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Literaturnobelpreis geht an Louise Glück
03:34 Minuten
Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die amerikanische Poetin Louise Glück. Der weltweit wichtigste Literaturpreis ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen (950.000 Euro) dotiert und zeichnet das Gesamtwerk der Preisträger aus.
Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die amerikanische Lyrikerin Louise Glück (gesprochen Glick). Das gab die Schwedische Akademie in Stockholm bekannt. Der weltweit wichtigste Literaturpreis ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen (950.000) dotiert und zeichnet das Gesamtwerk der Preisträger aus.
"Das Nobelpreis-Komitee sei zwar immer für eine Überraschung gut, aber wir waren alle überrascht, als der Name bekannt gegeben wurde", sagt Literaturredakteurin Dorothea Westphal.
Ein politisches Signal
"Ich freue mich, weil der Preis für eine amerikanische Autorin längst überfällig war", so Westphal weiter. Mit Ausnahme der umstrittenen Auszeichnung für Bob Dylan im Jahr 2016 war der letzte Literaturnobelpreis 1993 in die USA gegangen, an die Autorin Toni Morrison.
Der Preis sei auch ein politisches Signal so kurz vor der US-Präsidentenwahl, denn er zeige, "dass es auch ein positives, kritisches und intellektuelles Amerika" gibt.
Keine Gala in diesem Jahr
2018 fiel die Vergabe des Literaturnobelpreises aus, da die Akademie in einen Korruptionsskandal verwickelt war und es Vorwürfe sexueller Belästigung gab. 2019 ging der Literaturnobelpreis an den Österreicher Peter Handke, was für viel Kritik sorgte. Er wurde gleichzeitig mit der Preisträgerin des Jahres 2018, der Polin Olga Tokarczuk, ausgezeichnet.
Üblicherweise werden die Nobelpreise bei einer großen Gala in Schweden vergeben. Doch bereits im Juli hatte das Nobelpreiskomitee bekannt gegeben, dass der große Empfang in diesem Jahr ausfallen wird. Stattdessen werden der Preis und die Urkunde an die Preisträger in ihrem jeweiligen Heimatland übergeben.
"Völlig gerechtfertigte Auszeichnung"
Louise Glück gehöre fraglos zu den wichtigsten Autorinnen und Autoren ihrer Generation in den USA, sagt Schriftsteller und Lyriker Steffen Popp. Auch international werde sie weit rezipiert, deshalb sei die Auszeichnung "völlig gerechtfertigt".
Das Nobelpreiskomitee hat Louise Glück für ihre poetische Stimme ausgezeichnet mit der Begründung, "dass sie mit strenger Schönheit die individuelle Existenz universell" mache. Das sei eine "sehr schöne Begründung", sagt Popp, obwohl diese Begründungen auch immer etwas darunter leiden würden, dass sie solche "allgemeinen Floskeln" gebrauchen müssten. Dennoch treffe sie in vielerlei Hinsicht zu.
Louise Glück sei eine Autorin, die "relativ sparsam" im Ton und in der Art und Weise sei, wie ihre Gedichte auf dem Papier aussehen würden. Ihre Texte seien wie Skulpturen gearbeitet, so Popp. In vielen Punkten in ihren Werken werde die individuelle Existenz universell. Ihre Texte würden zwar immer von ihrer individuellen Stimme und auch oft von ihrer Biografie ausgehen, aber das werde sofort in unterschiedliche Kontexte hineintransponiert.
So würden in ihrem Buch "The Wild Iris" von 1992 Gartenpflanzen im Gespräch mit der Gärtnerin und einer Göttin Fragen der Existenz verhandeln, erläutert Popp. "Und das ist ein Setting, das zwischen dieses Autobiografische dazwischengeschoben wird. Die individuelle Existenz und Erfahrung spielen schon eine Rolle in Bezug auf die Pflanzen, über die sie schreibt, aber es wird gleich ins Universelle gedreht."
Reflexion der eigenen Biografie
Wie in ihren Gedichtsammlungen "Averno" aus dem Jahr 2007 schiebt sie in ihren Texten über die biografische Schicht auch eine "philosophische reflektierende Schicht", erklärt Popp.
"Das Autobiografische wird nicht einfach mitgeteilt, sondern es laufen verschiedene Ebenen der Reflexion sofort durch." So sei Averno ein kleiner Krater bei Nepal, der in der antiken Mythologie den Eingang zum Hades, zur Hölle markierte. Die gesamten Gedichtsammlungen bewegen sich um dieses Motiv herum.
Auch hinsichtlich des "nature writing", eine Literaturform, die etwas "Essayistisches" habe, die sich zwischen Sachbuch und Fiktionalem bewege, nehme Louise Glück mit ihrer Lyrik "eine interessante Position" ein, meint Popp.
"Weil Natur eine Rolle spiele, aber eben auch eine Funktion von Persona hat. Durch Masken durch die gesprochen wird und über die gesprochen wird."
Alle mythologischen und naturbezogenen Themen würden bei Louise Glück mit einer "Brechung" einhergehen. Und diese Brechung würde ganz aus dem Individuellen der Autorin herauskommen.
Voller Wiedersehensfreude
1992 war die Lyrikerin und Schriftstellerin Ulla Hahn in New York, wo sie in einer Buchhandlung, die es heute nicht mehr gibt, ein Buch entdeckte: "Und ich muss es gestehen, das hatte einen wunderschönen Einband."
Dabei handelte es sich um "The Wild Iris" von Louise Glück. Ulla Hahn hatte zu dieser Zeit gerade selbst die Wilde Iris in ihrem Garten gepflanzt. Sie kaufte damals das Buch, das sie fortan begleitet habe.
"Und als ich heute den Namen gehört habe, bin ich sofort an mein Lyrikregal gelaufen und da stand sie auch und ich habe sie voller Wiedersehensfreude in die Hand genommen", erzählt Hahn.
Eine neue Sprache für Alltagsthemen
Das Besondere an Louise Glücks Lyrik sei, dass sie, entgegen dem heutigen Trend, auf "jegliche sprachliche Verästelung" verzichten würde. Sie sei oft sehr persönlich, manchmal auch subjektiv, aber sie spreche die Menschen immer in ihrem Lebensumfeld an: Familienleben, Mutter-Tochter-Beziehungen, Älterwerden. Dafür würde sie eingängige Bilder finden.
Louise Glück sei keine Autorin, die es den Leserinnen und Lesern schwermache, so Hahn, ganz im Gegenteil. Für das, was wir alle schon erfahren haben, erinnern oder erleben, finde Louise Glück eine Sprache, die das noch einmal in einem neuen Licht erscheinen lasse.
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Die Frage nach Vergänglichkeit
"Ich freue mich für sie und ich freue mich für die Lyrik, die damit ins Rampenlicht rückt", sagt Ulrike Draesner, die deutsche Übersetzerin des Werks von Louise Glück. Deren Lyrik scheine auf den ersten Blick einfach und ziehe einen dennoch in den Bann.
"Glück arbeitet mit kleinen Verschiebungen und Wiederholungen und baut auf diese Art Räume auf, indem sie zum Beispiel Schmerz nicht beschreibt und nicht erleidet, sondern wirklich erkundet. Und das ist das, was ich an ihr wirklich schätze."
Glücks Lyrik sei innovativ, sagt die Draesner. "Sie lässt die Blumen sprechen, über das was es bedeutet, so ein Pflanzenkörper zu sein, zu werden und wieder zu vergehen." Das sei ein Hauptanliegen von ihr: die Frage nach der Vergänglichkeit.
Hören Sie hier das komplette Interview mit Ulrike Draesner:
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(abu/jde/nho)