Ein Krankenhaus wird wegen Corona wiederbelebt
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Wegen der Coronapandemie reaktiviert Kredenbach sein Krankenhaus. Viele in dem kleinen Ort im Siegerland hoffen, dass es nach der Krise in Betrieb bleibt. Gegen die Schließung hatte die Bürgerschaft vergeblich protestiert.
Vor zwei Jahren, kurz nachdem mein Vater gestorben war, wurde das Krankenhaus in meinem Heimatort geschlossen. Mein Vater hatte dort jahrzehntelang als Arzt gearbeitet.
Die Belegschaft, die lokale Politik und sehr viele Bürger hatten vergeblich gegen die Schließung gekämpft. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater sagte: "Lass mal ein aggressives Virus kommen, das sich weltweit ausbreitet. Dann wird das eine Katastrophe". Ich fragte ihn noch, was das denn bitteschön für ein Virus sein sollte. Nun wird das Krankenhaus reaktiviert.
Neue Betten für ein altes Haus
2018 sei das Krankenhaus in Kredenbach mit den letzten Abteilungen geschlossen worden, sagt Thomas Tremmel, Leiter Rettungswesen, Brand und Bevölkerungsschutz beim Kreis Siegen-Wittgenstein.
Doch die gesamte erforderliche Infrastruktur sei noch vorhanden: "Eine zentrale Sauerstoffversorgung, Patientenzimmer, Nasskabinen in den Patientenzimmern - das haben wir so vorgefunden und richten es gerade wieder ein, zum einen mit noch vorhandener Logistik wie zum Beispiel Betten oder Nachttische, die wir noch im Krankenhaus vorgefunden haben, aber auch mit von anderen Krankenhäusern bereitgestellten Betten und Materialien."
Das Krankenhaus Kredenbach wurde von der Diakonie Südwestfalen betrieben, der auch das Gebäude gehört. Der Kreis Siegen-Wittgenstein reaktiviert es nun, zusammen mit dem Nachbarkreis Olpe. Im Rahmen des Katastrophenschutzes geht das Hand in Hand, beim Aufbau helfen DRK und Malteser. Alle hier hoffen, dass das Krankenhaus mit den vorgesehenen 100 Betten gar nicht gebraucht werden wird. Und befürchten zugleich, dass die Kapazitäten nicht reichen könnten.
Hier entsteht keine "Coronaklinik", sondern ein vollwertiges Krankenhaus, mit dem die umliegenden Häuser entlastet werden sollen. Das Röntgengerät funktioniert noch, die Sauerstoffleitungen auch.
Sauerstoffleitungen sind noch intakt
"Wir bauen den mittlerweile abgebauten Tank als mobilen Tank wieder auf", erklärt Thomas Tremmel, "beaufschlagen damit die im Haus befindliche Leitungsinfrastruktur wieder mit Sauerstoff. Und mit diesem Sauerstoff betreiben wir dann, wenn es erforderlich ist, auf der Intensivstation auch die Beatmungsgeräte."
Eigentlich lasse ich keine Gelegenheit aus, um meinen Heimatort zu besuchen, aber Journalismus zu Coronazeiten funktioniert so nicht, die Interviews wurden aus der Ferne geführt. Aber vor knapp zwei Jahren war ich mit dem Mikrofon in Kredenbach. Und traf Arthur Fuchs, der jahrzehntelang Hausmeister des Krankenhauses war.
Arthur, die gute Seele des Hauses, er gehörte zum Inventar. Im Dorf ist er bekannt wie ein bunter Hund. In den 60ern kam der Ur-Siegerländer ans Kredenbacher Krankenhaus. Ein gutes Haus zu sein, so sagen es ehemalige Beschäftigte, war Herzenssache aller Mitarbeiter.
"Wir hatten eine Zeit lang eine sehr, sehr, sehr gute Belegung", erinnert sich Fuchs: "160, 180 Patienten. Durften wir natürlich nicht haben. Aber wir hatten sie."
Ein Dorf kämpft für sein Krankenhaus
Auch Arthur Fuchs demonstrierte, längst pensioniert, mit für den Erhalt des Krankenhauses, das die medizinische Grundversorgung für das nördliche Siegerland sicherstellte. Und zum Dorf dazugehörte.
"Für die Bevölkerung hier oben ist das ganz große Malaise", sagt Fuchs. "Die Städte Hilchenbach und Kreuztal, die waren ja alle schwer für das Haus, die ganze Bevölkerung war also hier oben absolut für das Haus, und wir hatten ja auch damals gute Ärzte."
Ein angenehmer Aufenthalt für alle sei es gewesen, sagt Arthur Fuchs, "für die Mitarbeiter, für die Patienten, da wurden also die Patienten noch gepflegt und gehegt - was ja heute alles vergessen ist."
Es war ein kleines Krankenhaus, aber es hatte alles, was man brauchte. Und vieles von dem, was man auch in diesen Tagen wieder dringend braucht. Aber es half alles nichts. Die Diakonie Südwestfalen machte es dicht, nachdem sie es jahrelang schlechtgeredet und schlechtgerechnet hatte – zugunsten ihres Haupthauses in der Kreisstadt Siegen. Trotz des Widerstands aus Politik und Bevölkerung.
Auch das Angebot der SMS-Group, eines international aktiven Unternehmens aus dem Nachbarort, das Haus samt Schulden zu übernehmen und den Krankenhausbetrieb weiterzuführen, schlug die Diakonie aus.
Medizinische Versorgung für die ganze Region
"Uns ging es darum, für den Erhalt des Krankenhauses zu streiten, weil es ein fest verankertes Krankenhaus hier in der Region war", sagt Peter Neuhaus, der die Proteste gegen die Schließung des Hauses mitgeprägt hat. Es habe die Nahversorgung bestens gewährleistet, und die Identifikation mit dem Krankenhaus in der Region sei hoch gewesen.
Neuhaus ist Lokalpolitiker der Grünen und war selbst jahrelang Krankenpfleger in Kredenbach.
Er nennt die Schließung "einen Riesenfehler": "Völlig unabhängig von der jetzigen, dramatischen Krise war das ein Fehler, es wäre eine Riesenchance gewesen, und es hat eine große Bereitschaft gegeben, das Krankenhaus weiterzuführen. Das zeigt sich jetzt an der hohen Bereitschaft von – auch ehemaligen - Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Krankenhaus als ihren Arbeitsplatz geschätzt und geliebt haben, da jetzt wieder einzusteigen, wo es dringend nötig ist."
Die ersten Freiwilligen - Ärzte, Pfleger, aber auch Techniker und Hausmeister - meldeten sich bereits, bevor die Kreisverwaltung überhaupt darum bat. Nachdem sie den Aufruf veröffentlicht hatte, wurde sie fast überrannt, sagt Thomas Tremmel, der Leiter des Bevölkerungsschutzes beim Kreis:
"Da waren wir sehr positiv überrascht, bereits nach drei Tagen hatten sich 150 – teilweise hochqualifizierte – Helferinnen und Helfer gemeldet und sich bereiterklärt, da im Krankenhaus zu unterstützen."
Vorhandene Substanz: "Ein Glücksfall!"
Es ist ein Glücksfall, dass zwei Jahre nach der Schließung ein Großteil des Gebäudes noch nicht anderweitig genutzt wird. Ein paar Jahre später, ein Zwischennutzer, ein Umbau, und alles wäre jetzt viel komplizierter.
"Natürlich haben wir großes Glück gehabt", bestätigt Tremmel, "ich sage mal salopp: Wir sind mit einem Reinigungstrupp da durchgegangen, haben eine Glasreinigung gemacht, machen jetzt Desinfektionsmaßnahmen – und im Prinzip sieht das jetzt mittlerweile schon so aus, als wäre es gestern verlassen worden. Auch mit den Betten, die wir reingestellt haben, das ist natürlich ein großer Glücksfall."
In der größten Kreuztaler Facebook-Gruppe wird bereits heftig diskutiert. Dass man bloß nicht den gleichen Fehler zweimal machen solle. Dass das Krankenhaus nun endgültig bleiben müsse. Auch Peter Neuhaus, der so leidenschaftlich für den Erhalt des Hauses gekämpft hatte, hofft, dass das Krankenhaus bleibt, auch wenn das Virus gegangen ist.
Zweite Chance für die Klinik, dank Corona?
"Ich fände das großartig", sagt Neuhaus. "Also, die vage Hoffnung oder der Traum, der sich jetzt an die Wiederinbetriebnahme knüpft, der geht natürlich in die Richtung. Dass man vielleicht mit einiger Verzögerung doch erkennt, was man für einen Schatz an diesem Krankenhaus hat. Und wie hoch die Bereitschaft der Menschen ist, sich zu engagieren. Und dass solche Häuser auch gebraucht werden."
Doch dazu müsste sich gewaltig etwas tun im Siegerland. Sollte der Kreis Siegen-Wittgenstein, der jetzt das Haus reaktiviert, es dann auch weiterbetreiben wollen, müsste die Diakonie, der das Haus gehört, natürlich mitziehen.
Vielleicht hat das Krankenhaus ja dauerhaft eine zweite Chance – wenn in der Gesellschaft unter dem Eindruck der Coronapandemie neu nachgedacht werden sollte über das Verhältnis von Ökonomie und Gesundheit. Und sich dann die Erkenntnis durchsetzen sollte, dass zur Daseinsvorsorge ortsnahe medizinische Einrichtungen gehören, selbst wenn diese in "normalen Zeiten" keinen Gewinn abwerfen – in Kredenbach und anderswo.