Mit Rollschuhen auf der Autobahn
Die aktuelle Debatte um die Energiewende habe 1973 ihren Anfang genommen, so Frank Bösch. Die Ölkrise gelte als starke Zäsur, die Grenzen des Wachstums seien damals viel diskutiert worden. Als Symbolbild für dieses Umdenken hätten sich die leeren Autobahnen eingebrannt.
Frank Meyer: Genau heute vor 40 Jahren, am 25. November 73, gab es den ersten autofreien Sonntag. Wir sprechen über diese Epochenwende mit Professor Frank Bösch. Er ist Historiker und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Guten Tag, Herr Bösch!
Frank Bösch: Guten Tag, Herr Meyer!
Meyer: Wie sieht es denn für Sie im Rückblick des Historikers aus, diese leeren Autobahnen, diese autofreien Sonntage? Sind das tatsächlich die entscheidenden Bilder, die Symbolbilder dafür, dass sich etwas Grundlegendes verändert hat?
Bösch: Zentrale Bilder sind es in der Tat, und auch für die Erinnerung an die 70er-Jahre sind die leeren Autobahnen in der Tat zentral und ganz wichtig. Es waren auch nicht nur die leeren Autobahnen, es wurde auch zum Beispiel die Weihnachtsbeleuchtung, die dieser Tage ja an vielen Orten wieder beginnt, reduziert im Jahr 1973, und insofern sah die weihnachtliche Feststimmung im November, Dezember damals recht trübe aus. Man muss allerdings sagen, dass die Deutschen nicht alle ganz deprimiert durch die Straßen gingen damals, sondern viele das auch mit Humor, manchmal sogar mit Begeisterung aufgriffen. Gerade junge Leute fuhren mit dem Fahrrad, mit Rollschuhen auf die Autobahn damals, viele ritten mit Pferden durch die Straßen und griffen insofern die plötzliche Stille eigentlich doch mit gewissem Witz auch auf.
Meyer: Und welchen Vorlauf hatte dieser Einschnitt, dieser Umbruch? So ein historischer Umbruch, der kommt ja nicht plötzlich auf, was gab es für einen Vorlauf dafür?
Bösch: In der Tat, die autofreien Sonntage haben wenig Energie gespart, sie haben Bewusstsein dafür geschaffen, dass Energie knapp ist. Und das hatte natürlich unter Experten einen langen Vorlauf. Bereits Ende der 60er-Jahre war unter Experten eigentlich klar, dass die Rohstoffe endlich waren. Bereits der vorherige Krieg in Israel, der Sechstagekrieg 1967, hatte deutlich gemacht, dass Öl eine politische Waffe der arabischen Staaten werden kann. Auch damals gab es schon ein kleines Embargo. Und insofern muss man auch unterstreichen, viele Reaktionen und Maßnahmen wurden bereits Ende der 60er-Jahre, Anfang der 70er-Jahre eingeleitet, aber dann durch die Ölkrise und ihre öffentliche Schockwirkung verstärkt.
Meyer: Das war ja dann ein Moment des Abschiedes. Man ist sich bewusst geworden, dass eine Zeit zu Ende geht. Aber wovon wurde da genau Abschied genommen? Könnte man nach so einer Formel greifen, Abschied von einem Kapitalismus ohne Reue?
Bösch: Abschied genommen wurde von etwas, was vorher gar nicht bewusst war. Nämlich, dass Energie scheinbar unendlich und sehr, sehr billig vorhanden war. Das gesamte Wirtschaftswunder beruhte in allen Ländern, im Westen, aber auch im Sozialismus, darauf, dass Energie reichlich vorhanden war und vor allen Dingen sehr, sehr günstig. Und plötzlich wurde bewusst, welche Rolle Energie eigentlich spielt und welche internationalen Verflechtungen eigentlich durch die Energie bestanden. Und das führte dazu, dass tatsächlich erst einmal die Preise stiegen, und zwar nicht nur die Preise an den Tankstellen, sondern es gab eine rasante Inflation in allen westlichen Ländern. Das führte dazu, dass die Wirtschaftskonjunktur, die ohnehin einbrach, jetzt noch einmal sich deutlich verschlechterte, wiederum von den USA bis hin nach Japan, und es führte dazu, dass der bestehende Ost-West-Konflikt, der bisher eigentlich den Kalten Krieg ja geprägt hatte, ergänzt wurde durch eine andere Achse, nämlich durch einen ganz neuen internationalen Mitspieler, nämlich die Araber, und deren Macht plötzlich allen deutlich wurde.
Meyer: Und diese Umbruchszeit, diese Abschiedszeit, über die sagen Historiker öfter, das ist die Vergangenheit unserer Gegenwart, da beginnt unsere Gegenwart eigentlich. Aber was genau ist mit dieser Historikerformel gemeint?
Bösch: Oft wird gesagt, dass die Zeit der Moderne 1973 zu Ende ging, eine Moderne, in der man optimistisch in die Zukunft blickte. Und seit 1973, so ist die Annahme und deswegen wird die Ölkrise tatsächlich als Zäsur sehr stark gemacht, seit 73 wurde vielen Menschen bewusst, dass diese optimistische Sichtweise auf eine immer bessere Welt mit immer mehr Wachstum, dass man die sicherlich nicht haben wird. Zugleich sind die Historiker aber mittlerweile auch dabei, das ein bisschen zu relativieren. Denn das Krisenbewusstsein ging natürlich auch mit neuen Plänen, mit neuen Utopien einher, wie man die Krise meistern kann. Nehmen wir das Beispiel Atomenergie, hier haben wir eine ganz neue Euphorie seit 73, dass man durch Atomkraft günstig doch endlos Energiequellen haben werde, was dann aber in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre durch zunehmende Proteste wiederum relativiert wurde.
Generell die aktuelle Debatte um die Energiewende hat 73 ihren Ausgangspunkt. In den 70er-Jahren wird die Forderung und die Förderung von alternativen Energiequellen – Solarenergie, Windenergie – stark betrieben, und damals ist schon die Prognose, Ende der 70er-Jahre, in 20 Jahren etwa könnte tatsächlich Windenergie und Solarstrom einen signifikanten Beitrag leisten. Und in der Tat ist es so gekommen. Die ganze Auseinandersetzung, ob die gegenwärtigen Probleme in den 70er-Jahren beginnen, beziehen sich natürlich nicht nur auf die Energie. Damals setzte eine rasante Verschuldung in vielen Ländern ein, auch durch die steigenden Energiepreise. Es kam zu einer Finanzkrise und zu einer Wirtschaftskrise, die viele Auswirkungen hatte, an denen wir heute in gewisser Weise uns noch abarbeiten.
"In der Tat wurde seitdem viel mehr gespart"
Meyer: Ich habe auch gerade einen Text aus dieser Zeit gelesen vom Dezember 1973, von Marion Gräfin Dönhoff, sie schreibt da über Selbstbeschränkung, Konsumdisziplin, über Nachhaltigkeit. Es ist ein Text, den man genauso gut heute veröffentlichen könnte. Also, wenn man sich manche Debatten dieser Zeit anschaut, hat man das Gefühl, wir sind eigentlich gar nicht weitergekommen seit diesem Zeitpunkt vor 40 Jahren!
Bösch: Nein, man muss zunächst einmal natürlich sagen, dass die Grenzen des Wachstums tatsächlich in der Zeit zwar viel diskutiert wurden, aber nicht das grundsätzliche Wachstumsparadigma geändert haben. Wachstum bleibt auch danach ein Leitziel aller Wirtschaftspolitik in westlichen Ländern. Aber in der Tat wurde seitdem viel mehr gespart. Dass viele von uns heute mit dem Fahrrad fahren, dass sie nicht mit der Heizung an lüften, das sind Ergebnisse schon aus der Zeit.
Ich nehme mal das Beispiel Autofahren: Damals wusste man eigentlich kaum, was ein Auto verbraucht. Erst nach den Ölkrisen, Ende der 70er-Jahre, gibt es überhaupt Vorschriften, dass der DIN-Verbrauch von Autos festgestellt wird, und die Werbung greift es entsprechend auf. Das heißt, erst seit den 70er-Jahren haben wir – für uns heute ganz vertraut – Hinweise darauf, was Autos verbrauchen, und es kommt der große Traum auf von Autos, die nur sechs oder sieben Liter verbrauchen. Heute sind wir natürlich deutlich weiter. Autos wie der VW Golf beispielsweise, Kleinwagen erleben nun ihre große Stunde, es werden von der Regierung Wärmedämmmaßnahmen eingeleitet, also, dass Altbauten heute Doppelverglasung haben und Ähnliches. Das sind Ergebnisse der Zeit. Und insofern kann man schon sagen, mit dem Sparverhalten in der Energie, aber auch in anderen Bereichen hat es zumindest gewisse Änderungen gegeben, auch wenn natürlich weiterhin munter konsumiert wird.
Meyer: Die Vergangenheit unserer Gegenwart, das war der Umbruch in den frühen 70er-Jahren, heute vor 40 Jahren gab es den ersten autofreien Sonntag in der Bundesrepublik. Darüber haben wir gesprochen mit Professor Frank Bösch, er ist Historiker und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Herr Bösch, vielen Dank für das Gespräch!
Bösch: Ich danke, bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.