Auswandern oder hier bleiben?

Von Jens Rosbach |
Israel ist ein wichtiger Identifikationsfaktor für Juden in Deutschland, weil es der einzige jüdische Staat auf der Welt ist. Gerade jüdische Jugendliche stellen sich häufig die Frage: in Deutschland bleiben oder ins biblische Land emigrieren? Einer von ihnen meint: Eigentlich braucht man uns hier.
Israel ist für viele jüdische Jugendliche das Land ihrer Träume, buchstäblich das "gelobte Land". Die Teens und Twens diskutieren deshalb häufig, ob sie nicht auswandern sollten:

" Also ich bin religiös und man betet drei Mal am Tag immer wieder darum, nach Zion zurückzukehren und es wäre Heuchelei, wenn ich da nicht zurückgehen würde. Und das ist nun mal eigentlich die Absicht gewesen, dass die Juden in Israel leben und nicht im Ausland, das ist ja eine Strafe gewesen vom lieben Gott eigentlich. (…) Ich bin zum Beispiel mal aus der Synagoge gekommen, hab vergessen meine Kippa abzuziehen, bin halt in der Stadt rum gelaufen und hab mich gewundert, warum gucken mich immer alle so komisch an. Weil ich ne Kippa aufhabe. Und das gibt es in Israel gar nicht. (…) Die Leute, die Atmosphäre dort, auch die Kultur und so, halt das Judentum – dort kann man alles ausleben, zeigen, ohne dass man irgendwie vielleicht zusammengeschlagen wird, nur weil man einen Davidstern trägt. "

In Israel heißt es heute manchmal noch, Juden müssten generell aus Deutschland emigrieren, weil es das Land der Täter sei, das Land des Holocaust. Leonard schüttelt darüber den Kopf. "Das ist Quatsch", sagt der 18-jährige Berliner Schüler. Die Vergangenheit sei für seine Generation kein Auswanderungsgrund. Es ginge heute vielmehr darum, nach Israel zu gehen, um den jüdischen Staat zu verteidigen - notfalls auch in Uniform.

Leonhard: " Sagen wir mal, Israel ist in einer großen Krise und wird, wie es in damaligen Zeiten war, von vielen arabischen Staaten angegriffen - und ich weiß, es ist wirklich die einzige Möglichkeit, Israel zu verteidigen. Nur die Armee kann Israel verteidigen. Man kann Israel auch nicht anders unterstützen, dann wäre ich mir ziemlich sicher, das ich versuchen würde, Israel wirklich mit - so blöd es jetzt klingt - mit Waffengewalt verteidigen zu müssen. "

Leonhard streitet sich oft mit seinen nichtjüdischen Klassenkameraden über die Nahost-Politik. Meistens ergreift er dann Partei für die israelische Regierung. Auch wenn er sie mitunter insgeheim kritisiert. Aber als Jude fühlt er sich verpflichtet, für den jüdischen Staat zu sprechen. Ist Leonhard dagegen unter seinesgleichen, redet er ganz anders über die Siedlungspolitik und das Vorgehen der Armee:

" Zum Beispiel ist es auch so, dass wenn ich mit jüdischen Leuten diskutiere und ich sehe, dass die eine relativ regierungsnahe Meinung haben oder noch eine rechtere Meinung als die Regierung, dann nehme ich auch oft von meiner Seite aus eine linkere oder moderatere Meinung an, weil ich glaube, gerade in dem Konflikt ist es so, dass immer nur Schwarz-Weiß gesehen wird und deswegen ist es, glaube ich, als Zionist immer wichtig zu zeigen, dass es verschiedene Wege und verschiedene Richtungen gibt. "

Sympathie für Israel – logisch. Aber tatsächlich auswandern? Eine schwere Entscheidung. Die 22-jährige Xenia etwa wollte eine Ausbildung in Jerusalem bzw. Tel Aviv beginnen, aber nun studiert sie doch erstmal in Berlin, an der Humboldt-Uni.

Xenia: " Das Problem sind halt die Eltern, die halt nicht so begeistert davon sind. Weil es ist halt gefährlich dort und so. Meine Mama sagt: Wozu, es muss nicht sein – also sie verbietet es mir eigentlich. "

Xenias Familie ist aus der Ex-Sowjetunion eingewandert, will hier Fuß fassen – und nicht noch einmal emigrieren. Eine typische Zuwanderermeinung. Viele Jugendliche sind richtig hin und her gerissen. Auch weil die jüdischen Gemeinden in Deutschland zum Teil überaltert sind und dringend junge, engagierte Leute brauchen. Nathan, der kürzlich nach Israel ausgewandert ist, hat deshalb bei seinen Besuchen in Deutschland häufig ein schlechtes Gewissen.

Nathan: " Also ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mir denke, man kann mich auch hier sehr sehr gut gebrauchen. Andererseits fehlt mir die Bereitschaft, mein ganzes Leben aufzuopfern. Wenn ich jedes Jahr zum Beispiel Pessach in Deutschland sitze und sage: nächstes Jahr in Jerusholayim – und ich weiß: Haha, nächstes Jahr nicht in Jerusholayim, nicht in Jerusalem, nächstes Jahr immer noch hier und dann bin ich im Altenheim, im jüdischen Altenheim, gähn – also das ist schon ne Aufopferung. Also ich fühle mich oft schlecht, denn man braucht mich hier. "


Das Interview zum Thema mit Christian Böhme, stellvertretender Chefredakteur der "Jüdischen Allgemeinen", finden Sie in der rechten Spalte als Audio.