Auszeichnung für den besten Roman 2018

    Deutscher Buchpreis geht an Inger-Maria Mahlke

    Die Autorin Inger-Maria Mahlke bei der Buchpreisverleihung 2018
    Die Autorin Inger-Maria Mahlke bei der Buchpreisverleihung 2018 © dpa / Arne Dedert
    08.10.2018
    Für ihr Werk "Archipel" erhält die Autorin Inger-Maria Mahlke den Deutschen Buchpeis 2018. Sie setzte sich damit gegen fünf weitere Autorinnen und Autoren im Finale durch.
    Die Schriftstellerin Inger-Maria Mahlke ist am Montagabend in Frankfurt am Main für ihren Roman "Archipel" mit dem Deutschen Buchpreis 2018 ausgezeichnet worden. Das im Rowohlt-Verlag erschienene Werk spielt auf Teneriffa. Es zeichnet ein Sittengemälde dreier kanarischer Familien von 1919 bis heute. In ihrer Dankesrede sagte sie: "Ich möchte allen danken, die wissen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Büchern und Joghurt."
    Es ist das erste Mal seit fünf Jahren, dass eine Frau die wichtigste Auszeichnung der Branche gewinnt. Der Preis wird alljährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse verliehen. Die weiteren fünf Finalistinnen und Finalisten waren Maria Cecilia Barbetta, Maxim Biller, Nino Haratischwili, Susanne Röckel und Stephan Thome. Die Gewinnerin erhält 25.000 Euro, die fünf anderen Finalisten bekommen jeweils 2.500 Euro. Aus den 20 besten Romanen der Saison, die die Jury im August vorgestellt hatte, waren für die Shortlist sechs Romane ausgewählt worden, die in der Endausscheidung miteinander konkurrierten. Im vergangenen Jahr hatte der Roman "Die Hauptstadt" von Robert Menasse das Rennen gemacht.

    Würdige Siegerin prämiert

    Literaturredakteurin Wiebke Porombka war für FAZIT in Frankfurt dabei und findet, dass die Jury durchaus eine gute Wahl getroffen hat: "Es ist ein ganz besonderer Roman, ein Familienroman, ein historischer Roman, der durch zwei Details besonders hervor sticht. Nämlich dadurch, dass er aus der Peripherie erzählt ist und dadurch, dass er rückwärts erzählt ist und dass er vom Leser, von der Leserin ein große Mitarbeit fordert."
    Für die Siegerin hängt viel an dem Preis - neben Ruhm und Ehre vor allem eine finanzielle Absicherung, erklärt Porombka: "Wer den deutschen Buchpreis gewinnt, ist für die nächsten Jahre abgesichert, weil man mit relativer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass der ausgezeichnete Roman auf die Bestsellerlisten kommt, dass der Roman also viel verkauft wird und man Geld verdient und zudem viele Veranstaltungen hat. In der Regel verkauft er sich auch sehr gut ins Ausland. Das ist für einen Autor, eine Autorin eine sehr komfortable Situation."

    Das Gespräch mit Wiebke Porombka können Sie hier nachhören:
    Audio Player

    Der schönste Ort der Erde

    Inger-Maria Mahlke erzählt im Interview mit Deutschlandfunk Kultur, dass ihre Mutter von Teneriffa kommt und es für sie der schönste Ort auf der Erde sei. Dennoch habe sie dort kaum an ihrem Roman geschrieben:
    "Ich bin jemand, der ungerne über die Realität schreibt, in der er gerade drin setzt. Dann wimmelt und drängt es auf einen ein und es ist schwer das Bild zum Stillhalten zu bringen, dass man vernünftig darüber schreiben kann. Deswegen schreibe ich gern aus der Erinnerung und darum ist ein großer Teil in Magdeburg entstanden. Da war ich Stadtschreiberin."
    Auf die Frage, warum ihr Roman rückwärts erzählt sei, antwortet Mahlke: "Ich habe ein gewisses Misstrauen gegenüber Kausalitäten, also dass eine Sache schlüssig von der anderen kommt. Ich glaube, das ist eine Konstruktion, die man im Nachhinein zu einem Ereignis entwickelt. Ich wollte versuchen das zu dekonstruieren."

    Das Interview mit Inger-Maria Mahlke können Sie hier nachhören:
    Audio Player

    Viele schillernde Details

    Durch viele schillernde Details werde das Buch zu einem "eindrücklichen Ereignis", begründete die Jury am Montagabend die Auszeichnung. In Mahlkes Roman geht es um drei Familien aus unterschiedlichen sozialen Klassen, in denen die Geschichte Spaniens Brüche und Wunden hinterlässt. Der Blick der 1977 geborenen Autorin für die feinen Verästelungen in den familiären und sozialen Beziehungen auf der Kanaren-Insel sei faszinierend. "Gerade hier verdichten sich die Kolonialgeschichte und die Geschichte der europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert", urteilte die Jury weiter. General Franco hatte 1936 in Teneriffa seinen Putsch gegen die spanische Republik begonnen.
    Die in Hamburg geborene Autorin, die in Lübeck aufwuchs, hat einen Teil ihrer Kindheit auf der Kanareninsel verbracht. Sie studierte an der Freien Universität Berlin Jura und arbeitete zuerst am Lehrstuhl für Kriminologie, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihr 2010 erschienenes Debüt "Silberfischchen" wurde bereits begeistert von der Kritik gefeiert. Mit dem historischen Roman "Wie ihr wollt" über die kleinwüchsige Mary Grey - eine Cousine von Königin Elizabeth I. - im England des 16. Jahrhunderts schaffte sie es bereits 2015 auf die Shortlist für den Buchpreis. "Archipel" ist ihr inzwischen vierter Roman.
    Mahlkes Romane erscheinen im Rowohlt Verlag. Die Autorin gehört zu denen, die sich mit der entlassenen Rowohlt-Verlegerin Barbara Laugwitz solidarisiert haben. Der Wechsel an der Spitze des renommierten Verlags, der zum Holtzbrinck-Konzern gehört, hat in den vergangenen Wochen erhebliche Turbulenzen in der Branche ausgelöst.

    Hier die nominierten Titel mit unseren Rezensionen:

    Inger-Maria Mahlke: "Archipel"
    Rosa kehrt nach Teneriffa zurück. Die Ankunft in ihrer alten Heimat ist zugleich der Beginn der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte – einer Geschichte von Verwicklungen, Verbitterungen und Verletzungen aus den letzten 100 Jahren.
    Buchcover von Inger-Maria Mahlke: Archipel, im Hintergrund ein Sonnenuntergang auf Teneriffa
    Cover Inger-Maria Mahlke: Archipel© Rowohlt / picture alliance / dpa / Martin Sasse
    Nino Haratischwili: "Die Katze und der General"
    Eine junge Tschetschenin wird während des Krieges in den 90er-Jahren von russischen Militärangehörigen vergewaltigt und ermordet. Nino Haratischwili fragt: Was sind die Täter für Menschen, wie kann man mit so einer Tat leben, und kann es danach eine Form von Gerechtigkeit geben?
    Cover von Nino Haratischwilis Roman "Der Katze und der General" und Kriegerdenkmal in Grosny
    Cover von Nino Haratischwilis Roman "Der Katze und der General" und Kriegerdenkmal in Grosny© Frankfurter Verlagsanstalt / dpa / picture alliance / Michael Runkel / Montage: Deutschlandfunk Kultur
    Susanne Röckel: "Der Vogelgott"
    Multiperspektivisch beschreibt Susanne Röckel die Konfrontation der Protagonisten mit dem Teufel – fleischgeworden in der Figur des Vogels. Alle jagen dem Vogel Greif nach: zuerst der Lehrer Konrad Weyde und später auch seine drei Kinder Thedor, Dora und Lorenz. Der Greif ist ein mächtiges Vogelwesen, das man nur noch aus Märchen oder anderen vormodernen Angsttexten kennt. Für die Weydes aber ist er sehr real!
    Buchcover: Susanne Röckel: „Der Vogelgott“
    Buchcover: Susanne Röckel: „Der Vogelgott“© Buchcover: Jung und Jung Verlag, Hintergrund: imago / imagebroker
    Stephan Thome: "Gott der Barbaren"
    Die Taiping-Rebellion in China Mitte des 19. Jahrhunderts kostete etwa 30 Millionen Menschen das Leben. Die Aufständischen errichteten eine theokratische Diktatur in China. Die Ereignisse schildert Stephan Thome in seinem Roman "Der Gott der Barbaren".
    Buchcover "Gott der Barbaren" von Stephan Thome, im Hintergrund eine historische Ansicht der Stadt Suzhou.
    Buchcover "Gott der Barbaren" von Stephan Thome, im Hintergrund eine historische Ansicht der Stadt Suzhou.© Suhrkamp Verlag / imago
    María Cecilia Barbetta: "Nachtleuchten"
    In "Nachtleuchten" erzählt María Cecilia Barbetta vom Leben in einer argentinischen Stadt in den 1970er-Jahren. Im Sog der Erinnerung gelingt der Autorin eine großartig geschriebene Hommage an die Gemeinde Ballester und ihre Bewohner.
    Eine Epoche voller Unruhe beschreibt die 1972 in Argentinien geborene María Cecilia Barbetta in ihrem Roman "Nachtleuchten" und folgt dabei einem Kosmos von Erinnerungen.
    Eine Epoche voller Unruhe beschreibt die 1972 in Argentinien geborene María Cecilia Barbetta in ihrem Roman "Nachtleuchten" und folgt dabei einem Kosmos von Erinnerungen.© imago/imagebroker; Fischer-Verlage
    Maxim Biller: "Sechs Koffer"
    Die Hauptfiguren in Maxim Billers Buch "Sechs Koffer" sind Juden, die in Russland, Deutschland oder Südamerika leben und über Verfolgung, Antisemitismus, Zusammenhalt und Betrug berichten. Eine intelligente und rührende Geschichte.
    "Sechs Koffer" von Maxim Biller
    "Sechs Koffer" von Maxim Biller© Verlag Kiepenheuer und Witsch/picture alliance/dpa/Foto: Swen Pförtner

    "Literatur ist kein Hundert-Meter-Sprint"

    Die Entschjeidungen der Jury für die sechs Titel der Shortlist konnten unsere Literatur-Experten Wiebke Porombka und Kolja Mensing nachvollziehen. Mit einer Einschränkung, die aber eher grundsätzlicher Natur ist und für alle Preisverleihungen gilt:
    "Natürlich sind es nicht die sechs besten Romane des Jahres", sagte Porombka im Deutschlandfunk Kultur. Weil Literatur ja "glücklicherweise kein Hundert-Meter-Sprint" sei, wo man klar sagen könne, wer als Erster, Zweiter oder Dritter ins Ziel gekommen sei.
    Mensing lobte die "interessanten und bunten Stoffe", für die sich die Jury entschieden hat. Als Beispiel führte er "Nachtleuchten" von Maria Cecilia Barbetta an. Porombka sagte, auf den ersten Blick wirke die Liste sehr heterogen, eine Geschichte spiele in China, eine in Argentinien, eine auf Teneriffa, eine in Tschetschenien.

    Bücher über Diktaturen und Extremismus

    Dann werde aber klar, dass es eine monothematische Liste sei, "beinahe wie ein Konzeptalbum" in der Musik, denn alle Bücher erzählten von Diktaturen oder politischem Extremismus. Die Jury habe sich thematische Gedanken gemacht, betonte sie.
    Es sei interessant, dass die Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem "engeren deutschen Zusammenhang" herausgegangen seien, sagte Mensing. Man wolle ja auch tatsächlich nicht immer wieder Bücher über das deutsche Bildungsbürgertum oder "Mama-Papa-Kind-Romane" lesen.
    Mensing attestiert den Büchern auf der Liste zudem, die "Wahrheitsfrage" zu stellen - sich also damit zu beschäftigen, was wir über Geschichte, die eigene Familiengeschichte, die Wirklichkeit wissen können.

    Ständig auf der Suche nach der Wahrheit

    "Wir leben ja in einer Zeit, wo wir uns ständig diese Wahrheitsfrage stellen", sagte Mensing. Und die Literatur könne bei der Erkenntnis helfen, dass es nicht nur Wahr und Falsch gebe, sondern auch "irgendetwas dazwischen". Literatur könne uns "Empathie lehren" und ein Gegengift für den Populismus sein, ergänzte Porombka. Denn Literatur sei vieldeutig und zeige, dass Eindeutigkeit nicht so einfach sei.
    Seit 2005 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels den Deutschen Buchpreis zu Beginn der Frankfurter Buchmesse. (ahe/sru)
    Mehr zum Thema