Opfer bringen für die Arbeit in der Gigafactory
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Die Tesla-Baustelle in Brandenburg hat bereits viel Aufsehen hervorgerufen. Anwohner und Umweltschützer protestieren. Die Regierung hat große Hoffnungen. Nun sucht der US-Autobauer Beschäftigte – kein einfaches Unterfangen für alle Seiten.
Ein Mann, Ende 30, kommt gerade vom Vorstellungsgespräch bei Tesla – und ist ziemlich begeistert. Für ihn ist Elon Musk ein Vorreiter, ein moderner Jules Verne: "Das Tolle ist, was er so vorhat, mit diesen erneuerbaren Energiegeschichten." Früher hat der Mechatroniker – der wie alle anderen Bewerber auch, anonym bleiben möchte – bei einem weltweit operierenden deutschen Unternehmen gearbeitet. Jetzt will er bei Tesla anfangen, mit "anpacken". Ob das klappt?
Zu den Arbeitsbedingungen gibt es kaum Informationen. Nur so viel ist jetzt schon klar, die Bezahlung sei mau, sagt der Mann. Er sei gelernter Mechatroniker und würde eingruppiert werden wie ein Ungelernter. Außerdem ohne Tarifvertrag. "Ich würde sagen, dass es ein Drittel weniger ist, als im IG-Metall-Tarifvertrag drin ist." Das hieße, sagt er: Ein Drittel weniger verdienen, als ein gleichrangiger Mitarbeiter bei VW oder Daimler. Warum macht er es dann? "Erstmal muss man reinwachsen, kleine Schritte machen."
Drei Werkhallen stehen schon auf dem 300 Hektar großen Fabrikgelände. Man kann fast dabei zusehen, wie dort in rasender Schnelligkeit eine hochmoderne Autofabrik entsteht. Mitten im märkischen Kiefernwald, am Rand des östlichen Berliner Rings. Anfangs sollen hier 12.000 Mitarbeiter beschäftigt sein.
Die Bandbreite der Menschen, die bei Tesla arbeiten wollen, ist groß: Hochschulabsolventen, Facharbeiter, Ungelernte.
Team der Arbeitsagentur in Grünheide
Derzeit finden bei Tesla sogenannte Bewerbertage statt, darum kommen im Stundentakt Interessenten auf die Baustelle. Unterstützt wird der US-Autobauer von der Arbeitsagentur Frankfurt/Oder. Im vergangenen Herbst wurde nur für Tesla-Bewerber das sogenannte "Team Automotive" gegründet.
Acht Job-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten zum Teil direkt auf der Baustelle, in einem sogenannten "Beratungs-und Vermittlungs-Hub". In einer schriftlichen Stellungnahme der Arbeitsagentur Frankfurt/Oder heißt es:
"Es gibt Tausende Anfragen und Interessenten für die in der Jobbörse der Bundesagentur ausgeschriebenen Stellen bei Tesla und speziell der Gigafactory in Grünheide."
Ansonsten möchte man sich zum Einstellungsverfahren bei Tesla nicht öffentlich äußern. Was man jedoch hinter vorgehaltener Hand erfährt: In dreimonatigen Bildungsmaßnahmen würden "Bewerber mit Vorerfahrung als auch Quereinsteiger für den Tesla-Produktionsbereich vorbereitet". Finanziert durch das Jobcenter.
"Tarif-orientiert" statt Tarifvertrag?
Aktuell sucht der Autobauer offenbar noch bis zu 5000 Mitarbeiter. Kein einfaches Unterfangen: In Brandenburg herrscht Fachkräftemangel. Mit sechs Prozent Arbeitslosigkeit nähert sich vor allem der Osten Brandenburgs in Richtung Vollbeschäftigung.
Ob Tesla nach dem Flächentarifvertrag zahlt – dem sogenannten Entgelt-Rahmenabkommen, der zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall ausgehandelt wurde –, ist unklar. Es kursiert das Wörtchen "tarif-orientiert". Die Rede ist von monatlich 2700 Euro brutto. Birgit Dietze zieht misstrauisch die Augenbrauen hoch. Sie ist die IG-Metall Chefin für die Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen.
"Man muss gucken, was ist da alles inklusive und was nicht", sagt sie. "Und dann muss man schauen, welche Arbeitsleistung wird dafür erfordert. Also reden wir über sieben Tage Rund-um-die-Uhr, reden wir über 40 Stunden, 45 Stunden oder 35, 38 Stunden in der Woche. Das ist auch eine Frage, wofür bekommt man den Satz an Geld."
Aktien-Optionen gegen Arbeitsleistung?
In den Job-Ausschreibungen werden auch Aktienbeteiligungen als Teil der Bezahlung angeboten. IG-Metall Regional-Chefin Dietze ruft zur Vorsicht. Woanders gebe es auch Belegschaftsaktien, etwa bei Daimler, bei Siemens. Das sei grundsätzlich erst mal nicht verwerflich.
"Interessant wird es dann, wenn Aktienoptionen zur Vergütung für Arbeitsleistung werden sollten", sagt sie. "Also, wenn man ganz wenig Geld bekommt und den Rest als Aktienoptionen bekommt. Und man müsste davon seinen Lebensunterhalt bestreiten. Man merkt schon an dem Beispiel, nicht gangbar, nicht tragfähig."
Wenn man aber wie bei Siemens oder Daimler ein gut eingruppiertes Entgelt bekomme für seine Arbeitsleistung und oben drauf eine Belegschaftsaktie, dann sei dagegen nichts einzuwenden, sagt Dietze.
Tesla-Chef Elon Musk sei kein Freund der Gewerkschaften. Von ihren US-amerikanischen Kollegen wisse sie, erzählt Gewerkschafterin Dietze, dass diejenigen, die sich im Tesla-Stammwerk im kalifornischen Freemont für die Gründung eines Betriebsrats stark machen, befürchten müssen, ihren Job zu verlieren.
Ein Umgang, den Dietze nicht nachvollziehen kann. Musk müsse verstehen, sagt Dietze, dass betriebliche Mitbestimmung sich am Ende auch auf das Betriebsklima und damit den Erfolg des Unternehmens auswirke.
Zweifel an Zusicherungen der Landesregierung
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, SPD, appelliert an die Geduld. Er stehe permanent mit Elon Musk im Austausch und könne versichern:
"Ich habe die ganz klare und unmissverständliche Zusicherung von Tesla, dass alle Regeln, auch Mitbestimmungsregeln, auch die Frage der Gründung eines Betriebsrates und Ähnliches, dass dort alle Spielregeln beachtet und erlaubt werden. Dass es da keine Einschränkungen geben wird."
Steffen Schorcht, Sprecher der ortsansässigen Bürgerinitiative, des Vereins für Natur und Landschaft in Brandenburg e.V., glaubt diesen Zusicherungen nicht. Für ihn werde durch Tesla nur eine verlängerte Werkbank in Brandenburg geschaffen, kein Hightech-Labor.
Ihm ist die gesamte Ansiedlung ein Dorn im Auge: "Ich habe den Eindruck, die Landesregierung leidet an der Hybris, ist der Meinung, Brandenburg spielt in der Liga mit Bayern. Ohne zu sehen, dass es hier keine Forschung gibt."
Kritik an Teslas Wasserbedarf
Sein Hauptkritikpunkt: der für die Produktion immense Wasserbedarf. Laut Antragsunterlagen geht es um jährlich 1,4 Millionen Kubikmeter Trinkwasser. Das entspricht – laut Angaben des örtlichen Wasserversorgers – dem Verbrauch einer 40.000 Einwohner großen Stadt, wie beispielsweise Wismar, Heidenheim oder Hof.
Mit den Klagen der Anwohner über den zu hohen Wasserbedarf, kann der 50-jährige Unternehmenschef Elon Musk nichts anfangen. Zumindest klang das noch so im vergangenen September, während seines Blitzbesuchs auf der Baustelle in Grünheide bei Berlin:
"Wir sind nicht in einer trockenen Region. Diese Bäume hier würden nicht wachsen, wenn es kein Wasser gäbe. Wir sind nicht in einer Wüste. Ich bin zuversichtlich. Ich denke, dass wir die umweltfreundlichste Fabrik der Welt sind."
Ursprünglich sollte das erste Auto in diesem Monat vom Band rollen. Jetzt heißt es: Ende des Jahres könnte es soweit sein. Aber noch immer fehlt die umweltrechtliche Genehmigung. Weil Tesla jetzt auch noch eine Batteriezellenfertigung auf dem Gelände haben will, muss das ganze Genehmigungsverfahren neu aufgerollt werden.
Größer bauen als ursprünglich geplant
Zudem will Tesla Teile seines Autowerks größer bauen als ursprünglich geplant. Deshalb müssen "weitere circa 1180 Gründungspfähle" in die Erde eingebracht werden, um das Fundament zu sichern. Für Tesla-Kritiker Schorcht ein Problem.
"Man muss hier wissen, das Werk liegt nicht nur im Wasserschutzgebiet, sondern auch im Berliner Urstromtal. Das ist alles Sand. Schwere Lasten – wie sie bei einer Aluminiumdruckgießerei für die Karosserie vorhanden sind – müssen zusätzlich gestützt werden. Das wird mit Pfählen gemacht", erklärt er.
"Die werden in die Erde gedreht, wie eine übergroße Schraube, circa 19 Meter tief in den oberen Grundwasserleiter. Die wirken wie eine Spundwand. Und dadurch, dass das Wasserschutzgebiet ist, befürchten wir massive Auswirkungen auch auf den Wasserzufluss in Richtung Hauptbrunnenanlage. Wenn die ausfällt, ist die Versorgung von 70.000 Menschen gefährdet."
Wirtschaftsminister fordert mehr Fairness
Brandenburgs Wirtschaftsminister Steinbach kann mit diesen Befürchtungen nur wenig anfangen.
"Im Augenblick neigt man offensichtlich dazu, alles, was im Zusammenhang mit Tesla gemacht wird, irgendwie gleich in Richtung Skandalisierung zu führen", sagt er. "Hier würde ich mir wünschen, dass einfach ein bisschen mehr Fairness und Gleichbehandlung zu anderen deutschen Unternehmen erfolgt. Und dass ein bisschen weniger aufgeregt diskutiert werden würde."
Schließlich könne der US-Autobauer Tesla letztlich ein Glücksfall sein. Nicht nur für Brandenburg, sondern für ganz Deutschland.
"Wir haben die Diktatur des Kapitals"
In Grünheide lebte einst auch einer der berühmtesten und mutigsten Oppositionellen der DDR, Robert Havemann. Nach der Ausbürgerung von Liedermacher Wolf Biermann, 1976, wurde Havemann unter Hausarrest gestellt, das Anwesen wurde von der Stasi umstellt.
Dieser Geist der Opposition weht hier weiter, ist sich das Ehepaar Bode einig. "Wir haben die Diktatur des Kapitals. Wir hatten früher eine andere Diktatur, jetzt haben wir die Diktatur des Kapitals."
Anders die Bewerber. Sie wünschen sich nichts sehnlicher als einen Arbeitsvertrag, wollen gern ein Teil der Tesla-Familie werden. Dafür würden sie sogar finanzielle Einbußen hinnehmen.