Rekrutiert und vergessen
Als der Erste Weltkrieg in Europa tobte, wurden auch australische Ureinwohner - die Aborigines - rekrutiert. Gesellschaftliche Anerkennung erreichten sie auch dadurch nicht. Ein Theaterstück, das im Opernhaus von Sydney Premiere feierte, erinnert an diese Soldaten.
Soldaten, in hellbeigen Kampfanzügen, ziehen mit stimmungmachenden Gesängen in den Kampf. Gewehre geschultert. Auf der Bühne im Opernhaus von Sydney.
Australische Soldaten, die zwischen 1914 und 1918 in Belgien, der Türkei oder in Palästina auf der Seite der Briten kämpften. Aber: Soldaten, die aus den Familien der Aborigenes, der australischen Ureinwohner, rekrutiert wurden. Eine Tatsache, die vielen Australiern bis heute unbekannt ist. Tom Wright, Autor des Stücks "Black Diggers", schwarze Soldaten:
"Wenn manche Leute sagen, das ist ein verborgener Teil unserer Geschichte, dann muss man fragen: Für wen waren diese Dinge verborgen? Die Aborigines wussten immer, dass einige ihrer Vorfahren damals in der australischen Armee gedient hatten. Und es reicht auch ein Blick auf die Fotos aus jener Zeit, die in Museen zu sehen sind. Darauf erkennt man inmitten der Soldaten ganz klar die Gesichter von Aborigines. Aber in der breiten Öffentlichkeit und von der Politik wurde das lange Zeit ignoriert – oder war einfach vergessen worden."
Tom Wright hat "Black Diggers" in wenigen Monaten für die diesjährige Ausgabe des Sydney-Festivals in enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur Wesley Enoch geschrieben. Enoch stammt selbst aus einer Familie indigener Australier:
"Indem wir diese Geschichte erzählen, wollen wir allen Leuten klarmachen, dass die Aborigines seit sehr langer Zeit im Dienste dieses Landes gearbeitet haben. Es gibt immer noch solche Klischees, dass wir Aborigines dreckig sind, nichts arbeiten und nur Geld nehmen wollen. - Mir gefällt der Gedanke, dass das erste große Ereignis, mit dem wir in diesem Jahr an den Ersten Weltkrieg erinnern, unser Stück hier ist. Das Gedenken an den Krieg wird von jetzt an immer mit der Erinnerung an die Leistungen der Aborigines verbunden sein."
Es ist erst knapp vier Jahre her, dass Wesley Enoch als erster Aborigine zum künstlerischen Leiter eines staatlich finanzierten Theaters, der "Queensland Theatre Company", ernannt wurde. Im nordöstlichen Bundesstaat Queensland leben heute noch besonders viele Aborigines. Wesley Enoch, Mitte 40, hat sich an seinem Theater in vielen Produktionen mit dem Umgang der aus Europa eingewanderten Australier mit den ursprünglichen Einwohnern beschäftigt. Für "Black Diggers" hat Enoch nun neun junge Schauspieler mit Aborigene-Hintergrund verpflichtet.
Keine Anklage, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme
"Nur einige von uns wussten, dass aus unseren Familien jemand am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte. Während der Vorarbeiten zu dem Stück öffnete einer der Schauspieler ein Buch und las seinen Familien-Namen unter dem Bild eines Soldaten. Er merkte plötzlich, dass er gerade ein Foto seines Urgroßvaters vor sich hatte. Und dabei hatte er gar nicht gewusst, dass sein Urgroßvater am Ersten Weltkrieg tatsächlich teilgenommen hatte."
Die Balance zwischen authentischer Wirkung und professioneller Umsetzung gelingt in der Inszenierung sehr gut. Die jungen Schauspieler bringen mit viel Energie und Witz den historisch komplexen Stoff sehr lebendig und vielschichtig auf die Bühne.
"Black Diggers" ist kein anklagendes Stück, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme. Gerade dadurch bringt es die „vergessene“ Kriegs-Geschichte sehr eindinglich nahe.
Die Leistungen und Opfer der indigenen Soldaten wurden nach dem Ende des Kriegs nur sehr unzureichend gewürdigt. Die Ansätze von Gleichstellung, die ihnen ausgerechnet die Armee gegeben hatte, wurden in der Folge nicht eingelöst. Die Armee hatte die rassistischen Vorschriften, die den Aborigines die Mitgliedschaft eigentlich untersagten, aus rein pragmatischen Gründen faktisch außer Kraft gesetzt. Der Rassismus der weißen Bevölkerung aber war nach wie vor enorm, Aborigenes durften noch nicht einmal eine Kneipe betreten.
Erst die Bürgerrechtsbewegung seit den 60er-Jahren brachte für die indigenen Australier nach und nach Gleichberechtigung. Und nur seit gut zwei Jahrzehnten bekennt sich auch die Regierung zum staatlichen Unrecht gegenüber der indigenden Bevölkerung.
Für den derzeitigen Direktor des Sydney-Festivals, den aus Belgien stammenden Lieven Bertels, war es bei seiner Ankunft "downunder vor zwei Jahren verblüffend, wie spät die Aufarbeitung der Geschichte auf dem Kontinent begonnen hat:
Für den derzeitigen Direktor des Sydney-Festivals, den aus Belgien stammenden Lieven Bertels, war es bei seiner Ankunft "downunder vor zwei Jahren verblüffend, wie spät die Aufarbeitung der Geschichte auf dem Kontinent begonnen hat:
"Die Kunst hat eine wichtige Rolle, wenn es um Versöhnung geht. Auch wenn hier in Australien nicht über „Apartheid“ wie in Südafrika gesprochen wird, so ist die Situation doch ähnlich. In Südafrika haben Künstler enorm viel bewirkt. Und hier in Sydney können wir als Festival zeigen, was Unterschiede und Vielfalt bedeuten können."
Lieven Bertels hat dem Programmheft zum Festival eine Würdigung der Aborigines vorangestellt. Eine symbolische Geste. Die Uraufführung von "Black Diggers" an diesem Wochenende im Opernhaus von Sydney ist sicherlich nur ein kleiner, aber sehr eindrucksvoller Schritt zu dieser Vergangenheitsbewältigung auf Australisch.