Was im DDR-Comic alles möglich war
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Guido Weißhahn sammelt und archiviert DDR-Comics. Dafür wurde er nun in München beim Comicfestival ausgezeichnet. Die "Bildergeschichten" im Osten seien vor allem für Kinder zugeschnitten gewesen, erzählt er.
Timo Grampes: Guido Weißhahn hat beim Comicfestival München gerade den Independent Comicpreis gewonnen – und zwar für seine archivarische Leistung. Er sammelt und forscht zur Geschichte des DDR-Comics und er betreibt die Website ddr-comics.de. Von Beruf sind Sie Psychotherapeut – und wieso überhaupt DDR-Comic-Archivar?
Guido Weißhahn: Ich bin Jahrgang 1970 in der DDR aufgewachsen, habe mich schon immer für Comics interessiert. Als ich dann nach der Wende angefangen habe, die alten Schätze wieder antiquarisch aufzukaufen, hat sich so eine Leidenschaft daraus entwickelt, die dann richtig ins Forschen und über das Sammeln weit hinausging.
Drei Kobolde und ihre Abenteuer
Grampes: Mir ist bei diesem Thema wieder aufgefallen, wie bereichernd es bei uns im Sender ist, dass einige Kolleginnen und Kollegen die DDR noch erlebt haben, dass sie erzählen können, was kulturell wichtig war – und dass das dann eben hier keine kommunikative Einbahnstraße von West nach Ost ist.
Mir sagte jedenfalls dann der Kollege, den ich angesprochen habe auf Comics in der DDR vorhin zuallererst: "Digedags" und Hannes Hegen, darüber ist zu reden. Das machen wir jetzt: Was ist zu sagen zu "Digedags" und Hannes Hegen?
Weißhahn: Die "Digedags" sind drei Kobolde, und das sind Comicfiguren, die Hannes Hegen erfunden hat. Hannes Hegen, ein Zeichner, Karikaturist, der sich schon in den frühen 50er-Jahren seine Sporen in den DDR-Zeitungen verdiente. Und es ging damals darum, irgendwie eine Art Comiczeitschrift zu entwickeln als sozialistischen Gegenentwurf zu dem, was aus dem Westen reinschwemmte mit "Micky Maus" und so weiter. Und Hegen war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und bekam vom Verlag Neues Leben damals den Auftrag, eine Comiczeitschrift zu entwickeln – und daraus wurden die "Digedags".
Grampes: Was haben die Kobolde so getan?
Weißhahn: Die sind hauptsächlich in der Weltgeschichte rumgereist, waren im alten Rom, waren im Weltraum, haben parallel so die Entwicklungsgeschichte der Erde erzählt. Dann waren sie ganz lange mit einem sehr schrägen Ritter im Mittelalter unterwegs, Ritter Runkel; später dann in Amerika zur Zeit der Befreiungskriege. Die sind ganz schön rumgekommen.
Grampes: Absolut kosmopolitisch und jetzt nicht auf den Ostblock beschränkt, das fällt schon auf.
Weißhahn: Ja, das kann man so sagen. Tatsächlich ist es Hannes Hegen immer gelungen, die politische Keule, die gerne in der Presse, die für Kinder gemacht war, geschwungen wurde, weitgehend rauszuhalten aus dem "Mosaik". Der Verlag hat immer wieder versucht, Einfluss darauf zu nehmen, und er hat es irgendwie immer wieder geschickt geschafft zu sagen, ich will dann doch lieber die Geschichten erzählen, die mir am Herzen liegen. Das "Mosaik" hat dem Verlag tatsächlich auch viel Geld eingespielt, und das war natürlich ein wichtiges Argument, dass man da nicht einfach ihm reinreden konnte und wollte.
Grampes: Jetzt weiß ich, der Begriff Comics, der war nun zumindest erst mal gar nicht etabliert, sondern Bildergeschichten hieß das in der DDR zunächst. Warum?
Weißhahn: Da ging es tatsächlich hauptsächlich darum, sich abzugrenzen von den als Schund- und Schmutzliteratur gebrandmarkten westlichen, amerikanischen und dann später auch westdeutschen Comics. Letztlich war das sozusagen ein bisschen Augenwischerei, weil in dem Moment, wo ich eine Geschichte sequentiell in Bildern erzählen, ist das ein Comic, das kann man drehen und wenden, wie man will. Wilhelm Buschs Max-und-Moritz-Geschichten waren genauso schon Comics. Das war eher so ein ideologisches Ding, dazu eben nicht Comics sagen zu wollen, weil es zu sehr nach Westen klang.
Grampes: Wo sind denn die als Bildergeschichten titulierten Comics erschienen?
Weißhahn: Es gab das "Mosaik" mit den "Digedags", das war sozusagen eine von zwei monatlich erscheinenden Comic- oder dann eben Bilderzeitschriften. Die zweite Zeitschrift war "Atze", das war so ein dünnes Blättchen, A5, 16 Seiten, wo sich immer eine politische Titelgeschichte, die also ganz klar auf ideologische Indoktrination aus war, mit bunten, relativ unpolitischen Geschichten abwechselte.
Grampes: Haben Sie da ein Beispiel vor Augen?
Weißhahn: Ja, wenn irgendwelche Geburtstage von Arbeiterführern anstanden, dann waren die im Thema da drin, in der Titelgeschichte. Oder die Eigenschaften des Sozialismus wurden dargestellt, der Wohnungsbau in den 70er-Jahren in Berlin, da strickte dann der Redakteur irgendeine Geschichte Drumherum, und meistens zeichnete die dann Günther Hein, das ist ein sehr begabter Zeichner aus Görlitz gewesen, das ist dann in einem sehr realistischen Stil. Aber, na ja, das las sich halt nicht so toll wie die Mäuseabenteuer von "Fix und Fax", die in diesem Heftchen immer ganz hinten dran waren und die auch bis heute wieder aufgelegt werden.
Neue Comics waren Bückware
Grampes: Wie ist man denn eigentlich an die Hefte rangekommen? Der Erscheinungsmodus war relativ großzügig ein-, zweimal im Monat, das haben sie gerade gesagt, und das ist nicht gerade täglich.
Weißhahn: In der Regel tatsächlich monatlich, "Mosaik", "Atze", "Frösi", eine andere Zeitschrift, die erschienen alle monatlich. Und das "Mosaik" war tatsächlich trotz einer riesigen Auflage von ungefähr einer halben Million Exemplaren sogenannte Bückware, das heißt, man hatte entweder noch ein Abonnement und vererbte das weiter oder man rannte wie ich als kleiner Steppke am Anfang des Monats täglich an den Zeitungskiosk, bis die Verkäuferin sich das Gesicht merken konnte und mir mein Heft dann schon immer zurücklegte, sodass ich dann sicher sein konnte, es jeden Monat zu bekommen.
Grampes: Welchen Comic haben Sie denn immer am freudigsten erwartet?
Weißhahn: Für mich als Schüler war am interessantesten "Die Trommel", die gab es jede Woche, das war so eher etwas Zeitungsartiges, und die wurde über die Schulen vertrieben. Da gab es also jemanden, der "Trommel"-Kassierer war, der immer zehn Pfennig kassierte von jedem in der Woche und dem dafür "Die Trommel" gab. Und da gab es seit Mitte der 70er-Jahre eine tolle, ganzseitige Rubrik, über eine ganze Seite in Vollfarbe Comics, die aus Ungarn importiert wurden, und solche Geschichten wie Graf von Monte Christo und so erzählten. Das war eine kleine, paradiesische Insel für Comicfans in der DDR.
Grampes: Jetzt hat mein Kollege mir gesagt, wenn die zensiert waren, die Comics in der DDR, dann habe ich es nicht gemerkt. Was hat sie denn eigentlich von den Westcomics unterschieden?
Weißhahn: Ich würde sagen, es gab kaum Comics, die für ein erwachsenes oder zumindest so spätjugendliches Publikum gemacht waren, hauptsächlich auf Kinder zugeschnitten. Und tatsächlich, Zensur in dem Sinne gab es in den DDR-Comics eher weniger. Die waren von vorneherein schon so angelegt, mit der Schere im Kopf: Es gibt Dinge, die kann ich erzählen, ich kann lustig sein, ich sollte vielleicht auch ein bisschen der Ideologie oder der politischen Linie entsprechen, aber jenseits davon gab es in diesem Sinne keine Zensur. Es war in der DDR so, dass die jeweiligen Chefredakteure in den Zeitschriften, die waren, wenn man so will, der oberste Zensor. Was die sich zutrauten, veröffentlichen zu können oder nicht, das erschien eben.
"Micky Maus"-Verbot in der DDR
Grampes: Welchen Stand hatten denn Westcomics in der DDR, also gab es eine "Micky Maus" zumindest mal unter der Hand?
Weißhahn: Es gab sie zwar immer unter der Hand, aber das war gesetzlich verboten. Man durfte diese Druckerzeugnisse nicht besitzen, einführen, vertreiben und so weiter. Natürlich kam in dem einen oder anderen Westpaket dann schon mal ein Asterix-Band oder eine "Micky Maus" irgendwie ins Land, über Ungarn, wo die Westcomics quasi an jedem Zeitungskiosk verfügbar waren, da schwappte einiges rein.
Man konnte sich, wenn man Verlagsmitarbeiter war in Berlin, zum Beispiel die "Mosaik"-Redaktion, jederzeit aus den Bibliotheken, die auch die Westcomics im Bestand hatten, Dinge ausleihen. Also es gab schon Möglichkeiten, aber man sollte sie zum Beispiel nicht in der Schule öffentlich auf dem Tisch rumliegen lassen, da gab es dann schon den einen oder anderen Lehrer, der das dann eingezogen hat.
Grampes: Sie haben gerade schon angesprochen, es gab offensichtlich einen Unterschied zwischen der DDR und dem Rest des Ostblocks, wie mit Comics verfahren worden ist. Wie waren die Unterschiede?
Weißhahn: Ja, tatsächlich sowohl in Ungarn, als auch in der Tschechoslowakei, als auch in Polen gab es viel weniger Berührungsängste mit den Comics aus dem Westen, da wurde also viel mehr importiert, übersetzt, abgedruckt, nachgedruckt. Auch die jeweils einheimische Szene an Zeichnern war deutlich größer und produktiver.
Ich denke, das Problem war, dass die DDR als ebenfalls deutschsprachiger Staat sich da viel stärker von dem westlichen System abgrenzen wollte, eben auch auf diesem Sektor, dass das Medium Comic, Bildgeschichte ganz spezifisch zur Bildung und ein bisschen zur Unterhaltung eingesetzt werden sollte, aber gar nicht so einen breiten Raum kriegen, weil es so ein verpöntes bürgerliches Medium war.
Das Nichtwissen im Westen
Grampes: Ich hänge gerade wieder an etwas anderem und zwar ganz stark – an dem, was ich vorhin schon mal angesprochen hatte, also die kollegialen Runden hier. Wir sind ein sehr heterogenes Team und wir haben viele Kollegen aus der ehemaligen DDR. Immer wieder erreichen einen so Todesmeldungen von Schauspielern zum Beispiel. Und wenn das jemand ist, der in der DDR berühmt war, aber in Westdeutschland halt nicht, dann wissen es halt meistens auch die Kollegen aus der DDR, die wissen etwas mit dem Namen anzufangen und die anderen teils weniger – oder ich kenne die dann auch nicht.
Was ist mit diesem Punkt, dieses was der Westen gemacht hat, das hat jeder zu wissen und jeder zu erfahren, und auf der anderen Seite gibt es immer noch so eine Wissenskluft, ein Nichtwissen, was war. Welche Rolle spielt das für Sie?
Weißhahn: Na ja, ich verstehe letztlich die Website ddr-comics.de auch so ein bisschen als öffentlich zugängliches Archiv von Dingen, die damals nur in einem Teil Deutschlands eine Rolle spielten. Es wurde von all dem, was hier an Comics erschienen ist, was sowieso schon nicht so viel war, davon gelangte nahezu nichts außerhalb des Landes. Insofern ist es letztlich nicht verwunderlich, dass da diese Wissenslücken bestehen, da würde ich auch nie jemandem einen Vorwurf machen. Wenn ich Dinge nicht zu Gesicht kriegen konnte, dann konnte ich sie halt auch nicht kennenlernen.
Aber insofern habe ich mich über den Preis natürlich gefreut, weil der jetzt ein bisschen Aufmerksamkeit auch wieder auf die Website zieht, und tatsächlich ich auch Rückmeldungen bekomme von Comickolleginnen und -kollegen aus den alten Bundesländern, die ganz überrascht sind, was es da alles gegeben hat, und sich dann auch schon ein bisschen darein vertiefen. Und dann hat es, würde ich sagen, ein bisschen seinen Zweck erfüllt.
Die große Neugier auf DDR-Comics
Grampes: Was nicht außer Landes gekommen ist, das konnte man natürlich nicht sehen. Aber der andere Punkt ist die Neugier darauf. Gibt es eine Neugier darauf, zu erfahren, was war? Wie nehmen Sie diese wahr?
Weißhahn: Das ist mir über die mittlerweile schon zwei Jahrzehnte, die ich mich damit intensiver beschäftige, immer wieder begegnet. Es ist tatsächlich so, dass auch meine kleine Nachdruckreihe Abnehmer im Westen gefunden hat, die sich dann auch zurückmeldeten und ganz erstaunt waren, was doch so möglich war in der begrenzten, abgegrenzten DDR in dieser Hinsicht.
Grampes: Wenn man jetzt auf Ihre Homepage kommt, so ging es mir zumindest, ich war erst mal erschlagen von dieser Bandbreite der Geschichte, von den vielen bunten Bildern. Dann kann man sich durch Comicstrips auch so durchklicken, sich einzelne Sachen angucken. Was würden Sie aus dieser ganzen Bandbreite denn als erstes empfehlen wollen, was man sich da angucken sollte.
Weißhahn: Ich glaube, es würde Sinn ergeben, erst mal die kleine Einleitung zu lesen, um einen Überblick zu kriegen, worum es da so geht. Und ansonsten, Sie haben völlig recht, das ist über die Jahre so viel geworden, ich würde vielleicht empfehlen mal in die Rubrik "Mosaik" und "Frösi" reinzugucken, das sind so die wichtigsten Comiczeitschriften gewesen. Und da sieht man dann schon viele Beispiele dafür, was da so abgedruckt worden war damals.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.