Autor Jens Bisky

"Berlin wurde immer überfordert"

36:22 Minuten
Journalist und Autor Jens Bisky
Journalist und Autor Jens Bisky © Bernhard Link Farbtonwerk
Moderation: Ulrike Timm |
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Jens Bisky hat mit "Berlin. Biographie einer großen Stadt" eine 900 Seiten starke Geschichte der Stadt vorgelegt. "Man hat die Stadt im Grunde immer überfordert", sagt Bisky. Zugleich habe es immer einen Eigensinn der Stadtgesellschaft gegeben.
Am 29. Juli 1981 hing die Welt am Fernseher und guckte Hochzeit, Lady Diana und Prinz Charles gaben sich das Ja-Wort. Die Familie Bisky hatte für das royale Ereignis keine Zeit, daran erinnert sich Jens Bisky bis heute sehr genau. Der Möbelwagen stand vor der Tür. Von Leipzig zog man in die Platte nach Berlin-Marzahn.
"Ich bin sehr ungern nach Berlin gekommen. Ich war damals noch nicht mal 15. Und dann stand ich da im 13. Stock in einem Punkthochhaus in Berlin-Marzahn. Ich habe eine Weile gebraucht, um mich in Berlin einzuleben. Und dann fiel '89 die Mauer, hatte dann noch einmal ein viel größeres Berlin zu entdecken. Im Grunde habe ich das Gefühl, dass ich bis heute nicht ganz damit durch bin."

400 Jahre Stadtgeschichte

Dabei hat Jens Bisky gerade 900 Seiten über die Stadt geschrieben, "Berlin. Biographie einer großen Stadt", heißt sein neues Buch.
400 Jahre werden hier aufgefächert, von der Kulturgeschichte über die Stadtplanung, bis zu Kunst und Kultur. Was dem Leser schnell klar wird: Die Stadt war schon immer eine Baustelle. Der Flughafen BER, der nicht fertig werden will, wäre da nur ein Beispiel von vielen.
"Es ist wirklich etwas, was sich durchzieht, dass hier immer Projekte gemacht wurden. Und dass man im Grunde die Stadt immer überfordert hat. Aber es entwickelt sich dann auch eine intellektuelle Kultur in der Stadt, die damit umgeht, mit dieser Überforderung. Das ist die Doppelbewegung, die mich immer interessiert hat. Es gibt diese Überforderung durch politische Entwicklungen, und es gibt auf der anderen Seite so einen Eigensinn der Stadtgesellschaft. Und beides zusammen wollte ich schildern."
Jens Bisky hält sein Berlin-Buch in die Kamera
Jens Bisky bei der Präsentation seines Berlin-Buches.© imago images / Gerhard Leber
Das Berlin-Buch von Jens Bisky ist auch eine Art Familienangelegenheit, das Cover hat der Bruder Norbert beigesteuert, heute einer der bekanntesten deutschen Maler.

Durch den Nebel zur Wirklichkeit

Kunst- und kultursinnig war die gesamte Familie Bisky. Vater Lothar Bisky leitete vor seiner politischen Karriere bei der PDS bzw. bei der Linkspartei die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam. 2013, am 13. August, verstarb Lothar Bisky.
Das symbolträchtigste Datum Berlins ist gleichzeitig der Geburtstag von Jens Bisky. Fünf Jahre nach dem Mauerbau wurde er in eine Familie hineingeboren, in der Politik, Sozialismus und Überzeugungen eine große Rolle spielten.
"Ich habe den Sozialismus damals ungeheuer ernst genommen, als Idee. Und deswegen vieles, was mich im Alltag gestört oder irritiert hat, einfach wegerklärt. So für alles, was einem nicht passte, Gründe zu finden. Ich glaube, dass das eine typische Art so einer marxistischen Weltanschauung ist. Dass man die Wirklichkeit hinter Kategorien verschwinden lassen kann. Durch diesen Nebel zur Wirklichkeit zu kommen, war die Aufgabe, die ich hatte."
Die ersten Zweifel an seiner Überzeugung kamen Jens Bisky während des Abiturs. Als er "Leute kennenlernte, die vorher, also in dem Milieu, in dem ich groß geworden bin, gar nicht vorkamen. Also Leute, die Ausreiseanträge gestellt haben, Künstler, die sich die ganze Zeit darüber unterhielten, was sie noch dürfen, was sie nicht dürfen."

Schreiben ist wie Häkeln und Stricken

In den 1990er-Jahren musste der heutige Feuilleton-Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" erfahren, dass sowohl der Freund als auch die eigene Mutter für die Stasi gespitzelt hatten. Um das zu verarbeiten, schrieb Jens Bisky darüber, vielleicht eine Art Therapie. "Es war auch der Versuch, nicht sofort den Stab zu brechen über Leute. Sondern zu sagen, das sind die guten Eigenschaften, das sind negative Eigenschaften. Das kann ich aus der Situation heraus erklären, das kann ich verzeihen, das kann ich niemals verzeihen."
Sein Vertrauen Menschen gegenüber hätte das nicht beeinflusst. "Was mir geblieben ist, ist die ganz große Skepsis gegenüber Menschen, die mir erklären, wie die Welt zusammengeschraubt ist. Wer den einen Schlüssel hat, die Welt zu erklären, der stößt bei mir auf große Skepsis."
Heute, als Autor und Journalist, ist das Schreiben für Jens Bisky etwas, wo "man relativ schnell merkt, wenn man anfängt zu schwafeln, wenn man etwas nicht genau weiß. Ich halte Schreiben für ein ziemlich ehrliches Geschäft, wenn man es ernst nimmt. Das ist im Grunde genommen so eine Art Häkel- oder Strickarbeit. Wenn man merkt, hier ist die Masche falsch, da musst du noch einmal von vorne anfangen."
(ut/ful)
(eine Wdh. vom 10.12.2019)
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