Autor Beyer über weinende Politiker

Tränen mit Kalkül

Den US-Präsidenten Obama bringen vor allem die Amokläufe in seinem Land zum Weinen.
Den US-Präsidenten Obama bringen vor allem die Amokläufe in seinem Land zum Weinen. © JIM WATSON / AFP
Moderation: Nana Brink |
Barack Obama, Angela Merkel, Peer Steinbrück – wer was zu sagen hat, der weint. Bei der Kanzlerin passiert das allerdings nur heimlich. Der Schriftsteller Marcel Beyer macht die Tränen der Mächtigen zum Thema seiner ersten Vorlesung als Frankfurter Poetikdozent. Die öffentlichen Tränen, sagt Beyer, seien oft Kalkül.
Der Schriftsteller Marcel Beyer beginnt an der Goethe-Universität seine Frankfurter Poetik-Dozentur, die sich um das Thema: "Das blinde (blindgeweinte) Jahrhundert" dreht. Thema der ersten Vorlesung: Das öffentliche Weinen mächtiger Männer und Frauen.
Kürzlich sorgte US-Präsident Barack Obama für Aufsehen, als er bei einer Rede in Tränen ausbrach. Auch deutsche Politiker haben im Bundestag oder in Talkshows schon öffentlich geweint. Nicht allerdings Kanzlerin Angela Merkel. Interessante Beobachtung Beyers: Eher seien es mächtige Männer, die weinten, so gut wie nie aber Frauen. Hintergrund dafür ist offenbar das Brechen mit den Klischees "starker Mann - schwache Frau".
Die Medien stehen auf weinende Mächtige
Fest stehe: Oft seien die Tränen Kalkül. "Ich glaube, dass es ganz stark mit Mediengesetzen zu tun hat, also die Aufmerksamkeitsspanne, die man für ein Bild hat, für ein bewegtes Bild auch, ist kürzer, und wenn man nun einen amerikanischen Präsidenten, den mächtigsten Mann der Welt in Tränen aufgelöst vor sich sieht, dann hört man sich auch die dazugehörige Nachricht an."
Heutzutage läsen Politiker einschlägige Managerratgeber – und in denen sei nachzulesen, dass es ratsam sei, "ab und zu ein Tränchen verdrücken, das würde einfach das Publikum emotionalisieren, das würde auch das Publikum milder stimmen und so weiter."


Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Amerikanische Präsidenten weinen schon mal – Bill Clinton hat das vorgemacht, und auch Barack Obama hat vor einigen Tagen Tränen vergossen, als er über eine Verschärfung des Waffenrechtes gesprochen hat, aber man weiß ja immer nicht so genau, warum sie eigentlich weinen. Ist es vor Rührung oder, weil sie einfach von ihren Gefühlen überwältigt sind oder vielleicht auch aus Kalkül? Tatsache ist, immer mehr Politiker trauen sich, Gefühle zu zeigen. Das ist eine Beobachtung, die der Schriftsteller Marcel Beyer, bekannt geworden durch seinen Roman "Flughunde", in der letzten Zeit gemacht hat, aber was bedeutet das. In seiner heute beginnenden Frankfurter Poetikvorlesung beschäftigt er sich mit eben jenem Thema, heute um 18 Uhr geht es los, und vorher habe ich ihn gefragt, ob es wirklich mehr Tränen sind, die wir gerade sehen.
Marcel Beyer: Ja, wir sehen sehr viel mehr Tränen, ich glaube sogar fast, dass man seit dem Ende des Kalten Krieges, also in den letzten 25 Jahren, beobachten kann, dass immer häufiger auch vor Millionenpublikum geweint wird. Also wie Menschen, auch mächtige Menschen, früher zu Hause geweint haben oder im privaten Kreis, darüber wissen wir so gut wie nichts.
Brink: Warum ist das so?
Beyer: Ich glaube, das sind verschiedene Dinge. Ich glaube, dass es ganz stark mit Mediengesetzen zu tun hat, also die Aufmerksamkeitsspanne, die man für ein Bild hat, für ein bewegtes Bild auch, ist kürzer, und wenn man nun einen amerikanischen Präsidenten, den mächtigsten Mann der Welt in Tränen aufgelöst vor sich sieht, dann hört man sich auch die dazugehörige Nachricht an.
Ein bisschen Kalkül ist immer dabei
Brink: Das klingt aber ein bisschen so, als ob es Kalkül wäre, und damit wären wir schon bei den Ursachen, warum Menschen oder mächtige Menschen weinen.
Beyer: Nun, es gibt natürlich richtig Hinweise in Ratgebern – also Politiker lesen ja heute auch Managerratgeber –, es gibt richtig die Hinweise, man solle durchaus mal ab und zu ein Tränchen verdrücken, das würde einfach das Publikum emotionalisieren, das würde auch das Publikum milder stimmen und so weiter. Also Kalkül steckt da sicher zum Teil auch mit dahinter.
Brink: Was sind die anderen Gründe, die Ihnen so begegnet sind bei der Beschäftigung mit diesem Thema?
Beyer: Es gibt natürlich die Tränen aus Verzweiflung, es gibt die Tränen aus Zorn, es gibt natürlich die Tränen aus wirklicher Trauer, also die sieht man, auch früher schon, auf Fotos bei Trauerfeiern und so weiter. Das Tolle an der Träne ist, dass wir auf der einen Seite sagen, ja, eine Träne ist eben eine Träne, auf der anderen Seite kann sie aber ganz unterschiedliche Bedeutungen und zum Teil auch Absichten haben.
Brink: Geben Sie mir doch ein paar Beispiele, die Sie herausgefunden haben, wo sich für Sie etwas manifestiert, etwas Bestimmtes.
Beyer: Vielleicht ein Beispiel, das ich fast das interessanteste finde: Man hat noch nie Angela Merkel in der Öffentlichkeit weinen sehen –
Brink: Stimmt.
Beyer: – und es gibt überhaupt nur zwei Indiskretionen in ihrer ganzen Laufbahn, und das sind jetzt auch schon 25 Jahre. Es gibt zwei Indiskretionen, wo es heißt, da habe sie hinter verschlossenen Türen Tränen vergossen, und das ist wirklich sehr, sehr wenig. Man merkt daran schon, Frauen an herausgehobener Stelle weinen weniger oder vergießen weniger Tränen als Politiker oder auch Topmanager zum Beispiel.
Interessant ist, dass mächtige Männer oder Männer, die an die Macht möchten, ganz gerne Tränen vergießen, wenn ihre Gattinnen zugegen sind, also Peer Steinbrück hat das gemacht als eigentlich klar war schon, dass er nicht Bundeskanzler werden wird, da ist er in eine Talkshow gegangen, seine Frau sprach freundlich über ihn, und er saß plötzlich da wie ein weinendes Kind.
Brink: Und das war auf dem Parteikonvent 2013, als er auch auf diesen Stress angesprochen worden ist. Sie haben mich neugierig gemacht: Angela Merkel, wann war das, was waren das für zwei Indiskretionen? Lassen Sie uns teilhaben!
Beyer: Ja, die erste ... Interessant ist ja, dass das dann nach außen dringt, nicht wahr.
Brink: Eben!
Auch Angela Merkel hat geweint
Beyer: Das erste war, da war Angela Merkel noch Umweltministerin, 1995, und es ging irgendwie um Katalysatoren in Autos oder sowas, und da soll Bundeskanzler Helmut Kohl sie angefahren haben, sie habe ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Interessant finde ich, Helmut Kohl ist ja so ein Politiker, von dem man sagt, der hat nie vergessen, wenn jemand ihm in die Parade gefahren ist oder ihn gedemütigt hat, und das ist sicher was, was auch Angela Merkel sich gemerkt hat. Sie war ja schließlich die, die Helmut Kohl dann gestürzt hat Ende 99. Die zweite Situation war während der Eurorettung 2011 im November, da soll sie in Cannes, Filmfestspielstadt, Tränen auf der Leinwand, soll sie in Cannes in einer ganz kleinen Runde mit Barack Obama eher wahrscheinlich aus Verzweiflung in Tränen ausgebrochen sein, da wurde sie nämlich gedrängt, die Autonomie der Bundesbank aufzugeben.
Brink: Warum widmen Sie Ihre Vorlesungsreihe den Tränen, was ist so bedeutsam für Sie daran, was fasziniert Sie so daran?
Beyer: Ich bin Schriftsteller durch und durch, ich arbeite mit Sprache, für mich sind Worte wichtig, für mich sind so Phänomene interessant, wo es zur Kommunikation oder zum Ausdruck eben keine Worte braucht, und wenn jemand dasteht und weint, dann sagt er etwas, ohne die Sprache zu benutzen, und man kann, wenn man wirklich in unsere Geschichte, Kulturgeschichte zurückschaut, kann man auch sehen, dass Sprache, die für die Vernunft steht und die Tränen, die für die Emotion stehen, dass sie auch immer so ein bisschen gegeneinander ausgespielt wurden.
Das Beispiel, wo ich am weitesten zurückgehe, das ist der Ordensgründer Ignatius von Loyola, der tatsächlich ein Tränentagebuch geführt hat. Er hat Messe gehalten und hat gebetet und ist dann in Tränen ausgebrochen, und das galt als besondere Gnade Gottes, ein Gnadenbeweis.
"Blindgeweint" – was heißt das eigentlich?
Brink: Sie haben dieser Vorlesung auch einen ganz interessanten Titel gegeben, nämlich "Das blinde blindgeweinte Jahrhundert" – was meinen Sie mit blindgeweint?
Beyer: Blindgeweint ist so ein Ausdruck, auf den man in der Literatur trifft – bei der Droste-Hülshoff kommt das mal vor, blindgeweint. Blindgeweint – man ist so tief von Trauer erfasst, dass man so viel Tränen weint, dass man nicht mehr richtig sehen kann. Ignatius von Loyola in seinem Tränentagebuch vermerkt immer, er habe so viel geweint, er habe Angst um seine Sehkraft gehabt. Offenbar ist da so eine Verbindung: Man weint sich das Sehenkönnen aus den Augen, und das heißt natürlich, dass man die Beobachtungsgabe verliert, dass man eben nicht mehr genau und nüchtern wahrnehmen kann, was um einen herum geschieht. Diese Spannung hat mich so interessiert oder interessiert mich immer, weil ich immer von Beobachtungen ausgehen will beim Schreiben.
Brink: Mal ganz abgesehen davon, ob wir weinende Politiker wirklich sehen wollen – die Frage kann man sich ja durchaus stellen –, finden Sie, dass dann die Tränen, also dir Rührung, sage ich jetzt mal ganz bewusst, dann auch benutzt wird, um keine Lösungen anbieten zu müssen, überspitzt formuliert?
Beyer: Ja, natürlich. Im Tränensee löst sich natürlich alles auf, aber vielleicht ist das auch manchmal nötig, also wenn Fronten wirklich verhärtet sind und es kein Weiterkommen gibt, vielleicht – also ich meine das jetzt wirklich auch so im politischen Prozess –, vielleicht ist das auch einfach notwendig.
Brink: Marcel Beyer, danke für das Gespräch! Heute um 18 Uhr beginnt er seine Poetikvorlesung an der Universität in Frankfurt zum Thema "Das blinde blindgeweinte Jahrhundert". Schön, dass Sie da waren, danke!
Beyer: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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