Blogger Badawi erhält Sacharow-Preis
"Abfall vom Glauben" lautet die Anklage. Der kritische Blogger Raif Badawi ist in Saudi-Arabien in Haft. Vor Kurzem ist er in den Hungerstreik getreten. Seine Frau wird heute den Sacharow-Preis für Menschenrechte im EU-Parlament für ihn in Straßburg entgegennehmen.
Für die zierliche junge Frau ist es ein Interview-Marathon. 15 Minuten pro Journalist sind vorgesehen, so geht das mehr als drei Stunden lang. Stellvertretend für ihren weiterhin in Saudi-Arabien inhaftierten Ehemann Raif wird Ensaf Haidar heute im EU-Parlament in Straßburg den Sacharow-Preis für Menschenrechte in Empfang nehmen. Keine leichte Situation, erzählt sie:
"Offen gestanden sind meine Gefühle sehr gemischt. Ich fühle Stolz und Freude, aber diese Freude ist natürlich getrübt. Ich wünschte natürlich, Raif wäre heute mit mir zusammen hier an diesem Ort. Aber ich hoffe, dass Frieden bald möglich sein wird und wir ihn bald erreichen."
Seine Familie erhielt in Kanada Asyl
Doch die saudischen Behörden geben sich bislang unnachgiebig. Seit Juni 2012 sitzt der Blogger Raif in Haft. Sein Verbrechen: Er gilt als liberale Stimme Saudi-Arabiens, hat sich für Menschenrechte und eine Gesellschaft eingesetzt, die auch andere Ansichten zulässt. Seine Frau ist mit den drei Kindern ins kanadische Asyl geflüchtet – von dort hält sie, so gut es geht, Kontakt zu ihrem Mann:
"Es ist jetzt in ein neues Gefängnis gebracht worden. Seither habe ich keine Informationen mehr von ihm. Ich hoffe, es geht im gesundheitlich jetzt besser. Das letzte Mal, als ich mit ihm gesprochen habe, das war letzten Donnerstag, da ging es ihm gesundheitlich nicht sehr gut. Denn seit letztem Dienstag ist er in einem Hungerstreik. Ich habe jetzt keine neuen Informationen."
Blog "Liberal Saudi Network" gesperrt
2005 hatte Raif seinen Blog "Liberal Saudi Network" gegründet, längst aber sind alle Textseiten gesperrt. Kritik am Islam oder gar am Königshaus sind in Saudi-Arabien verboten, gegen kritische Medien geht der Staat rücksichtslos vor, heißt es bei Reporter ohne Grenzen. Für seinen Mut wird ihn heute das EU-Parlament ehren – der Sacharow-Preis, die öffentliche Aufmerksamkeit, so meint Ensaf Haidar, könnten helfen:
"Ich bin immer voller Hoffnung. Ich vertraue dem Kurs, den Raif eingeschlagen hat. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dieser Preis ein Echo auslösen wird; und er wird uns auch beeinflussen – psychologisch. Und ich hoffe, dass dieser Preis vielleicht auch zu seiner Freilassung beitragen wird. Was immer wir auch machen, das ist unser Ziel."
2013 war Raif angeklagt worden – "Abfall vom Glauben" lautete der Vorwurf. Die zunächst verhängte Todesstrafe wurde später zwar aufgehoben, nicht aber die zehnjährige Haft sowie 1000 Stockschläge. Für seinen politischen Mut zahlt der 31-Jährige also einen hohen Preis – und doch, so meint seine Ehefrau, würde er heute nicht anders handeln:
"Er hat keine Fehler gemacht. Und er ist von seinem Weg völlig überzeugt. Das gilt auch für mich. Auch ich vertraue seinem Kurs und bin davon überzeugt. Was er gemacht hat: Er hat seine Meinung formuliert. Und alles, was er geschrieben hat, steht in einem Buch. Jeder kann das dort nachlesen und überprüfen, ob seine Sätze eine derart harsche Reaktion rechtfertigen. Also ich bin von seinem Weg überzeugt, auch wenn wir sehr unter seiner Abwesenheit leiden. Aber wir hoffen dennoch auf ein gutes Ende."
50 Stockschläge wurden bislang öffentlich vollstreckt. Im Januar 2015. Raif Badawi wurde dabei schwer verletzt.