Wunderland irritierender Ornamente
Kaum mehr als drei Gemälde verlassen jährlich ihr Atelier – doch die sind so eigenwillig, dass es schwerfällt, sie stilistisch einzuordnen. Jetzt wird Corinne Wasmuht mit dem renommierten Käthe-Kollwitz-Preis geehrt.
Durch eine Abfertigungshalle gehen Menschen, seltsam fragmentierte Gestalten, durchschossen von Farbstreifen. Aus diesen Pinselschlieren entstehen in einer zweiten, dritten und sogar vierten Schicht virtuell anmutende Räume, eine Art Computersimulation – aber gemalt, mit Ölfarbe auf Holz. Das Besondere aber ist nicht diese aufwendige Technik, sondern die prismatische, viele Facetten nebeneinander collagierende Malweise, mit der Corinne Wasmuht sich von Zeitgenossen und Vorgängern in der Kunstgeschichte unterscheidet. Die kannten im Grunde nur zwei Wege, Abstraktion oder figurative Malerei:
Wasmuht: "Mit diesen beiden Wegen, da kann man auch noch zu guten Ergebnissen kommen. Ich habe aber immer versucht, in einer Schlangenlinie zwischen beiden zu switchen."
Damit ist die Künstlerin schwer zu fassen, stilistisch kaum festzulegen. Deshalb bringt die Jury der Berliner Akademie der Künste das fast schon legendäre "Archiv" ins Spiel, als "nahezu eigenständiges Werk", wie es in der Begründung für die Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises heißt. Da also soll die Quelle dieser Bilderfindungen sein? In einem schnöden Speicher, ein paar Terrabyte mit Tausenden von Digitalfotos und Screenshots aus dem Internet, die Wasmuht zudem als absolute Privatsache behandelt sehen möchte? Für sie zählen erst einmal nur die Motive:
"Es sind so zwei, drei Linien, die ich konsequent verfolge: einerseits diese Linienmotive, dann auch Blasenmotive. Es fing an mit Fischaugen, die wurden nie ausgestellt, weil alles seit Ewigkeiten in einer Privatsammlung ist. Und dann geht es weiter über die Raupen und die Kröten – bis hin zu diesen Autoscheinwerfern und den Lichtern."
Auf der Suche nach dem "Mega-Bild"
Raupen und Kröten, präzis und naturalistisch, führten zu Missverständnissen. Die Bilder waren eindeutig, das Motiv auf den ersten Blick zu identifizieren. Die Autoscheinwerfer dagegen changieren als Lichtflecken durch grelle Farbschlieren. Ein traumverlorener Schwebezustand, zu dem es mehr braucht als Fotovorlagen:
"Ich lese viel. Bei guten Schriftstellern entstehen auch gute Bilder – aber die kann ich dann nicht verorten. Also, auch mit Musikhören habe ich Bilder im Kopf, eher mehr als durchs Lesen."
Auf der Suche nach dem, was sie "Mega-Bild" nennt, entdeckt die Malerin hin und wieder ein "Hammermotiv". Das sind dann Blicke, Seherfahrungen, die sich mit der Gewalt von Beat-Rhythmen ins Bewusstsein drängen und überlagern.
"Ich male nur meine Hirnwürmer. Also die Bilder, die immer wieder kommen. Wenn ich sie dann auf die Leinwand gebannt habe, ist der Ohrwurm vorbei, der Hirnwurm. Sobald diese Bildwürmer aus mir raus sind und gemalt sind, dann ist das draußen und dann kommen schon die neuen."
Diesen Eingebungen sind konstruktive Logik, schlüssige Konzepte oder einengende Stilvorgaben naturgemäß fremd:
Beharrlichen Auseinandersetzung mit dem tagtäglichen Bilderrauschen
"Ich habe mal ein Sechseck im Achteck geträumt, das geht gar nicht. Genauso ist es mit den Bildideen, die man so im Kopf hat. Die funktionieren prima im Traum, und dann malt man sie, und das funktioniert nicht."
Was zu Beginn der Neunzigerjahre funktionierte, das waren die auf meterhohe Formate übertragenen Strukturen dichter Haarschöpfe und ein Feuer im Kamin, zerlegt in zahlreiche Facetten einer immer wieder anders aufzüngelnden grellgelben Flamme. Später dann naturkundliche Gewebeschnitte unterm Mikroskop, virtuos zusammengefügt zu einem Wunderland irritierender Ornamente. Aber nicht diese Art von malerischem Bild ist das Ziel, sondern das Malen selbst als kreativer Akt:
"Da arbeitet schon das Unterbewusstsein mit, aber es ist gekoppelt an das Wissen, das man von den anderen Bildern mitbringt. Durch diesen Malprozess passiert auf einer geistigen Ebene etwas. Da wird man ein Alchemist oder so etwas wie ein Medium, aber sehr bewusst. Mit meiner Wahrnehmung sind dabei Prozesse im Gang, die ich unbedingt brauche, um mich künstlerisch weiterzuentwickeln."
Wasmuhts jüngste Bilder zeichnen sich aus durch klare Strukturen. Anstelle vielfach geschichteter Flächen tritt die Spannung zwischen einzelnen, nicht scharf voneinander abgegrenzten, aber doch erkennbar in den Fokus gerückten Motiven. Das ergibt räumliche Tiefe. Knapp zwei Dutzend Arbeiten aus den Jahren 1991 bis 2013 verdeutlichen diese Entwicklung. Und die beruht auf der beharrlichen Auseinandersetzung mit dem tagtäglichen Bilderrauschen – gepaart mit Erfahrung und Gespür, wie sie so nur noch in der Einsamkeit des Ateliers zu haben sind:
"Ein Lichtreflex wirkt manchmal kräftiger als eine Blume oder die Struktur vom Sand. Wie prägt sich das ein, und wie kommt das immer wieder zurück, und wie formt es sich zu einem neuen Gebilde? Was passiert mit mir, also mit meiner Erinnerung? Das geht ja durch einen durch, durch diesen Akt der konzentrierten Malerei."