Autobiografie

Labyrinthischer Lebensweg

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt ein Porträt der Schriftstellerin Helga M. Nowak.
Helga M. Novak auf einem Foto vom 19. Januar 1971 © picture-alliance / dpa
Von Michael Opitz |
Im dritten Teil ihrer autobiografischen Schriften widmet sich Helga M. Novak den ereignisreichen Jahren zwischen 1954 und 1963. "Im Schwanenhals" handelt davon, wie sie zweimal aus der DDR nach Island flieht - um jeweils wieder zurückzukehren.
"bin beschadet und verbissen worden / gekappt und angebrochen und entwurzelt / die Schonung ist zu Ende."
Diese Zeilen aus Helga M. Novaks Gedicht "bin beschadet" aus ihrem 1997 erschienenen großartigen Gedichtband "Silvatica" korrespondieren mit dem Titel "Im Schwanenhals", dem dritten und abschließenden Teil ihrer Autobiografie. Als Schwanenhals wird eine eiserne Jägerfalle bezeichnet, aus der es für die Tiere kein Entrinnen gibt. Entweder schleppen sie die Falle bis zum Eintreten des Todes hinter sich her oder sie beißen sich ein Bein ab. Nur "beschadet" kann ihnen die Flucht gelingen.
Dass sich der DDR-Sozialismus, auf den die 1935 in Berlin geborene Autorin so viel Hoffnungen setzte, als eine Falle erwies, davon handeln "Die Eisheilgen" (1979) und "Vogel federlos" (1982) - die beiden erste Teile ihrer Autobiografie. Aus der eisigen Beziehung zu ihren Adoptiveltern flieht Novak in die Umarmung von Vater Staat und Mutter Partei und wird erneut enttäuscht.
In dem nun mehr als 30 Jahre später erschienenen dritten Teil ihrer Autobiografie wendet sich Novak den ereignisreichen Jahren zwischen 1954 und 1966 zu. Der Staatssicherheit, der sie sich zunächst als IM zur Verfügung stellt, erteilt sie eine Absage, als sie mit ihrem ersten Mann, einem Isländer, nach Island flieht. Wenig später kehrt sie in die DDR zurück und lernt erneut einen Isländer kennen. Auch mit diesem Mann geht sie nach Island, und wiederum endet die Beziehung mit ihrer Rückkehr in die DDR. Ihre beiden Kinder wachsen bei Pflegeeltern in Island auf.
Mit ganz eigener Sprache
Auf der im Atlantik gelegenen Insel arbeitet die "Entwurzelte" "im Fisch", und in Ost-Berlin ist sie als Arbeiterin in einem Werk beschäftigt, das Fernsehröhren produziert. Ihr erster Gedichtband "ostdeutsch", der in einem isländischen Verlag erscheint, bleibt zunächst nicht mehr als eine Episode. Doch als der Luchterhand Verlag 1965 diese Gedichte unter dem Titel "Ballade von der reisenden Anna" veröffentlicht, wird man auf die Autorin aufmerksam, die eine ganz eigene Sprache spricht.
Die Chance, in der Bundesrepublik Karriere zu machen, schlägt Novak aus. Nach ihrer erneuten Rückkehr in die DDR schreibt sie sich als Studentin am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig ein. Geschont wird sie in der DDR nicht. Nachdem sie Kontakt mit dem Regimekritiker Robert Havemann aufgenommen hat, wird sie im Dezember 1965 exmatrikuliert. Im März 1966 erkennt man Helga M. Novak – zehn Jahre vor Wolf Biermann – die DDR-Staatsbürgerschaft ab.
Labyrinthisch mutet Helga M. Novaks Lebensweg an, der mit seinen Verzweigungen an das Labyrinth erinnert, das die nach Francisco eingewanderten Chinesen unter der Stadt angelegt haben. Sie bezeichnen diese Stadt unter der Stadt als Schwanenhals. Für Novaks abschließenden Teil ihrer Autobiografie, die widrigsten persönlichen Umständen abgetrotzt ist, erweist sich dieses Wort als Schlüsselbegriff.

Helga M. Novak: Im Schwanenhals
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013
346 Seiten, 19,95 Euro

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