während der Coronakrise monatelang im Lockdown, in Tasmanien aber ging das Leben fast unbeirrt weiter. Weil man sich abschottete. Die Insel war eine Festung, das Meer der schützende Wassergraben.
Der Flugverkehr mit dem Festland wurde eingestellt, die Zugbrücke hochgezogen. Wer weit ab vom Schuss ist, der wird auch nicht getroffen.
Das Ziel: dem Klimawandel entgehen
Das dachte sich schon ein texanischer Milliardär in den 60er-Jahren. Er kaufte sich 18.000 Hektar Land in Zentral-Tasmanien und baute sich darauf seinen eigenen Atomschutzbunker. „Was für ihn damals die Bedrohung durch den Kalten Krieg war“, glaubt Jason Byrne, das sei für viele heute die Erderwärmung.
„Die Leute dachten damals: ´Was für ein Trottel` und haben den Mann ausgelacht. Heute macht das niemand mehr, wenn jemand ganz bewusst nach Tasmanien zieht, um den Auswirkungen des Klimawandels zu entgehen.“
Erst waren es nur Rentner oder Australieneinwanderer mit europäischem oder südafrikanischem Akzent. Inzwischen sind aber auch immer mehr Familien, Fachkräfte und Freiberufler unter Tasmaniens Klimamigranten.
Obwohl der Arbeits- und Wohnungsmarkt begrenzt, Sozialeinrichtungen und die medizinische Versorgung oft unterfinanziert sind. Ken Denman brauchte über ein halbes Jahr, bis er einen guten Hausarzt gefunden hatte.
“Man muss darauf vorbereitet sein, dass nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Es gibt Engpässe bei Dienst- und Serviceleistungen, denn je mehr hierherkommen, desto stärker wird die Infrastruktur belastet."
„Es wird Wachstumsschmerzen geben und die Regierung wird es nicht leicht haben mit den Bedürfnissen der Menschen, die in Tasmanien leben wollen, Schritt zu halten.“
Es wird ein Bauboom erwartet
Verkehrsnachrichten waren für Hobarts Radiostationen früher nie mehr als ein Quickie. In 15 Sekunden war alles vorbei, Stau ein Fremdwort. Heute dauert es morgens schon einmal zehn Minuten, um über die Tasman-Brücke in die City hinein und Freitagnachmittag eine halbe Stunde, um herauszukommen.
Hinter Sydney ist Hobart Australiens zweitälteste Stadt. Voller historischer Sandsteinbauten und Einfamilienhäuser. Mehrstöckige Wohnblocks aber gibt es so gut wie keine. Die Bevölkerungsdichte ist extrem niedrig. Pro Hektar stehen in tasmanischen Städten nur ganze zehn Häuser oder Wohnungen, in Sydney oder Melbourne sind es 120. Städteplaner Jason Byrne rechnet mit einem Bauboom.
„Wir reden über eine mittlere Bebauungsdichte wie sie auch in Teilen von Berlin, Barcelona oder Paris üblich ist. Fünf- bis siebenstöckige Gebäude. Für Tasmanier ist das ein Horrorszenario, aber wir müssen unsere Städte anpassen, um eine verstärkte Zuwanderung zu bewältigen.“
Es gibt keine offiziellen Zahlen oder Statistiken, wie viele der australischen Zuzügler in Tasmanien Klimamigranten sind. Schätzungen gehen von ein paar Hundert bis zu ein paar Tausend im Jahr aus.
Eines aber haben sie gemeinsam. Auf eine australische Klimapolitik, die diesen Namen auch verdient, wollen sie nicht warten. Tasmaniens Susan McKinnons und Jason Byrnes haben schon mit ihren Füßen abgestimmt. Den Titel „Klimaflüchtling“ tragen sie jedenfalls mit Stolz.
„Wenn ich über dieses Thema rede, dann sagen mir Tasmanier halb im Scherz: 'Halt die Klappe, wir wollen nicht, dass jeder darüber Bescheid weiß.' Aber Menschen von hier fernzuhalten, wird nicht möglich sein. Wenn sie hierherziehen wollen, dann werden sie das auch tun.“