Jüdische Musik für das 21. Jahrhundert
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Alljährlich zum Rudolstadt-Festival wird der Weltmusikpreis Ruth verliehen. Ausgezeichnet wurde dieses Mal die Gruppe The Sephardics. Das Quartett begeisterte mit einer Mischung aus traditioneller Musik der sephardischen Juden, Jazzrock und Free Jazz.
Der Ruth-Förderpreis ist nicht der erste Weltmusikpreis für die Sephardics. Bereits 2017 wurden sie mit dem Preis des Landesausscheides der CREOLE in Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.
"Das sind total wichtige Auszeichnungen. Weil es eine Wertschätzung der Arbeit ist. Ein ganz wertvolles Geschenk", erklärt Manuela Weichenrieder, die Sängerin und Pianistin der Sephardics. Ein Quartett, das die traditionelle Musik der spanischen, der sephardischen Juden einbettet in rockige Attitüden und Formen des modernen Jazz.
Offenes Herangehen an traditionelle Musik
Doch einen Jazzpreis hätten sie deswegen nicht gern gehabt. Das hat vor allem mit der musikalischen Sozialisation von Cellist und Arrangeur Ludger Schmidt und seinen musikalischen Intentionen zwischen Jazz, Klassik und Moderne zu tun.
Neben Schmidt stehen auch die übrigen drei Mitglieder der Sephardics für ein offenes wie differenziertes Herangehen an die traditionelle Musik der sephardischen Juden. So beschäftigt sich Manuela Weichenrieder, die klassischen und Jazzgesang studiert hat, auch mit traditioneller Musik verschiedener Kulturen und deren zeitgenössischen Umsetzung.
Geiger und Saxofonist Martin Verborg kommt aus der Folklore- und Klassiktradition und widmet sich seit Mitte der 70er-Jahre dem Jazz. Der vierte im Bunde ist der studierte Schlagzeuger Patrick Hengst. Auch er ist in verschiedenen musikalischen Bereichen tätig.
Erfahrene Musiker also, die es erst mit ihrer Expertise möglich machen, dass die 500 Jahre alte Musik der Sepharden mit den zeitgenössischen Spielarten einer jazzdominierten Weltmusik homogene Symbiosen eingehen kann.
Ohne Verlust von historischer Authentizität
Bei der Arbeit mit den Sephardics kommen Ludger Schmidt und Manuela Weichenrieder auch Erfahrungen zugute, die sie im Ensemble Draj gesammelt haben. 1996 gegründet, stand schon dieses Trio mit Cello, Akkordeon und Gesang für jiddische Lieder.
Der Westdeutsche Rundfunk schickte das Trio, das sich inzwischen aufgelöst hat, zum EBU-Folkfestival nach Finnland - nicht ahnend, dass hier der Grundstein für die Gründung der Sephardics gelegt werden sollte.
Bei aller jazzaffinen und virtuosen Raffinesse der Sephardics, die alten sephardischen Lieder neu zu interpretieren: Wichtigstes Element, von dem alles andere ausgeht, sind die alten Melodien mit ihren Texten selbst. Sie zu singen und dabei immer wieder den traditionellen wie modernen Kontext ohne den Verlust von historischer Authentizität einerseits und tiefgreifender Sinnlichkeit andererseits zu riskieren, scheint für Sängerin Manuela Weichenrieder kein Problem zu sein.
Innigkeit und Sensibilität
Die Innigkeit und Sensibilität im Umgang mit den alten Liedern und ihren Texten steht in einem progressiven, belebenden Kontrast zu deren Interpretationen. Dabei schwebt der energetische, jazzige Grundsound der Sephardics nicht dogmatisch über allem. Erst die feine, geschmackvolle Ausdifferenzierung von musikalischen wie emotionalen Nuancen zwischen abenteuerlichem Virtuosentum und stimmungsvoller Zurückhaltung macht die Musik der Sephardics zu einem großen Erlebnis: Auch so kann jüdische Musik im 21. Jahrhundert klingen.