Christa Wolf: Moskauer Tagebücher. Wer wir sind und wer wir waren
Herausgegeben von Gerhard Wolf
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
266 Seiten, 22,95 Euro, auch als ebook
Christa Wolf und Hans Magnus Enzensberger in der Sowjetunion
Er ist frei, sie nicht - das sollte man bedenken bei den "Moskauer Tagebüchern" von Christa Wolf sowie den Schilderungen Hans Magnus Enzensbergers seiner Besuche der Sowjetunion in "Tumult". Sie beschreiben ein fernes Land vor dem Hintergrund eines geteilten Deutschlands.
Dieselbe Zeit, dasselbe Land, zwei völlig unterschiedliche Sichten auf die Welt:
Da, die sich vorsichtig und unsicher an die Widersprüche der sozialistischen Realitäten herantastende junge Schriftstellerin aus dem Osten, immer auf der Hut vor sich selbst;
dort, der noch weitgehend unbekannte Nachwuchsautor aus dem Westen, der verwundert und manchmal fast selbstgefällig zur Kenntnis nimmt, wie ihn gleichermaßen sowjetische Literaturgranden und Partei-Apparatschiki ob seiner westlichen Herkunft umwerben.
Obwohl Christa Wolfs Tagebücher der Reisen in die Sowjetunion offensichtlich nie für die Veröffentlichung vorgesehen waren, ihnen also jegliche Art von Selbstinszenierung abgeht – wie wir sie von Thomas Mann oder dem ihre Wege gelegentlich kreuzenden Max Frisch kennen – geben sie einen tiefen Einblick in die Zerrissenheit jener Zeit und das fast naive Hoffen der Autorin, alles was ihr begegnet, das Schlechte wie das Gute, mögen zu einem positiven Ende finden.
Klare Worte dort, Andeutungen hier
Hans Magnus Enzensberger, den Autor aus dem Westen plagen derlei Zweifel nicht. Was beim Lesen beider Texte sofort auffällt: Er hat keine Angst vor seinen eigenen Gedanken. Er nimmt mit, was ihm gefällt, und wenn es eine Frau ist, und stößt ab, was er falsch und verlogen findet. In Moskau, in Leningrad, aber auch daheim.
Sie, weiß nur zu gut, ein falsches Wort, egal in welcher Form von ihr zu Papier gebracht, kann das Ende ihrer Laufbahn bedeuten. Die doch gerade erst begonnen hat. So bleibt vieles Andeutung, wer noch immer gerne "zwischen den Zeilen liest", ist hier genau richtig.
Sowohl Christa Wolf als auch Hans Magnus Enzensberger schreiben scheinbar über ein fernes Land, und doch beschreiben sie immer wieder nur die Wirklichkeit des geteilten Deutschlands. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Autoren: Er ist frei, sie nicht.
Hans Magnus Enzensberger: Tumult
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
287 Seiten, 21,95 Euro, auch als ebook