Australiens Wahrzeichen
Die Lage der Aborigines in Australien, die erst 1967 Bürgerrechte erhielten, ist trotz Rückgaben von Stammesgebieten und Förderprogrammen immer noch erbärmlich. Umso mehr klammern sich Australiens Ureinwohner an solche uralten Symbole wie den Ayers Rock, ihre heiligste Kultstätte, der Fels mitten in der Wüste, den sie Uluru nennen. Vor genau 25 Jahren haben sie ihn von den Weißen zurückbekommen, ein Nationalpark entstand. Während die Besucher in schicken Hotels auf der einen Seite des Felsens leben, hausen auf der anderen die Aborigines unter elenden Umständen.
Tagesanbruch im Herzen Australiens, 450 Kilometer westlich von Alice Springs. Wie der Rücken eines gigantischen Wals ragt in der schier endlosen Wüste ein gewaltiger Fels aus der kargen Erde, drei Kilometer lang, bis zu zwei Kilometer breit und 348 Meter hoch. Das fahle Morgenlicht taucht den riesigen, porösen Sandstein in ein weiches Orange, bis der ganze Berg von der Sonne erfasst wird und in der flirrenden Hitze glutrot zu leuchten beginnt. Die Weißen nennen den zerklüfteten, porösen Felsrücken Ayers Rock, aber für die Aborigines ist er Uluru – die heiligste Kultstätte der Ureinwohner, Australiens Zauberberg.
"Wir haben eine starke spirituelle Verbindung mit dem Land. Und dieser Felsen ist das Zentrum unseres Glaubens. Was für Weiße die Bibel ist, das sind Träume für Aborigines. Sie erzählen vom Beginn des Lebens und wie wir es führen sollen. Der Ayers Rock ist das Symbol unserer Kultur - zusammen mit der Natur, die ihn umgibt. Und jeder kann hier daran teilhaben."
Graeme Calma gehört zu den Anangu, dem Stamm, der seit mehr als 10.000 Jahren das Gebiet um Uluru bewohnt. Er wurde in Mutitjulu geboren, einem 450-Einwohner-Ort an der Ostseite des Felsens. Geologen vergleichen Uluru mit einem riesengroßen Kieselstein, der bis vor 400 Millionen Jahren auf dem Grund eines urzeitlichen Meeres lag. Die Aborigines aber glauben, dass ihre Ahnen den Berg geformt haben und noch immer dort leben. Nach der weißen Besiedelung Australiens wurden die Ureinwohner überall von ihrem Stammesland vertrieben. Auch aus dem Schatten des Ayers Rock. Erst vor 25 Jahren kam das Heiligtum der Aborigines wieder in ihren Besitz. Einzige Bedingung: Das 1300 Quadratkilometer große Gebiet rund um Uluru wurde zum Nationalpark.
Für Australiens Aborigines war wieder Land in Sicht. Von der symbolischen Bedeutung einmal abgesehen: Die feierliche Rückgabe des Ayers Rock an seine traditionellen Besitzer war für die Anangu wie ein Lottogewinn. Die Aussicht auf ein garantiertes Jahreseinkommen, auf Unabhängigkeit von der Sozialhilfe - auf Wohlstand. Uluru wurde zur Touristenattraktion. Jeder Besucher des Nationalparks bezahlt Eintritt, umgerechnet etwa 20 Euro. So etwas wie eine Schutzgebühr: Der Großteil des Geldes wird für das Instandhalten des Parks verwendet. Was übrig bleibt aber geht an die Anangu. Letztes Jahr kamen 500.000 Besucher. Doch etwa 300.000 sind auf den Ayers Rock geklettert – und haben damit den Glauben der Aborigines, buchstäblich, mit Füßen getreten.
"Die Leute sagen: Ich will nur schnell nach oben und ein Foto machen. Aber sie hätten wohl auch etwas dagegen, wenn ich auf ihren Grund und Boden käme und auf den Gräbern ihrer Familie herumtrampeln würde – nur um ein paar Schnappschüsse zu machen."
Ranger Norm Grogan ist einer der wenigen Aborigines in der senffarbenen Uniform der Parkverwaltung. Er gehört zu den Anangu, die sagen: "Hände weg von Uluru". Der Berg sei schließlich nicht der Eiffelturm. Ginge es nach Norm, dann dürfte niemand auch nur einen Fuß auf den Fels setzen. Die Mehrheit des Stammes aber will die Touristen nicht vergraulen. Obwohl vor fünf Monaten wieder ein Besucher am Felsen ums Leben gekommen ist – abgestürzt. Der 36. in 50 Jahren. Die australische Regierung überlegt den Aufstieg für immer zu sperren. "Für uns wäre das eine Katastrophe", protestiert Busunternehmer Steven Ciobo, der Sightseeing-Trips zum Ayers Rock anbietet. Betreten-Verboten-Schilder wären das Letzte, was Touristen dort sehen möchten:
"Der Ayers Rock ist eines der Wahrzeichen Australiens, weshalb Touristen aus aller Welt zu uns kommen. Unsere Tourismusindustrie beschäftigt 500.000 Menschen. Und wir wollen nicht den Eindruck machen als hätte Australien die Rollladen heruntergelassen und sei für Besucher geschlossen."
Auf dem Uluru-Parkplatz, am Fuß des Felsens: Die morgendliche Rush Hour hat begonnen. Wie eine Perlenkette aus Blech rollen Punkt neun die Reisebusse an. Stoßstange an Stoßstange. An Bord voll klimatisierte Pauschaltouristen mit gezückten Videokameras, gepackten Lunchpaketen und Sonnenbrand. Im Morgengrauen haben sie gebannt auf einer Aussichtsplattform miterlebt, wie das erste Sonnenlicht den Ayers Rock zum Leben erweckt. Jetzt aber wollen sie den heiligen Berg der Aborigines aus der Nähe sehen. Am besten von ganz oben.
Der Berg ruft. "Wir sind nur wegen der Aussicht hier", sagt Fred, ein übergewichtiger Taxifahrer aus New York, "und deshalb wollen wir auf den Ayers Rock hinaufklettern." Nur ein paar Schritte vom Parkplatz führt ein schmaler, ausgetretener Trampelpfad über den nackten Felsrücken bis auf den Gipfel. Die Aborigines haben dort mehrsprachige Schilder aufgestellt, auf denen sie Besucher bitten, auf die Kletterpartie zu verzichten. Alle Touristen lesen die Tafeln – aber die meisten ignorieren sie.
"Wir Amerikaner lesen keine Schilder – wir ziehen einfach los. Wir lieben eine Herausforderung – und wenn hier ein Berg ist, dann wollen wir auch hinaufklettern. Der einzige Grund für uns hierherzukommen war den Fels zu besteigen. Und das haben wir getan. Wir hatten eine fantastische Zeit."
"Anschauen ja, aber berühren ist tabu", sagt Willie Mala, 76, ein Anangu mit schneeweißen Haaren, "die Menschen sollen um den Felsen herum gehen aber nicht hinauf." Barfuß und die Beine verschränkt sitzt Willie vor der Schule von Mutitjulu auf dem Boden. Mit einem Stock ritzt er die Symbole uralter Schöpfungslegenden in den roten Sand: Mala, das Ur-Känguruh, Liru und Kuniya, die beiden Schlangen, deren Kampf die Südseite des Ayers Rock zerklüftet haben soll. Auf die Frage, warum die Anangu den Touristen den Aufstieg auf Uluru nicht einfach verbieten, lässt sich Willie mit der Antwort lange Zeit.
"Wir möchten, dass die Weißen nicht hinaufklettern, sondern uns respektieren. Aber das tun sie nicht, wenn wir den Felsen sperren."
Uluru wird aus Respekt nicht einmal überflogen, es ist ein heiliger Ort. Die Horden keuchender Wanderer aber, die sich den steilen, einstündigen Weg nach oben schleppen – für die Ureinwohner sind sie Gotteslästerer.
"Ich sage der Gruppe, dass man nicht mehr hinaufsteigen soll, weil die traditionellen Besitzer das nicht mehr gerne sehen. Nach ihrer Meinung ist das wie wenn man bei uns auf einem Altar herumtrampelt in der Kirche."
Ein Klammerbrett mit Notizen unterm Arm, schon von Weitem - auch beim besten Willen - nicht zu überhören und auf jede Frage eine Antwort: Ingrid Trentner führt seit 20 Jahren deutschsprachige Reisegruppen durch Zentralaustralien. Familien mit leicht wackeligem Englisch, Rentner mit Fernweh. Mangelnden Respekt, Unwissenheit oder die Ignoranz einiger weniger versucht sie durch Information wieder wettzumachen. Ihre erste Station am Ayers Rock ist immer das Kulturzentrum, in dem jeder Besucher über die spirituelle Bedeutung des Felsens für die Ureinwohner erfährt. Danach verzichten in der Regel alle, oder fast alle der Reiseteilnehmer auf eine Kletterpartie.
"Auf der anderen Seite gibt es die Bergsteiger. Ich habe schon Bergsteiger gehabt, die die ganze Welt bestiegen haben. Die haben gesagt: Der Berg ist Natur, der gehört allen. Wir wollen da oben sein. Wir wollen sagen, wir waren am Ayers Rock oben."
Obwohl oder gerade weil er als Australiens Wahrzeichen gilt, können viele Touristen einfach nicht die Finger vom Ayers Rock lassen. Filmdosen voller Sand, Steine oder ganze Felsbrocken werden als Andenken mitgenommen. Karl und Harald Fräsner, zwei Mittvierziger aus der Gegend von Stuttgart, haben dafür kein Verständnis. "Ich schäme mich manchmal für andere Touristen", gesteht Harald. Den beiden kommt jedenfalls kein Mini-Ayers-Rock in die Tüte.
"Aus Respekt vor den Aborigines – deshalb nicht." – "Man soll sich ja irgendwie an das Land anpassen, das man besucht. Für mich sind die Aborigines so eine Art Gastgeber und da muss man sich danach richten, was die meinen oder vorgeben."
Wer als Tourist Uluru besuchen will hat zwei Möglichkeiten. Entweder auf einem Tagesausflug von Alice Springs oder man bleibt über Nacht – auf dem Campingplatz oder in einem der 930 Zimmer des Ayers Rock Resorts, einer Hotelanlage mitten im Outback, etwa 20 Kilometer vom Felsen entfernt. Alice Springs, Ayers Rock und zurück, das sind elf Stunden Busfahrt durch menschenleere Einöde. Kein Wunder, dass das Resort meist ausgebucht ist.
Abendessen unter Sternenhimmel, Swimming Pools und klimatisierte Räume: Das Ayers Rock Resort ist wie eine Oase in der Wüste. Restaurants, Bars und ein Internet-Café, Supermarkt, Tankstelle und ein Fotoshop. 670 Angestellte arbeiten dort – nicht einer ist ein Aborigine. Mutitjulu ist nur 15 Autominuten weit weg. Die Anangu leben dort, buchstäblich, im Schatten des Ayers Rock. Unter Bedingungen wie in der Dritten Welt.
Am Ortsrand von Mutitjulu, östlich des Ayers Rock. Marandoo Yanner führt durch sein Zuhause. Zwölf Menschen, vier Erwachsene und acht Kinder, drängen sich in den drei Zimmern der schäbigen Baracke. Auf dem nackten Betonboden liegen zerschlissene Matratzen. Keine Elektrizität, kein fließend Wasser, das rostige Wellblechdach ist voller Löcher, nicht eine Fensterscheibe ist heil. Marandoo ist 35, aber weil er Schwierigkeiten mit Computern hat, bekommt er keinen Job bei der Uluru-Parkverwaltung. Er ist seit Jahren arbeitslos.
Marandoos Mutter Victoria beschwert sich nicht. Ungeschickt versucht sie die Gläser ihrer dicken Hornbrille an einem schmutzigen Wollpullover sauber zu machen: "Wir sind selbst an allem schuld", gesteht sie, "man braucht sich doch nur in unserem Dorf umzusehen".
Heruntergekommene Häuser, verwahrloste Gärten, Autos, die nicht mehr fahren. Weil niemand sie repariert, bleiben sie einfach liegen, zusammen mit Plastiktüten und Coladosen. Benzinschnüffler und Betrunkene dösen im Schatten der Bäume, Kinder stopfen Fast Food in sich hinein. Victoria Yanner war 30, als Uluru ihrem Stamm zurückgegeben wurde. Damals hoffte sie ihre Kinder könnten jetzt genauso aufwachsen wie die weißer Familien. "Diesen Traum", sagt sie, "haben wir uns selbst kaputtgemacht."
"Es sollte uns eigentlich besser gehen als vielen anderen Aborigine-Gemeinden, denn wir haben den Felsen vor der Haustür, der uns Geld bringt. Aber wir haben dieselben Probleme: Unsere Kinder gehen nicht in die Schule, sie haben keine Ausbildung und die meisten der Erwachsenen bemühen sich gar nicht um Arbeit. Sie warten nur auf den nächsten Zahltag."
Die Pachtzahlungen für das Gebiet am Ayers Rock waren für die Anangu ein Fortschritt ins Nichts. Zu viele blieben gefangen in einem Teufelskreis aus Suff, häuslicher Gewalt, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit. Der Anwalt Noel Pearson, Australiens bedeutendster Ureinwohneraktivist, kritisiert seit Jahren die Übereinkunft zwischen der Uluru-Nationalparkverwaltung und den örtlichen Aborigines. Pearson nennt den monatlichen Scheck "sit down money", Geld, für das niemand etwas tun muss. Geld, das alles nur noch schlimmer mache.
"Jede Form von Wohlfahrt ist schlecht für mein Volk, aber es ist alles, was es hat. Wer nur von Stütze lebt ohne dafür etwas leisten zu müssen riskiert den Zusammenhalt von Familien und ganzer Gemeinden. Sozialhilfe muss an Verantwortung gekoppelt werden. Es ist schrecklich, wenn Aborigine-Eltern ihr Geld verspielen und vertrinken. Vor allem wenn dieses Geld ihren Kindern zusteht."
Versuche gab es mehrere, aber in 25 Jahren gelang es der Gemeinde von Mutitjulu nur eine einzige Geschäftsidee erfolgreich zu verwirklichen: "Anangu Tours". Ein Unternehmen, das Touristen Führungen an und um den Ayers Rock anbietet. Ausflüge in eine Welt urzeitlicher Felsmalereien, Buschnahrung und Geschichten aus der Traumzeit: Uluru sehen durch die Augen der Aborigines.
"Anangu Tours", zu 100 Prozent in Aborigine-Hand, war nur der Anfang. Erst vor ein paar Tagen wurde das Ayers Rock Resort für 215 Millionen Euro an eine regierungsfinanzierte Aborigine-Stiftung verkauft. Nicht als Geldanlage, sondern als Ausbildungszentrum. In den nächsten fünf Jahren sollen dort 500 junge Aborigines das Hotelfach erlernen. Von Grund auf. Ureinwohnerkinder aus ganz Australien – vor allem aber aus Mutitjulu. Ein Projekt, auf das Aborigine-Aktivist Noel Pearson seit 25 Jahren gewartet hat:
"Wir brauchen die Unterstützung und den guten Willen aller Australier und die Unterstützung der Regierung – aber letztendlich sind wir Aborigines die Herren unseres eigenen Schicksals. Wir müssen Verantwortung übernehmen – nur dann haben unsere Gemeinden eine Zukunft, die wir auch selbst mitbestimmen."
1985 bekamen die Anangu mit der Rückgabe des Ayers Rock so etwas wie einen Blankoscheck ausgestellt, ein Darlehen für ihre Zukunft. Doch das Geld bedeutete für die Aborigines nicht – wie erhofft – mehr Freiheit, sondern noch mehr Abhängigkeit. 25 Jahre später soll es an Australiens ältester Kultstätte für die Aborigines einen Neubeginn geben. "Uluru" heißt im örtlichen Aborigine-Dialekt soviel wie "Platz, der vor der Sonne schützt". Für die Anangu scheint die Zeit gekommen endlich aus dem langen Schatten des Ayers Rock herauszutreten.
"Wir haben eine starke spirituelle Verbindung mit dem Land. Und dieser Felsen ist das Zentrum unseres Glaubens. Was für Weiße die Bibel ist, das sind Träume für Aborigines. Sie erzählen vom Beginn des Lebens und wie wir es führen sollen. Der Ayers Rock ist das Symbol unserer Kultur - zusammen mit der Natur, die ihn umgibt. Und jeder kann hier daran teilhaben."
Graeme Calma gehört zu den Anangu, dem Stamm, der seit mehr als 10.000 Jahren das Gebiet um Uluru bewohnt. Er wurde in Mutitjulu geboren, einem 450-Einwohner-Ort an der Ostseite des Felsens. Geologen vergleichen Uluru mit einem riesengroßen Kieselstein, der bis vor 400 Millionen Jahren auf dem Grund eines urzeitlichen Meeres lag. Die Aborigines aber glauben, dass ihre Ahnen den Berg geformt haben und noch immer dort leben. Nach der weißen Besiedelung Australiens wurden die Ureinwohner überall von ihrem Stammesland vertrieben. Auch aus dem Schatten des Ayers Rock. Erst vor 25 Jahren kam das Heiligtum der Aborigines wieder in ihren Besitz. Einzige Bedingung: Das 1300 Quadratkilometer große Gebiet rund um Uluru wurde zum Nationalpark.
Für Australiens Aborigines war wieder Land in Sicht. Von der symbolischen Bedeutung einmal abgesehen: Die feierliche Rückgabe des Ayers Rock an seine traditionellen Besitzer war für die Anangu wie ein Lottogewinn. Die Aussicht auf ein garantiertes Jahreseinkommen, auf Unabhängigkeit von der Sozialhilfe - auf Wohlstand. Uluru wurde zur Touristenattraktion. Jeder Besucher des Nationalparks bezahlt Eintritt, umgerechnet etwa 20 Euro. So etwas wie eine Schutzgebühr: Der Großteil des Geldes wird für das Instandhalten des Parks verwendet. Was übrig bleibt aber geht an die Anangu. Letztes Jahr kamen 500.000 Besucher. Doch etwa 300.000 sind auf den Ayers Rock geklettert – und haben damit den Glauben der Aborigines, buchstäblich, mit Füßen getreten.
"Die Leute sagen: Ich will nur schnell nach oben und ein Foto machen. Aber sie hätten wohl auch etwas dagegen, wenn ich auf ihren Grund und Boden käme und auf den Gräbern ihrer Familie herumtrampeln würde – nur um ein paar Schnappschüsse zu machen."
Ranger Norm Grogan ist einer der wenigen Aborigines in der senffarbenen Uniform der Parkverwaltung. Er gehört zu den Anangu, die sagen: "Hände weg von Uluru". Der Berg sei schließlich nicht der Eiffelturm. Ginge es nach Norm, dann dürfte niemand auch nur einen Fuß auf den Fels setzen. Die Mehrheit des Stammes aber will die Touristen nicht vergraulen. Obwohl vor fünf Monaten wieder ein Besucher am Felsen ums Leben gekommen ist – abgestürzt. Der 36. in 50 Jahren. Die australische Regierung überlegt den Aufstieg für immer zu sperren. "Für uns wäre das eine Katastrophe", protestiert Busunternehmer Steven Ciobo, der Sightseeing-Trips zum Ayers Rock anbietet. Betreten-Verboten-Schilder wären das Letzte, was Touristen dort sehen möchten:
"Der Ayers Rock ist eines der Wahrzeichen Australiens, weshalb Touristen aus aller Welt zu uns kommen. Unsere Tourismusindustrie beschäftigt 500.000 Menschen. Und wir wollen nicht den Eindruck machen als hätte Australien die Rollladen heruntergelassen und sei für Besucher geschlossen."
Auf dem Uluru-Parkplatz, am Fuß des Felsens: Die morgendliche Rush Hour hat begonnen. Wie eine Perlenkette aus Blech rollen Punkt neun die Reisebusse an. Stoßstange an Stoßstange. An Bord voll klimatisierte Pauschaltouristen mit gezückten Videokameras, gepackten Lunchpaketen und Sonnenbrand. Im Morgengrauen haben sie gebannt auf einer Aussichtsplattform miterlebt, wie das erste Sonnenlicht den Ayers Rock zum Leben erweckt. Jetzt aber wollen sie den heiligen Berg der Aborigines aus der Nähe sehen. Am besten von ganz oben.
Der Berg ruft. "Wir sind nur wegen der Aussicht hier", sagt Fred, ein übergewichtiger Taxifahrer aus New York, "und deshalb wollen wir auf den Ayers Rock hinaufklettern." Nur ein paar Schritte vom Parkplatz führt ein schmaler, ausgetretener Trampelpfad über den nackten Felsrücken bis auf den Gipfel. Die Aborigines haben dort mehrsprachige Schilder aufgestellt, auf denen sie Besucher bitten, auf die Kletterpartie zu verzichten. Alle Touristen lesen die Tafeln – aber die meisten ignorieren sie.
"Wir Amerikaner lesen keine Schilder – wir ziehen einfach los. Wir lieben eine Herausforderung – und wenn hier ein Berg ist, dann wollen wir auch hinaufklettern. Der einzige Grund für uns hierherzukommen war den Fels zu besteigen. Und das haben wir getan. Wir hatten eine fantastische Zeit."
"Anschauen ja, aber berühren ist tabu", sagt Willie Mala, 76, ein Anangu mit schneeweißen Haaren, "die Menschen sollen um den Felsen herum gehen aber nicht hinauf." Barfuß und die Beine verschränkt sitzt Willie vor der Schule von Mutitjulu auf dem Boden. Mit einem Stock ritzt er die Symbole uralter Schöpfungslegenden in den roten Sand: Mala, das Ur-Känguruh, Liru und Kuniya, die beiden Schlangen, deren Kampf die Südseite des Ayers Rock zerklüftet haben soll. Auf die Frage, warum die Anangu den Touristen den Aufstieg auf Uluru nicht einfach verbieten, lässt sich Willie mit der Antwort lange Zeit.
"Wir möchten, dass die Weißen nicht hinaufklettern, sondern uns respektieren. Aber das tun sie nicht, wenn wir den Felsen sperren."
Uluru wird aus Respekt nicht einmal überflogen, es ist ein heiliger Ort. Die Horden keuchender Wanderer aber, die sich den steilen, einstündigen Weg nach oben schleppen – für die Ureinwohner sind sie Gotteslästerer.
"Ich sage der Gruppe, dass man nicht mehr hinaufsteigen soll, weil die traditionellen Besitzer das nicht mehr gerne sehen. Nach ihrer Meinung ist das wie wenn man bei uns auf einem Altar herumtrampelt in der Kirche."
Ein Klammerbrett mit Notizen unterm Arm, schon von Weitem - auch beim besten Willen - nicht zu überhören und auf jede Frage eine Antwort: Ingrid Trentner führt seit 20 Jahren deutschsprachige Reisegruppen durch Zentralaustralien. Familien mit leicht wackeligem Englisch, Rentner mit Fernweh. Mangelnden Respekt, Unwissenheit oder die Ignoranz einiger weniger versucht sie durch Information wieder wettzumachen. Ihre erste Station am Ayers Rock ist immer das Kulturzentrum, in dem jeder Besucher über die spirituelle Bedeutung des Felsens für die Ureinwohner erfährt. Danach verzichten in der Regel alle, oder fast alle der Reiseteilnehmer auf eine Kletterpartie.
"Auf der anderen Seite gibt es die Bergsteiger. Ich habe schon Bergsteiger gehabt, die die ganze Welt bestiegen haben. Die haben gesagt: Der Berg ist Natur, der gehört allen. Wir wollen da oben sein. Wir wollen sagen, wir waren am Ayers Rock oben."
Obwohl oder gerade weil er als Australiens Wahrzeichen gilt, können viele Touristen einfach nicht die Finger vom Ayers Rock lassen. Filmdosen voller Sand, Steine oder ganze Felsbrocken werden als Andenken mitgenommen. Karl und Harald Fräsner, zwei Mittvierziger aus der Gegend von Stuttgart, haben dafür kein Verständnis. "Ich schäme mich manchmal für andere Touristen", gesteht Harald. Den beiden kommt jedenfalls kein Mini-Ayers-Rock in die Tüte.
"Aus Respekt vor den Aborigines – deshalb nicht." – "Man soll sich ja irgendwie an das Land anpassen, das man besucht. Für mich sind die Aborigines so eine Art Gastgeber und da muss man sich danach richten, was die meinen oder vorgeben."
Wer als Tourist Uluru besuchen will hat zwei Möglichkeiten. Entweder auf einem Tagesausflug von Alice Springs oder man bleibt über Nacht – auf dem Campingplatz oder in einem der 930 Zimmer des Ayers Rock Resorts, einer Hotelanlage mitten im Outback, etwa 20 Kilometer vom Felsen entfernt. Alice Springs, Ayers Rock und zurück, das sind elf Stunden Busfahrt durch menschenleere Einöde. Kein Wunder, dass das Resort meist ausgebucht ist.
Abendessen unter Sternenhimmel, Swimming Pools und klimatisierte Räume: Das Ayers Rock Resort ist wie eine Oase in der Wüste. Restaurants, Bars und ein Internet-Café, Supermarkt, Tankstelle und ein Fotoshop. 670 Angestellte arbeiten dort – nicht einer ist ein Aborigine. Mutitjulu ist nur 15 Autominuten weit weg. Die Anangu leben dort, buchstäblich, im Schatten des Ayers Rock. Unter Bedingungen wie in der Dritten Welt.
Am Ortsrand von Mutitjulu, östlich des Ayers Rock. Marandoo Yanner führt durch sein Zuhause. Zwölf Menschen, vier Erwachsene und acht Kinder, drängen sich in den drei Zimmern der schäbigen Baracke. Auf dem nackten Betonboden liegen zerschlissene Matratzen. Keine Elektrizität, kein fließend Wasser, das rostige Wellblechdach ist voller Löcher, nicht eine Fensterscheibe ist heil. Marandoo ist 35, aber weil er Schwierigkeiten mit Computern hat, bekommt er keinen Job bei der Uluru-Parkverwaltung. Er ist seit Jahren arbeitslos.
Marandoos Mutter Victoria beschwert sich nicht. Ungeschickt versucht sie die Gläser ihrer dicken Hornbrille an einem schmutzigen Wollpullover sauber zu machen: "Wir sind selbst an allem schuld", gesteht sie, "man braucht sich doch nur in unserem Dorf umzusehen".
Heruntergekommene Häuser, verwahrloste Gärten, Autos, die nicht mehr fahren. Weil niemand sie repariert, bleiben sie einfach liegen, zusammen mit Plastiktüten und Coladosen. Benzinschnüffler und Betrunkene dösen im Schatten der Bäume, Kinder stopfen Fast Food in sich hinein. Victoria Yanner war 30, als Uluru ihrem Stamm zurückgegeben wurde. Damals hoffte sie ihre Kinder könnten jetzt genauso aufwachsen wie die weißer Familien. "Diesen Traum", sagt sie, "haben wir uns selbst kaputtgemacht."
"Es sollte uns eigentlich besser gehen als vielen anderen Aborigine-Gemeinden, denn wir haben den Felsen vor der Haustür, der uns Geld bringt. Aber wir haben dieselben Probleme: Unsere Kinder gehen nicht in die Schule, sie haben keine Ausbildung und die meisten der Erwachsenen bemühen sich gar nicht um Arbeit. Sie warten nur auf den nächsten Zahltag."
Die Pachtzahlungen für das Gebiet am Ayers Rock waren für die Anangu ein Fortschritt ins Nichts. Zu viele blieben gefangen in einem Teufelskreis aus Suff, häuslicher Gewalt, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit. Der Anwalt Noel Pearson, Australiens bedeutendster Ureinwohneraktivist, kritisiert seit Jahren die Übereinkunft zwischen der Uluru-Nationalparkverwaltung und den örtlichen Aborigines. Pearson nennt den monatlichen Scheck "sit down money", Geld, für das niemand etwas tun muss. Geld, das alles nur noch schlimmer mache.
"Jede Form von Wohlfahrt ist schlecht für mein Volk, aber es ist alles, was es hat. Wer nur von Stütze lebt ohne dafür etwas leisten zu müssen riskiert den Zusammenhalt von Familien und ganzer Gemeinden. Sozialhilfe muss an Verantwortung gekoppelt werden. Es ist schrecklich, wenn Aborigine-Eltern ihr Geld verspielen und vertrinken. Vor allem wenn dieses Geld ihren Kindern zusteht."
Versuche gab es mehrere, aber in 25 Jahren gelang es der Gemeinde von Mutitjulu nur eine einzige Geschäftsidee erfolgreich zu verwirklichen: "Anangu Tours". Ein Unternehmen, das Touristen Führungen an und um den Ayers Rock anbietet. Ausflüge in eine Welt urzeitlicher Felsmalereien, Buschnahrung und Geschichten aus der Traumzeit: Uluru sehen durch die Augen der Aborigines.
"Anangu Tours", zu 100 Prozent in Aborigine-Hand, war nur der Anfang. Erst vor ein paar Tagen wurde das Ayers Rock Resort für 215 Millionen Euro an eine regierungsfinanzierte Aborigine-Stiftung verkauft. Nicht als Geldanlage, sondern als Ausbildungszentrum. In den nächsten fünf Jahren sollen dort 500 junge Aborigines das Hotelfach erlernen. Von Grund auf. Ureinwohnerkinder aus ganz Australien – vor allem aber aus Mutitjulu. Ein Projekt, auf das Aborigine-Aktivist Noel Pearson seit 25 Jahren gewartet hat:
"Wir brauchen die Unterstützung und den guten Willen aller Australier und die Unterstützung der Regierung – aber letztendlich sind wir Aborigines die Herren unseres eigenen Schicksals. Wir müssen Verantwortung übernehmen – nur dann haben unsere Gemeinden eine Zukunft, die wir auch selbst mitbestimmen."
1985 bekamen die Anangu mit der Rückgabe des Ayers Rock so etwas wie einen Blankoscheck ausgestellt, ein Darlehen für ihre Zukunft. Doch das Geld bedeutete für die Aborigines nicht – wie erhofft – mehr Freiheit, sondern noch mehr Abhängigkeit. 25 Jahre später soll es an Australiens ältester Kultstätte für die Aborigines einen Neubeginn geben. "Uluru" heißt im örtlichen Aborigine-Dialekt soviel wie "Platz, der vor der Sonne schützt". Für die Anangu scheint die Zeit gekommen endlich aus dem langen Schatten des Ayers Rock herauszutreten.