Paul Auster: Winterjournal
Aus dem Englischen von Werner Schmitz
Rowohlt, Reinbek 2013
254 Seiten, 19,95 Euro
Phänomenologie des Atmens
Die Geschichte seines Lebens erzählt Paul Auster in "Winterjournal" als Geschichte seines Körpers. Der Autor gibt in dem autobiografischen Werk viel von sich preis und lässt den Leser nah heran an die Spuren der Ereignisse seines Lebens.
Das Leben ist ein Mysterium. Und nichts ist rätselhafter als die fundamentale Tatsache, in der Welt zu sein: Dass da etwas ist, was "Ich" genannt wird und was mit beiden Füßen auf dem Boden steht. Dabei würde man die eigenen Füße unter tausend fotografierten Füßen wohl selbst nicht erkennen, so fremd bleibt das eigene Körperliche, wenn es nicht als Ganzes, sondern im Detail betrachtet wird. Diesen fremden Einzelheiten und dem rätselhaften Ganzen spürt Paul Auster in seinem "Winterjournal" nach.
Es ist der Versuch einer Autobiographie des körperlichen In-der-Welt-Seins, ein "Katalog von Sinnesdaten", oder, wie er es auch nennt, eine "Phänomenologie des Atmens". Auster erzählt die Geschichte seines Lebens als Geschichte seines Körpers, was bedeutet, dass er sich damit sehr nahe kommt und sehr viel von sich preisgibt. Denn in den Körper haben sich auch all die Spuren von Ereignissen eingezeichnet, die wie verblasste Narben längst vergessen sind. Und offenbar, das zeigt sich immer wieder in Panikattacken und Zusammenbrüchen, die ihn heimsuchen, weiß der Körper mehr als der Kopf. Der Körper hat, wie Auster schreibt, "immer die Hauptlast deiner Ängste und inneren Kämpfe getragen, und die Schläge eingesteckt, die dein Kopf nicht auszuhalten bereit oder imstande ist."
Meditation über Endlichkeit und Tod
Die schlichte Chronologie der Lebenslinie ist aufgehoben in dieser Art des körperlichen Erinnerns. In der Du-Form spricht Auster als erinnernder Schriftsteller im Winter 2010/2011 sich selbst in all seinen vergangenen Erscheinungsformen an und ruft sie so wieder hervor. Das funktioniert deshalb sehr gut, weil der Erinnernde und all die Erinnerten ja tatsächlich auseinanderfallen in verschiedene Figuren, die ihm als "Du" gegenüberstehen. Was als Geschichte von Unfällen beginnt: eine aufgerissene Backe des Dreijährigen, ein schwerer Autounfall mit Frau und Kind, den alle wundersam unverletzt überstanden haben, was sich als Geschichte der Entdeckung der Sexualität fortsetzt – und darin ein wenig erwartbar wird – weitet sich bald auch zur Seelengeschichte, zur Meditation über Endlichkeit und Tod, die unauflöslich mit der körperlichen Existenz verbunden sind.
Besonders das Sterben von Vater und Mutter sind einschneidende Ereignisse gewesen. Schließlich geht es aber auch um die Liebe, um all die vergeblichen Bemühungen der früheren Jahre bis hin zum endlich eingetroffenen "Glücksfall", dem Wunder des Liebens und Zurückgeliebtwerdens, wie Auster es seit 30 Jahren mit seiner zweiten Ehefrau, der Schriftstellerin Siri Hustvedt, erlebt. Die Dauer dieser Liebe ist etwas, was der Vergänglichkeit der Körper entgegengestellt werden kann.
Schreiben ist "die Musik des Körpers"
Ein weiteres Thema – wie könnte es bei einem Schriftsteller anders sein – ist das Schreiben und der mühsame Prozess, in dem er dorthin findet. Das Initiationserlebnis Austers war eine Ballettaufführung ohne Musik, Körper, die den Rhythmus und Klang aus der eigenen Bewegung heraus produzierten. Die "Kluft zwischen Wort und Welt", die sich ihm da öffnete, bringt ihn schließlich dazu, auch das eigene Schreiben als körperlichen Vorgang aus dem Gehen und aus dem Rhythmus heraus zu begreifen: Schreiben ist "die Musik des Körpers, und auch wenn die Worte Bedeutungen haben, manchmal Bedeutungen haben können, ist es die Musik der Worte, wo die Bedeutungen beginnen."
Angesichts dieser Bewegung zur reinen Sprache sind alle Geschichten des Lebens, und davon hat Auster eine Menge zu erzählen, dann doch nur Material auf dem Weg, der ihn zum Schreiben und zur Liebe führt, wie es sie ohne diesen endlichen, beschränkten, verletzlichen, sinnlichen und lustvollen Körper nicht geben würde. Auster schafft es tatsächlich, diese Bewegung als Lebenslinie spürbar werden zu lassen.
Meditation über Endlichkeit und Tod
Die schlichte Chronologie der Lebenslinie ist aufgehoben in dieser Art des körperlichen Erinnerns. In der Du-Form spricht Auster als erinnernder Schriftsteller im Winter 2010/2011 sich selbst in all seinen vergangenen Erscheinungsformen an und ruft sie so wieder hervor. Das funktioniert deshalb sehr gut, weil der Erinnernde und all die Erinnerten ja tatsächlich auseinanderfallen in verschiedene Figuren, die ihm als "Du" gegenüberstehen. Was als Geschichte von Unfällen beginnt: eine aufgerissene Backe des Dreijährigen, ein schwerer Autounfall mit Frau und Kind, den alle wundersam unverletzt überstanden haben, was sich als Geschichte der Entdeckung der Sexualität fortsetzt – und darin ein wenig erwartbar wird – weitet sich bald auch zur Seelengeschichte, zur Meditation über Endlichkeit und Tod, die unauflöslich mit der körperlichen Existenz verbunden sind.
Besonders das Sterben von Vater und Mutter sind einschneidende Ereignisse gewesen. Schließlich geht es aber auch um die Liebe, um all die vergeblichen Bemühungen der früheren Jahre bis hin zum endlich eingetroffenen "Glücksfall", dem Wunder des Liebens und Zurückgeliebtwerdens, wie Auster es seit 30 Jahren mit seiner zweiten Ehefrau, der Schriftstellerin Siri Hustvedt, erlebt. Die Dauer dieser Liebe ist etwas, was der Vergänglichkeit der Körper entgegengestellt werden kann.
Schreiben ist "die Musik des Körpers"
Ein weiteres Thema – wie könnte es bei einem Schriftsteller anders sein – ist das Schreiben und der mühsame Prozess, in dem er dorthin findet. Das Initiationserlebnis Austers war eine Ballettaufführung ohne Musik, Körper, die den Rhythmus und Klang aus der eigenen Bewegung heraus produzierten. Die "Kluft zwischen Wort und Welt", die sich ihm da öffnete, bringt ihn schließlich dazu, auch das eigene Schreiben als körperlichen Vorgang aus dem Gehen und aus dem Rhythmus heraus zu begreifen: Schreiben ist "die Musik des Körpers, und auch wenn die Worte Bedeutungen haben, manchmal Bedeutungen haben können, ist es die Musik der Worte, wo die Bedeutungen beginnen."
Angesichts dieser Bewegung zur reinen Sprache sind alle Geschichten des Lebens, und davon hat Auster eine Menge zu erzählen, dann doch nur Material auf dem Weg, der ihn zum Schreiben und zur Liebe führt, wie es sie ohne diesen endlichen, beschränkten, verletzlichen, sinnlichen und lustvollen Körper nicht geben würde. Auster schafft es tatsächlich, diese Bewegung als Lebenslinie spürbar werden zu lassen.