Auswahl oder Wahl-Aus?

Wen Parteien auf ihre Wahllisten setzen und warum

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Sitzung im Deutschen Bundestag © Maurizio Gambarini/dpa
Von Hilde Weeg |
Lange vor der eigentlichen Wahl wird innerhalb der Parteien bestimmt, wer das Rennen macht, um ins Rennen zu gehen. Da werden Platzhirsche von jungen Wilden und Altgediente von Newcomern überflügelt. Was treibt die Kandidatinnen und Kandidaten an, sich solchen Kämpfen auszusetzen?
Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Hannover, 18. Februar. Rund 180 Delegierte füllen den Saal. An diesem Tag wird die Landesliste für Niedersachsen erstellt für die Bundestagswahl. Die ersten Plätze sind schon vergeben, unter anderem an den prominentesten Grünen des Landes, an Jürgen Trittin. Am frühen Nachmittag ist die Luft schon ein wenig verbraucht.
Am Rednerpult steht jetzt eine junge Grüne, die sich mit nach vorne kämpfen will: Christina Johanne Schröder. Eher klein gewachsen, mit langen blonden Haaren. Die 33-jährige angehende Politikmanagerin kandidiert erstmals für eine Bundestagswahl, als Direktkandidatin für den Kreisverband Wesermarsch und mit vier anderen an diesem Tag um Platz Nummer 7 auf der Landesliste. Jetzt hat sie - wie alle Kandidatinnen und Kandidaten heute - zehn Minuten Zeit, um die Delegierten aus ganz Niedersachsen für sich zu gewinnen. Ihre Lieblingsthemen: Soziale Gerechtigkeit, Kinderarmut. Die politische Rhetorik wirkt noch etwas bemüht, aber sie gibt sich kämpferisch und weiß, was ihr Publikum erwartet.
"Armut vererbt sich in Deutschland, fast 20 Prozent der Kinder leben in armen Haushalten. Eines von fünf Kindern wächst also in einem der reichsten Länder der Welt in Armut auf. Liebe Freundinnen und Freunde: Kinderarmut, das ist die schlimmste Form der Armut auf."
Christina Johanne ist eine von tausenden Kandidatinnen und Kandidaten im gesamten Bundesgebiet, die nicht nur über Politik reden wollen, sondern Politik zu ihrem Beruf machen oder schon gemacht haben. Wer aber diesen Beruf wählt und politische Macht ausüben möchte, der kommt an den Parteien nicht vorbei. Sie seien eben nicht nur – so wie im Grundgesetz vorgesehen – wesentlich an der politischen Willensbildung der Bürger beteiligt, erläutert Prof. Heiko Geiling vom Institut für politische Wissenschaften der Leibnitz Universität Hannover.
"Die Parteien haben faktisch das Monopol der politischen Elitenauswahl. Sie sind ein Verfassungsorgan, sie sind im Grundgesetz ausdrücklich genannt - und sie sind in ihrem ganzen Verfahren auf Demokratie verpflichtet. Wer nicht in einer Partei ist, wird große Probleme haben, sich als Kandidat, als Einzelkandidat durchzusetzen, weil … dazu bedarf es Ressourcen, und die kann vielleicht in den USA Herr Trump mobilisieren, aber nicht hier der Durchschnittsbürger."

Wie eine Kandidatin in die erste Reihe kommt

Aber auch als Mitglied einer Partei müssen Kandidatinnen und Kandidaten bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um auf verantwortliche Positionen in die erste Reihe zu kommen:
"Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß. Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit: leidenschaftliche Hingabe an eine Sachen (…) Denn mit der bloßen, also noch so echt empfundenen Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst in einer Sache, auch die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache zum Leitstern des Handelns macht. Und dazu bedarf es – und das ist die entscheidende psychologische Qualität des Politikers – des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also der Distanz zu den Dingen und Menschen."
…schreibt der Soziologe Max Weber in "Politik als Beruf". Er legt damit die Latte recht hoch für das Auswahlverfahren, mit dem die Parteien in Deutschland festlegen, wer "auf die Liste kommt", wer also auf welchem Platz einer Landesliste z.B. für den Bundestag kandidieren soll. Die meisten Parteien regeln das über einen mehr oder weniger langen Weg durch die Institutionen – bei dem immer das oberste demokratische Prinzip der geheimen Wahl gilt, betont Heiko Geiling.
"Das fängt an – also wenn Sie an Landtagswahlen oder Bundestagswahlen denken, dass die Kandidaten, die sich vielleicht selbst gemeldet haben für die Kandidatur, oder auch vorgeschlagen werden, in den einzelnen Untergliederungen der Partei sich vorstellen und dann dort in geheimer Abstimmung bewertet werden."
Und dann … ja, was dann folgt, ist fast schon hohe Kunst: Die Aufstellung der eigentlichen Landesliste. Bernd Busemann ist seit gut 30 Jahren für die CDU in Niedersachsen aktiv und seit 2013 Präsident des Landtags in Hannover – er kennt das Spielchen ganz genau. Da gibt es klare Regeln – und es braucht einiges an Fingerspitzengefühl.
"Natürlich kommt auf die Landesliste auf Platz eins der Spitzenkandidat, natürlich kommen so die ‘Granden’ der Landespolitik in der betreffenden Partei dann auch auf die vorderen Plätze. Und dann wird schon gekuckt: ‘Wie finden wir eine regionale Ausgewogenheit?’ Da gibt es dann Bezirks- und Landesverbände, die sagen, dann sind wir dran, dann sind die nächsten dran und die nächsten dran – dann muss der Mix gefunden werden Frauen und Männer, und dann hat die Junge Union gewisse Ansprüche, vorne mit dabei zu sein. So wird nach und nach eine Landesliste austariert – das ist schon ein Wissenschaft für sich."
Diese Liste ist dann Grundlage für die abschließende Abstimmung über jeden einzelnen Listenplatz. Bei den großen Parteien legen Delegiertenkonferenzen, bei den kleinen häufig Mitgliederversammlungen in geheimer Wahl fest, wer auf welchem Listenplatz kandidiert, wer also tatsächlich die Chance bekommt, bei einem entsprechenden Wahlergebnis für die Partei künftig Politik zu machen.

Was genau ist "Politik machen"?

Was aber heißt das: Politik machen? Der Soziologe Max Weber hat in ein bekanntes Bild gefasst, was das sein soll. Vor gut 100 Jahren hielt Weber einen Vortrag zum Thema "Politik als Beruf". Viele kennen seinen Text nur stark verkürzt. Aber es lohnt sich, die Schlusspassage aus dem Vortrag ausführlicher zu zitieren:
"Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre. Aber der, der das tun kann, muss ein Führer und nicht nur das, sondern auch – in einem sehr schlichten Wortsinn – ein Held sein. Und auch die, welche beides nicht sind, müssen sich wappnen mit jener Festigkeit des Herzens, die auch dem Scheitern aller Hoffnungen gewachsen ist, jetzt schon, sonst werden sie nicht imstande sein, auch nur durchzusetzen, was heute möglich ist. Nur wer sicher ist, dass er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber ‘dennoch!’ zu sagen vermag, nur der hat den ‘Beruf’ zur Politik."
Wie steht es um die Festigkeit der Herzen heute? Schließlich ist die Welt so dumm und gemein wie vor 100 Jahren. Handelt es sich bei Kandidatinnen und Kandidaten also immer um Heldinnen und Helden? Was treibt sie heute an? Welche Eigenschaften sollte man mitbringen, um in diesem Getriebe zu überleben? Was kann man mit der Zeit lernen? Eines, so haben uns Aktive auf allen politische Ebenen erzählt, muss klar sein: Wofür man steht. Wovon man überzeugt ist. Wo man hin will.
"Welche Vorstellungen habe ich eigentlich von einer Gesellschaft? Will ich einen ganz kleinen bescheidenen oder auch größeren Beitrag dazu leisten, um dahin zu kommen, dass wir weniger soziale Probleme haben .Oder dass ein Bildungsproblem besser wird. Oder dass wir bessere Polizei oder mehr innere Sicherheit oder diese Dinge haben."
… erklärt Busemann. Der Jurist hat im Lauf seiner langen Karriere schon viele Kandidatinnen und Kandidaten kommen und gehen sehen - von Kommunal- bis Bundesebene.
"Aber da muss man diese langen Wege gehen können. Das ist oft frustrierend, aber das ist eben auch Demokratie. Es darf ja nicht einer alles bestimmen, sondern am Ende bestimmt das Volk. Das tut es alle vier bis fünf Jahre über Wahlen. Und in diesen Mechanismus müssen wir uns hinein begeben, um am Ende zu gucken: Kriegen wir was hin?"

Bestimmt am Ende das Volk?

Am Ende bestimmt das Volk? Verfassung und Wahlrecht sehen es so vor. Aber tatsächlich bestimmen nur wenige – vor allem über die Auswahl der Repräsentantinnen und Repräsentanten des Volkes. Denn von den gut 61 Millionen Wahlberechtigten für die Bundestagswahlen waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2014 nur rund zwei Prozent in Parteien organisiert, also etwa 1,2 Millionen Menschen. Von diesen wiederum sind nur wenige tatsächlich aktiv. Sie sind es, die tatsächlich über die Köpfe in der Politik bestimmen. Der Politikwissenschaftler Wolf Wagner schreibt über die Parteien:
"Sie (die Parteien) sind die absolut dominanten Akteure der Politik. Sie haben die Macht in Händen. Wer wirklich etwas bewirken will, sollte in eine politische Partei eintreten."
Natürlich haben auch andere Kräfte, wie etwa die etablierten und die sozialen Medien, Einfluss auf Parteien und ihre Vertreter. Aber es sind immer noch die Abgeordnetenbüros, die Parlamentsfraktionen und Ausschüsse, in denen konkrete Politik geplant, beraten oder verworfen wird. Egal, ob es dabei um Straßenbau und Lärmschutz, oder um den Einsatz der Bundeswehr oder Staatenbünde geht. Die Parteien sind also mächtig. Und wieviel kann ein einzelnes Mitglied bewirken, als Abgeordneter zum Beispiel?
Wer die Mühen der politischen Ebene aus der Nähe betrachtet, der erlebt auch Hilflosigkeit und Frust. Zum Alltag gehören zahllose Diskussionen am Telefon, in Büros oder bei Meetings. Nur ein geringer Teil davon endet mit konkreten Ergebnissen oder Entscheidungen. Das politische Spiel kennt viele Varianten, aber es heißt vor allem: Reden. Und Zuhören. Und unterwegs sein in vielen Parallelwelten.
"Der Spagat ist ja genau das Spannende. Und natürlich ist das total herausfordernd. Man trifft in Berlin Mark Zuckerberg und redet mit dem über die Entwicklung von Facebook und setzt sich dann in den Zug und fährt nach Hause aufs Schützenfest. Man darf nicht vergessen, dass der eigentliche Auftrag im Wahlkreis liegt und wenn ich das, was ich in Berlin erlebe, dann immer für den Wahlkreis nutzen kann, dann ist das ja die eigentliche Aufgabe eines Abgeordneten."
Lars Klingbeil, SPD, kennt das Spiel schon gut. Der 39jährige SPD-Abgeordnete sitzt seit acht Jahren im Bundestag – für den Heidekreis. Er pendelt von dort aus regelmäßig nach Berlin und zurück. Am 7. Februar steht zum Beispiel abends ein Besuch beim Ortsverein in Lindwedel-Schwarmstedt in seinem Kalender.
Im kleinen Saal der Landgaststätte sind gut 30 SPD-Mitglieder versammelt. Sie diskutieren auch über Grundsätzliches.
"Ich plädiere dafür, auf keinen Fall eine große Koalition wieder einzugehen. Meiner Meinung brauchen wir eine ordentliche, kräftige, zahlenmäßig starke Opposition..."
"Mindestlohn, das ist ein Stück auf dem Papier. Sonst nichts. Guck mal richtig ein bisschen genauer hin, ob die Putzfrau jetzt ihre 8.50 € kriegt oder nicht. Die werden doch genauso über’s Ohr gehauen wie eh und je. (Stuhlgeräusch)das ist jetzt eine Behauptungdas ist keine Behauptung…"
Klingbeil wird gebeten, sich dazu zu äußern.
"Ich würde mir wünschen, sage ich hier ganz klar, dass es mehr Ortsvereine gibt, die so eine Frage auch mal diskutieren. Das erlebe ich nicht immer – und das ist ja eine Sache, für die Partei ganz entscheidend, wie wir uns da aufstellen...gefühlsmäßig..."
An diesem Abend wird Punkt für Punkt der Tagesordnung abgearbeitet, nach gut drei Stunden, gegen 22.30 Uhr, ist dann Schluss.
"Verschiedenes steht auf der Tagesordnung … hat noch jemand was? ...Sieht nicht so aus, dann viel Spaß bei den letzten Getränken, vielen Dank für Euren Besuch und einen schönen Abend noch."
Die Mitglieder sind zufrieden mit ihrem Abgeordneten, sie werden ihn auch im Wahlkampf unterstützen.
"Er kommt grundsätzlich zu jeder kleinen Veranstaltung, er ist immer dabei, er hört sich alles an, er ist einer von uns. Also nicht abgehoben, sondern er ist einfach sympathisch."

Kandidaten haben nicht sofort Erfolg

Trotzdem: Der Heidekreis wählt traditionell schwarz. Bei der letzten Wahl war Lars Klingbeil seinem Konkurrenten von der CDU unterlegen – er zog nicht direkt, sondern über die Landesliste ins Parlament ein.
"Es gibt Kollegen im Bundestag, die kommen aus Regionen, die wird die SPD wahrscheinlich niemals gewinnen. Genauso wie es Regionen gibt, die die SPD immer gewinnt. Und ich hab so einen klassischen Battleground, ein Wahlkampfschlachtfeld, wo wir gucken, dass man jede Stimme gewinnt – und ich hoffe, dass es mit der nächsten Bundestagswahl denn klappt."
Beispiele wie dieses zeigen: Kandidat sein heißt, gelegentlich mit Erfolgen, aber weit häufiger mit Niederlagen umgehen zu lernen. Hauptsache Durchhalten. Weitermachen. Dranbleiben.
"Klar, wenn Sie acht oder zehn Monate in so‘n Wahlkampf investiert haben, und jeden Tag mit nem Team auch von Unterstützern unterwegs waren, Energie reingesteckt haben, sich eigentlich auf nichts anderes konzentriert haben. Und dann sitzt man da um 18 Uhr und dann kommen ab 18.30h die ersten Zahlen und man sieht, man verliert – klar, dann fließt die eine oder andere Träne beim einen oder anderen Unterstützer. Das muss man lernen, mit umzugehen. Ich hab‘s bisher immer geschafft, da eine Motivation rauszuziehen, dass man sagt: Ich will jetzt noch besser werden."
Was mittlerweile auch zum Beruf als Politikerin oder Politiker dazu gehört, ist der Umgang mit unfairer und massiver Kritik von außen, bis hin zu persönlichen Angriffen und Shitstorms, vor allem aus den social media.
"Die ganze Tonlage mit Beginn der Flüchtlingskrise, der Syrienkrieg, die Auseinandersetzung mit Russland, die USA jetzt mit Trump, AfD - das ist eine ganz andere Tonlage geworden. Klar, ganz ehrlich, es gibt Momente, wo ich mir auf die Zunge beißen muss."
Persönliche Angriffe in der realen Welt - wie Farbbeutelwürfe, zerstochene Autoreifen oder Schlimmeres - hat er bisher nicht selbst erlebt. Aber:
"Abgeordneter zu sein, heißt durchaus auch, im harten Wind zu stehen."
Den harten Wind kennt auch Leonard Kuntscher, mit 26 Jahren einer der Jüngsten im Landesvorstand der SPD, zuvor JuSo-Vorsitzender und mit den sozialen Medien aufgewachsen.
"Da hatten wir auch im Landesvorstand eine Person, die Morddrohungen erhalten hat und Ähnliches. Das ist dann schon eine andere Hausnummer. Was jetzt die - in Anführungszeichen – normale Rüpelhaftigkeit angeht, da steht man irgendwann drüber. Und macht sich halt lustig drüber, wenn man dann antwortet, oder halt nicht."
Kuntscher will den SPD-Wahlkampf unterstützen und macht zur Zeit seinen Bachelorabschluss als Mediengestalter an der Uni Hildesheim. Politik als Beruf? Eher nicht. Weil...
"...er ist schon sehr, sehr schwierig, sehr, sehr anstrengend. Man ist den ganzen Tag unterwegs. Man pendelt hin und her. Das läppert sich dann ganz schön zusammen. Gerade auch an Wochenenden und spätabends. Und das ist natürlich auch ‘ne Sache, die sich dann beißt mit dem Privatleben zum Beispiel."

Wann schmieden Abgeordnete ihre Pläne?

Anders dagegen Christina Johanne Schröder. Sie hat bereits auf Kreisebene erste Erfahrungen gesammelt und will nach Berlin. Falls es klappt und sie im Herbst als Abgeordnete ins Parlament einziehen kann, was würde sie als Erstes tun?
"Also mein Ziel war immer, Gesetze und Verordnungen zu machen. Kindergrundsicherung ist glaub ich das allererste, was man umsetzen soll. Gerade bei Kindern kann man am meisten bewirken. Dass es echte Bildungschancen gibt für Kinder aus armen Familien. Weil die gibt es heute nicht."
Ob sie es schafft? Der Wahlmodus bei den Grünen macht es ihr als Frau zumindest leichter als bei anderen Parteien. Denn für die vorderen ungeraden Plätze – also 1,3,5 oder 7 – dürfen nur Frauen kandidieren. Ihr Wunschplatz 7 auf der Landesliste in Niedersachsen ist aber kein sicheres Ticket. Um reinzukommen in den nächsten Bundestag, müsste die Partei im Land etwa 10 Prozent holen. Wie ist das, wenn die Zukunft so ungewiss ist? Wo leben, wo arbeiten ab Herbst? Und was, wenn es nicht klappt?
"Ja, dann bewerb‘ ich mich irgendwo bei Ministerien. Mich interessiert, wie die Brüsseler Politiken bei uns ins Land und in die Regionen hineinwirken, das ist so mein Ding."
Einen Praktikumsplatz bei der EU für den Sommer hat sie bereits. Alles andere wird sich zeigen. An diesem Tag auf der Landesdelegiertenkonferenz in Hannover geht es erstmal darum, einen der aussichtsreichen Plätze auf der Liste zu gewinnen.
"Es sind 85 Stimmen, die entfallen auf Christine Johanne Schröder, 53 Stimmen auf Viola von Cramon. Das Quorum für den zweiten Wahlgang liegt bei 10 Prozent, das sind 18 Stimmen, das haben nur Christina Johanne und Viola erreicht. Ich gratulier schon mal. Nein, nicht tun, nicht tun, das bringt Unglück."
Im ersten Wahlgang reicht es also knapp nicht für die erforderliche Mehrheit. Sie muss in die Stichwahl.
Christina Johanne Schröder oder Leonard Kuntscher sind zwar jung, haben aber beide schon in ihren etablierten Parteien jahrelang Erfahrungen gesammelt. Ganz anders ist die Situation bei der AfD. Erst 2013 gegründet, ist die Partei vor allem ein Sammelbecken für Unzufriedene aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum. Wie in anderen Landesverbänden gibt es auch in Niedersachsen Streit über die Abgrenzung der Partei zum rechtsextremen Rand.
Viele Parteimitglieder haben schnell in der Politik auf kommunaler- oder Landesebene Karriere gemacht, obwohl sie kaum Politikerfahrung haben. Dazu zählt auch Landeschef Armin Paul Hampel. Der Ex-Journalist und Kapitänleutnant der Reserve wird von vielen Mitgliedern wegen seines autoritären Führungsstils kritisiert. Sein Credo: "Geführt wird von vorne!" kommt nicht bei allen in der Partei richtig gut an. Trotzdem konnte er bei einer Mitgliederversammlung den Kampf um den Spitzenplatz auf der Landesliste klar für sich entscheiden.
"…auf Herrn Perscher entfielen 15 Stimmen, auf Herrn Sperling entfielen 24 Stimmen … auf Herrn Hampel entfielen 346 Stimmen!"

Mit der AfD sind die Auseinandersetzungen aggressiver

Ein deutliches Votum – allerdings hatten die meisten Hampel-Kritiker wegen des Streits in der Partei über die Rolle des Landesvorsitzenden die Mitgliederversammlung boykottiert. Damit war dann auch der Weg frei für die übrigen Kandidaten – auf den vorderen Plätzen landeten überwiegend ältere Herren, allesamt gute Vertraute des Landesvorsitzenden. Eine Landesliste offenbar ganz nach dem Geschmack von Hampel, der kritische Anmerkungen wie "Alt-Herren-Riege" einfach wegwischt.
"Also wir haben ja gerade mit der Kandidatur für den zweiten Listenkandidaten, mit Jörn König, ein Vorstandsmitglied aus unserem Landesvorstand, der quasi das ‘Mittelalter’ abdeckt, wir haben aus der Jungen Alternative einige Kandidaten, die dabei sind, teilweise noch sehr jung sogar, auf der anderen Seite müssen wir uns immer eines überlegen – und das sage ich auch unseren jungen Parteifreunden aus der Jungen Alternative oder Die Jungen in der AfD – wir wollen keine Abteilung Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal!"
Der erwähnte Jörn König, einer von Hampels Stellvertretern, ist Elektrotechniker mit eigenem Unternehmen in Hannover und seit Gründung der Partei mit dabei. Fragen zu seiner Kandidatur beantwortet er auf dem von der AfD organisierten Tag der Fraktionen im Januar in Hannover. Nach Berlin will er, weil...
"Im Bundestag werden die wirklichen Entscheidungen der Bürger getroffen. Das war auch der einzige Grund, warum ich in die Politik gegangen bin: Ich wollte gefragt werden bei politischen Entscheidungen."
Die Auseinandersetzungen zwischen Vertretern der AfD und ihren Gegnern verlaufen oft deutlich aggressiver, als bei den anderen Parteien. Sie spielen sich darüber hinaus nicht nur in der digitalen, sondern auch in der realen Welt ab. Was König selbst schon erlebt hat:
"Ein Rechtsanwalt, der hat mich ganz laut über die Straße als Ober-Nazi beschimpft. Also nichts, bis jetzt nichts Körperliches. Da hab ich nicht drüber nachgedacht, was da eventuell passieren könnte. Dann lässt man sich von der Angst sein Leben bestimmen und das mache ich halt einfach nicht."
König hat über die Landesliste gute Chancen, tatsächlich in den nächsten Bundestag einzuziehen. Als Direktkandidat in Hannover allerdings kaum, denn die AfD erhielt bei den Kommunalwahlen im Stadtgebiet nur knapp unter acht Prozent der Stimmen.
Über einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste nach Berlin in den Bundestag – für Silvia Breher ist das nicht der richtige Weg. Sie hat sich etwas ganz anderes vorgenommen: Sie will bei der Bundestagswahl den Wahlkreis Cloppenburg/Vechta direkt für die CDU gewinnen. Dazu muss man wissen: Dieser Wahlkreis ist nicht irgendein Wahlkreis, nein … es ist die CDU-Hochburg in Deutschland schlechthin – seit 1949 hat bei Bundestagswahlen immer ein Unionskandidat das Direktmandat gewonnen, und zwar deutlich.
Alles unter 60, eher 70 Prozent gilt hier gemeinhin als nicht gerade gutes Ergebnis. Die 43jährige Rechtsanwältin Silvia Breher hat also ganz gute Chancen, auf diesem Weg in den nächsten Deutschen Bundestag einzuziehen. Sie ist seit ein paar Jahren Geschäftsführerin des Kreislandvolkverbandes Vechta, schon lange in der CDU und in einigen Gremien der Partei auf regionaler Ebene aktiv. Als man sie vor ein paar Monaten fragte, ob sie sich eine Kandidatur für das Direktmandat im Wahlkreis vorstellen könne, war schnell klar:
"Aus meiner beruflichen Erfahrung heraus und meiner Tätigkeit in den letzten Jahren kenne ich unsere Region recht gut – die Stärken aber insbesondere auch die Herausforderungen, und insofern ist es für mich ein folgerichtiger Schritt, jetzt zu sagen, dann übernimm auch ein bisschen mehr Verantwortung über das hinaus, was Du bisher gemacht hast."
Damit begann ein zeitweise recht stressiger Wahlkampf in der Region im nordwestlichen Niedersachsen – immerhin gab es noch drei weitere Mitbewerber. Klinkenputzen, Bewerbungsreden halten, möglichst viel öffentliche Wahrnehmung erzeugen … das war wochenlang Alltag für sie.
"Also – das war ja ein Vorwahlverfahren sozusagen über drei Monate – und es ging glaube ich allen vier Kandidaten gleich, dass man sich da tatsächlich auch engagiert hat. Wir haben ziemlich viele Veranstaltungen durchgezogen, wir haben die Vorstellungsrunden gemacht, und da musste sich glaube ich jeder gleich durchboxen sozusagen – aber es war jetzt ein sehr faires Verfahren im Umgang unter den Kandidaten."
Und am Ende stand dann eine Urwahl, an der immerhin knapp 1900 von rund 7000 CDU-Mitgliedern in dem Wahlkreis teilnahmen. Breher gewann diese Abstimmung sehr deutlich – gegen drei Männer. Es kommt also am 24. September zu einer echten Premiere: Erstmals versucht im Wahlkreis Cloppenburg/Vechta eine Frau das Direktmandat für die CDU zu erobern. Für die Mutter von drei Kindern eigentlich kein besonderes Thema, obwohl…
"Ich persönlich habe tatsächlich in den letzten Monaten öfter mal zu hören bekommen – so naja, eine Frau, und die hat auch noch Kinder, wie will die das denn schaffen. Aber im Grunde … ich selber, in meinem beruflichen Leben ist mir das nicht widerfahren, dass man gesagt hat, naja, das traue ich einer Frau nicht zu. Und ich bin in einer Männerdomäne im Grunde beruflich unterwegs, und für mich selber spielt das Geschlecht keine Rolle, sondern tatsächlich zu sagen, ich kann das, und ich werde das auch tun!"

Präsenz im Wahlkreis ist wichtig

Seit ein paar Jahren wohnt sie in dem Städtchen Löningen zwischen Oldenburg im Norden, Osnabrück im Süden und der niederländischen Grenze im Westen. Auf einem Foto wird sie in den Cafés und Geschäften rund um den beschaulichen Kirchplatz in der Regel sofort erkannt. Ein kurzer Blick zumeist und …
"Ja – Sivia Breher. Sie wohnt bei uns im Ort und ist eigentlich wohlbekannt. / Die hat sich jetzt aufstellen lassen … / Ja, das ist Silvia Breher, die für die CDU für den Deutschen Bundestag kandidiert … / Frau Breher kennt man einmal durch die Festivitäten, die hier im Ort stattfinden, da ist sie eigentlich immer sehr präsent mit ihrer Familie, und jetzt durch ihren sehr erfolgreichen Wahlkampf aus der Presse. / Ahh … Frau Breher, taucht auf im Ort, in der Kirche, überall – die ist präsent."
Und diese Präsenz ist extrem wichtig – eine Erfahrung die auch Franz-Josef Holzenkamp gemacht hat. 2005 zog er als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Cloppenburg-Vechta in den Bundestag ein – jetzt tritt er nicht mehr an. Sein Ergebnis bei der Wahl 2013: satte 66,3 Prozent – die Erwartungen an seine Nachfolgerin sind groß.
"Natürlich ist es Druck – aber ein erfolgreicher Wahlkampf, ein erfolgreiches Ergebnis funktioniert nur, wenn man sich hier mit ganzer Kraft hingibt. Das ist hier so – und das muss auch gelebt werden, erst dann bekommt man die Unterstützung."
Also – von wegen ins gemachte Nest setzen und auf das Gesetz der Serie hoffen, das kommt hier nicht in Frage. Und auch eine Absicherung über die Landesliste der CDU, für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass es mit dem Direktmandat ausnahmsweise vielleicht doch nicht klappen sollte, gibt es nicht. Kein Netz, kein doppelter Boden – entweder es klappt mit dem Direktmandat, oder es wird nix aus Berlin. Das weiß auch Silvia Breher ganz genau.
"Aus der Urwahl direkt gewählt zu sein, aus der Partei, aus der Basis heraus – das gibt schon eine ganze Menge Energie und Schwung, und die möchte ich jetzt mitnehmen und einen tollen Wahlkampf machen. Das ist ein Ansporn, ein richtig gutes Ergebnis nicht nur für mich sondern für die Partei im Wahlkreis dann auch zu schaffen."
Ob die Wahlen im Herbst eher das Ende oder den Anfang einer Karriere bedeuten werden, das entscheiden die Wählerinnen und Wähler.
Zurück nach Hannover zur Landesdelegiertenkonferenz der Grünen – wo Christina Johanne Schröder sich in der Stichwahl gegen ihre Konkurrentin tatsächlich durchgesetzt hat. Damit steht sie auf Platz 7 der Landesliste.
"104 Stimmen sind entfallen auf Christine Johanne und 70 Stimmen auf Viola. Damit ist Christina Johann auf Platz 7 gewählt."
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