Ahmad Milad Karimi: "Osama bin Laden schläft bei den Fischen.
Warum ich gerne Muslim bin und wieso Marlon Brando viel damit zu tun hat"
Verlag Herder Freiburg, Oktober 2013
192 Seiten, 17,99 Euro, auch als ebook
Der Islam und die Mafia
Die Lebensgeschichte des aus Kabul stammenden Münsteraner Theologieprofessors Ahmad Milad Karimi bietet Stoff für eine Tragödie. Seine Autobiografie ist zugleich auch Reflexion eines gläubigen muslimischen Intellektuellen über seine Religion - Analogien zur Mafia inklusive.
Milad Karimi ist eine auffällige Erscheinung und eine ziemlich einzigartige dazu. Wegen seines gepflegten Bartes ist er schon als "Taliban" beschimpft worden. Dabei sieht er so gar nicht aus wie einer dieser einfältigen Dschihadisten aus den Bergen Afghanistans. Gewellte dunkle Haare, Schal, Sakko, Einstecktuch – Karimi gleicht rein äußerlich eher einem italienischen Dandy aus einem Mafia-Film.
Doch Karimi ist zugleich einer der hellsten muslimischen Intellektuellen, die Deutschland zu bieten hat. Einer mit einer Lebensgeschichte, die Stoff für eine Tragödie bietet und die er in seinem Buch verarbeitet.
Milad Karimi: "Es ist mir irgendwann schon bewusst geworden, dass mein Lebensweg irgendwie seltsam ist. Überhaupt die ganze Tragik, die ganzen Traumata, die meine ganze Kindheit geprägt haben, eben ein Kriegskind zu sein – das hat mich irgendwann eingeholt, als ich meinte, Frieden gefunden zu haben, hier in diesem schönen Land. Und das ist eine Art Reflexion."
Seine Heimat Kabul erlebt er in den 80ern vor allem als Ort des Kriegsterrors. Trotzdem schwärmt er bis heute von dieser geschundenen Stadt.
"Kabul hat eine besondere Schönheit. Der Himmel über Kabul ist von einem so strahlenden, tiefen Blau, als hätte Gott ihn eigenhändig in reines Lapislazuli getaucht. Wer Kabul begreifen will, der muss sich diesen Himmel anschauen."
Die Flucht aus Kabul verläuft abenteuerlich. Über Indien reist die vierköpfige Familie nach Russland – von Schleusern betrogen sitzt sie mehr als ein Jahr im kalten Moskau fest. Dass sie irgendwann doch ans Ziel ihrer Träume gelangt und nach Deutschland kommt, gleicht einem Wunder.
Islam ist keine Gesetzesreligion
Doch die vier stranden als illegal Eingereiste in einem Asylbewerberheim. Seinem Drang nach Wissen, seinem Willen zu lernen und aufmerksamen Lehrern hat es Karimi zu verdanken, dass er Abitur machen kann. Geblieben ist das Gefühl, die Heimat verloren zu haben.
"Mir wurde mein Geburtsort entrissen. Meine Heimat ist in mir begraben; ein gebeugter Baum, der sich jeden Herbst neu entblättert. Der Abschied endet nie. Das Entreißen und Entrissensein geht weiter. Niemals flüchten wir ganz. Ich ließ einen Teil von mir dort und nahm einen anderen mit."
Karimi schreibt nie mit einem Klageton, stattdessen oft mit einem schelmischen Humor, der sich auch über sich selbst lustig machen kann. Heute lehrt er islamische Philosophie an der Uni Münster. Sein Buch ist nur zum Teil Autobiographie. Es ist zugleich die Reflexion eines gläubigen muslimischen Intellektuellen über seine Religion.
Der Islam ist für ihn keine Gesetzesreligion mit strengen Regeln. Islam und Koran sind für ihn vor allem eins: ein ästhetisch schönes Erlebnis. Hier spricht der Schwärmer, der Mystiker, der Poesie-Liebhaber. Den Koran hat er ins Deutsche übersetzt in dem Versuch, die Eleganz seiner Verse zu vermitteln. Sein Helfershelfer: Rainer Maria Rilke. Ohne den Dichter und ohne den Koran könne er nicht leben.
"Weil Rilke war jemand, der wirklich ein ganz feines und subtiles Gefühl für die Sprache hat. Er ist jemand, der durch die Sprache lebt. Und genau das ist das, was der Koran bewirkt. Der Koran hat gerade diese Stimme, diese heilende, aber auch zerreißende, diese wirklich ziemlich gewaltige Stimme und dennoch zerbrechlich.“
Milad Karimi versteht es wie nur wenige, das Denken des Abendlandes und des Orients zusammenzubringen. Er kann in einem Atemzug über den Koran und über Hegel reden. Als Philosoph interessiert ihn nicht nur die Schönheit der Dinge, sondern auch deren Hässlichkeit.
"Der Pate" verkörpert Uneindeutigkeit
Er hält wenig von vermeintlichen Eindeutigkeiten, schon gar nichts von totalitären. Ihn fasziniert das dualistische Verhältnis: das Böse im Guten, das Weiße im Schwarzen. Deshalb schwärmt er auch für Mafia-Filme, ist ein großer Fan von Francis Ford Coppolas "Der Pate" und von der TV-Serie "Die Sopranos".
"Das wurde dann als Superlativum bei den Sopranos gezeigt: dass jede Figur zwei Seiten hat. Jede Figur will nicht das sein, was sie eigentlich ist, und gerade darin zerstört wird. Und wenn Sie mich als Muslim jetzt anschauen: Genau das ist unsere Aporie. Der Islam ist eine Religion, die verstanden wird. Und Verstehen ist eben keine totalitäre Angelegenheit. Der Islam kann wunderbar sein. Aber der Islam kann auch schrecklich sein."
Niemand verkörpert für Karimi diese Uneindeutigkeit so wie Marlon Brando als Mafiaboss Vito Corleone in "Der Pate": Er sei Männlichkeit und Zerbrechlichkeit zugleich. Das Schreckliche im Islam manifestiere sich vor allem im 11. September. Nach den Terror-Angriffen wollte er mehr über seine Religion wissen. Er studiert Islamwissenschaften. Und wieder entdeckt der Muslim eine Analogie zur Mafia.
"In einer der Schlüsselszenen des dritten und letzten Teils von 'Der Pate' gewinnt der Pate Michael Don Corleone die Einsicht, dass sein Bemühen aus den Fängen der Mafia zu entkommen, gescheitert ist."
Als Muslim hat ihn Osama bin Laden immer wieder eingeholt. Schon in Kabul, noch ein Kind, kannte er seinen Namen. Und seit dem 11. September muss er sich immer wieder für seine Religion rechtfertigen. Zehn Jahre später exekutierten US-Soldaten den Terror-Fürsten und bestatteten seine Leiche auf See – bin Laden schläft bei den Fischen. Auch dieses Ende ließ Milad Karimi nicht los:
"Warum sind wir nicht in der Lage, uns mit dem Bösen zu konfrontieren? Denn das wäre die größte Möglichkeit zu zeigen, dass wir aufgeklärt sind, dass wir rational sind, dass wir gut sind, dass wir human sind, weil wir das, was uns bedroht, was unmenschlich ist, zur Sprache verhelfen. Dass wir Osama bin Laden den Prozess machen. Und das ist das, was wir gerade nicht geschafft haben zu machen. Das ist insofern tragisch, weil wir Osama bin Laden nicht nur lebendig, sondern auch als toten Menschen verdrängen."
Der Münsteraner Theologieprofessor fordert das gängige Verständnis vom Islam nicht nur heraus, sondern zerlegt es elegant. Er entfaltet seine Argumente leise, aber mit Wucht. Das Buch ist eine wunderbare Gegenerzählung voller Schwere und Leichtigkeit zugleich.