Stefan Weidner ist Autor, Islamwissenschaftler und Übersetzer. Zuletzt erschien von ihm „Ground Zero: 9/11 und die Geburt der Gegenwart“ (Carl Hanser Verlag, München 2021). Er war von 2001 bis 2016 Chefredakteur der „Kulturzeitschrift für Dialog Art & Thought / Fikrun wa Fann“ und gehört zu den Gründern der Plattform quantara.de.
Baerbocks gefährliches Pathos
Außenministerin Annalena Baerbock © picture alliance / Flashpic / Jens Krick
Auswärtige Kulturpolitik als Weltverbesserungsmission
Von den Kürzungsplänen im Auswärtigen Amt ist auch die westlich-islamische Dialogplattform Qantara betroffen. Eine schlechte Idee, findet Islamwissenschaftler Stefan Weidner: Baerbocks Außenpolitik setzt insgesamt eher auf Konfrontation statt Dialog.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirft seine Schatten auch auf die Kulturpolitik, besonders die auswärtige. Das Goethe-Institut soll nächstes Jahr 26 Millionen Euro weniger bekommen. Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst wird mit kräftigen Einbußen konfrontiert.
Am härtesten trifft es die Webseite qantara.de. Qantara mit Q, wie das arabische Wort für Brücke, wurde in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 gegründet. Die auf Deutsch, Arabisch und Englisch erscheinende Seite ist im Lauf von zwei Jahrzehnten zum Leitmedium für Infos und vertieften Gedankenaustausch zwischen Westen und Islam, Mitteleuropa und der arabischen Welt geworden. Die Redaktion ist unabhängig und kann aus Deutschland Beiträge in die arabische Welt hineinspielen, die sonst nie dort erscheinen würden. Der Etat beläuft sich zwar nur auf 380.000 Euro. Aber während Goethe-Institut und der DAAD die Kürzungen überleben werden, wird qantara.de wohl eingestellt werden müssen.
Auf gute Beziehungen angewiesen
Ist Deutschland in einem Konfliktfall wie dem gegenwärtigen nicht ganz besonders auf gute Beziehungen in die übrige Welt angewiesen, gerade auch in die arabische? Sollten wir nicht die eigene Position klug erklären und zugleich signalisieren, dass wir auch zuhören können? Sollten wir nicht gerade mit denen im Gespräch bleiben, die unsere Position, sei es zu Russland, sei es zu China, eben nicht teilen, auf deren Hilfe wir aber nichtsdestoweniger angewiesen sind? Sollte uns das keine 380.000 Euro wert sein – erst recht, wenn gleichzeitig Milliardenbeträge für Waffen und andere kriegsbedingte Leistungen aufgewendet werden?
Was Robert Habeck bei seinem Knicks in Katar schon wusste, haben die Kulturbeamten in Baerbocks forschem Auswärtigem Amt offenbar noch nicht begriffen: Eine verantwortungsbewusste auswärtige Kulturpolitik bestände in diesen Tagen darin, Qantara, Goethe und DAAD besser auszustatten, nicht schlechter – und zwar so gut, dass sie mit der medialen Offensive und den Fake News der russischen Propaganda endlich konkurrieren können – und zwar weltweit.
Von einem religiösen Pathos beseelt
Vor diesem Hintergrund sind die kulturpolitischen Kürzungsvorhaben töricht, ja skandalös. Leider beruhen sie nicht auf einem Versehen, sondern auf einem zivilreligiösen Konzept von Außenpolitik, auf einer Vorstellung von Außenpolitik als Weltverbesserungsmission. Hört man Außenministerin Annalena Baerbock reden, scheint sie tatsächlich von einem religiösen Pathos beseelt. Die außenpolitischen Zielvorgaben, wie schon im Koalitionsvertrag festgehalten, klingen entsprechend utopisch: Eine entschieden feministische Außenpolitik steht dabei ganz oben an, natürlich auch die Klimapolitik und seit dem russischen Angriff vor allem das Engagement für die Ukraine.
Alle diese Anliegen sind moralisch vollkommen berechtigt. Sie stehen, wenn man sie wörtlich nimmt, jedoch in einem eklatanten Missverhältnis zu den realen Einflussmöglichkeiten einer Außenministerin. Baerbock sonnt sich in außenpolitischen Idealvorstellungen und großen, weltbewegenden Themen, verliert aber dabei den Blick für das, was sie mit ihren bescheidenen Mitteln tatsächlich Gutes leisten könnte, etwa in der auswärtigen Kultur- und Medienpolitik. Abgesehen davon läuft das Pathos der Weltverbesserung permanent Gefahr, außerhalb von Europa als übergriffig, ja als typisch westliche Überheblichkeit aufgefasst zu werden.
Schaulaufen und Konfrontation
Und nicht immer zu Unrecht! Außenpolitik erfordert Geduld, Diplomatie, langen Atem. Sie basiert auf Kontinuität und leisen Tönen, nicht auf Affront und Konfrontation. Dagegen wird man den Eindruck nicht los, dass für Baerbock die Außenpolitik vor allem ein Schaulaufen ist, die perfekte Bühne, um eine gute Figur abzugeben. Während Habeck den Kotau macht, um an ein bisschen Gas zu kommen, will Baerbock den Despoten ihre Meinung geigen.
Damit kommt sie in Deutschland zwar besser an als Habeck. Eine zielführende Außenpolitik ist das trotzdem nicht. Der Radetzky-Marsch der Weltverbesserung, der im Außenministerium dieser Tage gespielt wird, braucht die leisen Töne, braucht die Signale der Verständigung, die freundlichen Gesten. Ohne sie werden wir weder den Kampf um die Ukraine erfolgreich bestehen, noch überhaupt mitbekommen, was sich in der Welt so alles zusammenbraut. Ein böses Erwachen wäre dann vorprogrammiert.