Hören Sie hier das Gespräch mit Roberto Saviano in einer längeren Version mit seinen Antworten in italienischer Sprache und der nachfolgenden Übersetzung.
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Das Faszinosum der Mafia - und die Verachtung
Die Veröffentlichung seines Welterfolges "Gomorrha" in jungen Jahren bedauert er heute. Doch Roberto Saviano hat in der Mafia sein Lebensthema gefunden: "Ich bin eine Art Glühbirne, ich werfe Licht auf das, was schon geschehen ist."
Kaum einer kennt die Strukturen der italienischen Mafia-Organisationen so gut wie der in Neapel geborene und aufgewachsene Journalist Roberto Saviano. Mit seiner dokumentarischen Studie "Gomorrha", die 2006 erschien, wurde er weit über die Grenzen seines Landes hinaus berühmt. Jahrelang hatte er für das Buch verdeckt über die wirtschaftskriminellen Aktivitäten der neapolitanischen Camorra recherchiert.
Ein Leben mit Leibwächter
Auch wenn er inzwischen seit fast zwölf Jahren nicht mehr ohne Leibwächter aus dem Haus gehen kann und an anonymen, wechselnden Orten lebt, verfolgt er sein Thema unbeirrt weiter. Er sei geradezu besessen vom Thema Macht und Machtausübung, sagte Roberto Saviano im Gespräch bei Deutschlandfunk Kultur.
"Die Mafia-Organisationen bieten mir die Möglichkeit, die DNA der Macht unverhüllt zu studieren."
"Die Mafia-Organisationen bieten mir die Möglichkeit, die DNA der Macht unverhüllt zu studieren."
Als Kind und Jugendlicher sah er um sich herum die Mafia. "Ich verspürte das Faszinosum der Mafia und auch die Verachtung. Ich verspürte auch, dass dies für mich der Stoff ist, bei dem ich mich authentisch zeigen kann."
Als Student habe ihn dann die Begegnung mit dem Historiker Francesco Barbagallo an der Universität Neapel beeindruckt, der die Camorra mit wissenschaftlichen Methoden erforschte.
Als Student habe ihn dann die Begegnung mit dem Historiker Francesco Barbagallo an der Universität Neapel beeindruckt, der die Camorra mit wissenschaftlichen Methoden erforschte.
Saviano bedauert heute jedoch, als 26-Jähriger "Gomorrha" veröffentlicht zu haben, von dem weltweit mehr als zehn Millionen Exemplare verkauft wurden und das in viele Sprachen übersetzt wurde. Er stehe zwar weiterhin zu seinen Recherchen und seiner Arbeit, es sei ihm im Jahr 2006 allerdings nicht bewusst gewesen, welche Tragweite die Veröffentlichung von "Gomorrha" haben würde.
Ein schlechterer Mensch geworden
Seit dem Erscheinen von "Gomorrha" sei er ein schlechterer Mensch geworden. "Ich vertraue niemandem mehr zu 100 Prozent." Alle Menschen, denen er begegne, kategorisiere er danach, wie viel Prozent Vertrauen er ihnen entgegenbringen könne.
Den Vorwurf, seine Bücher und die auf seinem Buch "Gomorrha" basierende Fernsehserie könnten als Anleitung für kriminelle Taten genutzt werden, wies Saviano entschieden zurück.
"Ich halte diesen Vorwurf für absurd. Es ist genau umgekehrt. Bevor ich den Stift überhaupt in die Hand nehme, sind die Dinge ja schon passiert", sagte Saviano.
"Man geht in ein dunkles Zimmer, schaltet das Licht an und sieht eine Leiche dort liegen. Wen klagt man dann an? Die Glühbirne? Denn wenn es die Glühbirne nicht gegeben hätte, hätte man die Leiche nicht gesehen? Ich bin in diesem Sinne eine Art Glühbirne. Ich werfe Licht auf das, was schon geschehen ist. Aber jetzt lernen die Leute das wahrzunehmen und sie sagen: ´Ach, das ist ja wie in 'Gomorrha' oder wie im 'Clan der Kinder', also ist es Wirklichkeit geworden. Das Gegenteil ist richtig: Die Wirklichkeit war schon da – und dann habe ich darüber geschrieben."
In Deutschland fehle es an Gesetzen
In Deutschland werde die Organisierte Kriminalität vollkommen unterschätzt, sagte Saviano. Da aber in Deutschland nicht geschossen werde und kein Blut fließe, wiegten die Deutschen sich in der trügerischen Gewissheit, in Sicherheit zu leben. In Deutschland fehle es an den notwendigen Gesetzen, um die Organisierte Kriminalität zu bekämpfen. So sei etwa, anders als in Italien, die Mitgliedschaft in einer mafiösen Organisation in Deutschland nicht strafbar.