Autor Tilman Spengler zum Kreuzerlass

"Nicht überall auf der Welt ist bayerischer Landtagswahlkampf"

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hängt in der Bayerischen Staatskanzlei ein Kreuz auf.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hängte in der Bayerischen Staatskanzlei demonstrativ selbst ein Kreuz auf. © dpa / picture alliance / Peter Kneffel
Tilman Spengler im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Der Versuch, Bayern mit Hilfe des Kreuzes zu einigen, sei angesichts regionaler Befindlichkeiten unwahrscheinlich, sagte der Schriftsteller und Wahlbayer Tilman Spengler. Das ambivalente Symbol solle vor allem der CSU im Wahlkampf helfen.
Seit heute gilt die umstrittene Kreuz-Pflicht für bayerische Landesbehörden. Oppositionspolitiker sind sich sicher, dass sie bald wieder abgeschafft wird. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat pünktlich zum Start einen Termin beim Papst und ist nach Rom gereist.

Wahlkampf mit dem Kreuz

"Das Kreuz braucht man dafür nur dann, wenn vielleicht gerade im Herbst Wahlen, und zwar Landtagswahlen, bevorstehen, dann kann so ein Kreuz vielleicht helfen, widerstrebende Teile des christlichen Wählerpotenzials an die Seite der CSU zu mobilisieren", sagte der Schriftsteller und Wahlbayer Tilman Spengler im Deutschlandfunk Kultur. Er habe ein schicksalhaftes Verhältnis zum Kreuz, weil er der Großneffe einer Holzkreuzschnitzerin sei. "Und ich habe deswegen relativ lange Zeit in meiner Kindheit dort ausgeholfen und musste den Heiland immer als Rohling behandeln – und zwar sehr viele Heilande."

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Von heute an muss in jeder bayerischen Amtsstube ein Kreuz hängen – im Finanzamt, im Umweltamt, in jeder Schule, jedem Landratsamt, einfach überall. Hat der Seehofer-Nachfolger, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, sich ausgedacht. Sie kennen ja vielleicht das Foto, auf dem er mit einem mächtigen Kreuz posiert, das er musterschülermäßig in der Staatskanzlei schon vor diesem 1. Juni angebracht hat. Das Kreuz sei bayerische Kultur. Ah ja? Weiß-blau, Laptop und Lederhose, Weißwurst und Bier, die CSU und das Kreuz, nicht zu vergessen ein mir als Berlinerin sehr sympathischer, knorriger Anarchismus.
Aber wir wollen heute wissen, ob es tatsächlich das Kreuz ist, das Bayern eint. Markus Söder weiß es bestimmt ganz genau, aber der ist heute in Rom beim Papst, genauer bei zwei Päpsten: beim alten und beim aktuellen. Und wir haben uns unseren eigenen Papst eingeladen, einzige Bedingung: Bayer sollte er schon sein. Das ist mein Gesprächspartner auch, wenn auch Wahlbayer. Geboren in Oberhausen, außerdem Publizist, Autor, Sinologe: Tilman Spengler. Und jetzt ist er am Telefon, schönen guten Morgen!
Tilman Spengler
Der Schriftsteller Tilman Spengler© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Tilman Spengler: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Von heute an gilt dieser Erlass, in jeder Behörde ein Kreuz. Die kulturelle Prägung Bayerns soll sichtbar gemacht werden, hat Söder gesagt. Braucht man dafür das Kreuz?
Spengler: Das Kreuz braucht man dafür nur dann, wenn vielleicht gerade im Herbst Wahlen, und zwar Landtagswahlen, bevorstehen, dann kann so ein Kreuz vielleicht helfen, widerstrebende Teile des christlichen Wählerpotenzials an die Seite der CSU zu mobilisieren. Das ist sicherlich ein Gedenkpunkt, den man im Auge behalten muss. Man erinnert sich schließlich da an den alten konstantinischen Wahlspruch: In diesem Zeichen wirst du siegen.
Billerbeck: Sie haben, das hat mir mein Kollege gesagt, der mit Ihnen vorab gesprochen hat, ein ganz besonderes Verhältnis zum Kreuz. Wie das?
Spengler: Ich habe ein schicksalhaftes Verhältnis zum Kreuz insofern, als ich der Neffe oder der Großneffe einer Holzkreuzschnitzerin bin. Und ich habe deswegen relativ lange Zeit in meiner Kindheit dort ausgeholfen und musste den Heiland immer als Rohling behandeln – und zwar sehr viele Heilande.

Der Erlass der CSU

Billerbeck: Wir nehmen das jetzt mal so locker zur Kenntnis, in Bayern können Sie sich jetzt leider nicht mehr blicken lassen, aber das ist dann Ihr Problem. Macht Ihnen das eigentlich Sorge oder können Sie diesem Erlass von Ministerpräsident Söder irgendetwas abgewinnen, dass da jetzt in jeder Amtsstube ein Kreuz hängen soll.
Spengler: Nein, nicht unbedingt. Aber ich meine, es gibt natürlich Veranstaltungsorte wie Friedhöfe, wo Kreuze unbedingt zum Bild gehören. Insofern schreckt das, ist das ja nichts richtig Neues. Nein, ich glaube, dass … Ich zucke dann immer zusammen, wenn Sie Bayern sagen und gleichzeitig einen Erlass der CSU meinen – das ist nicht immer ein und dasselbe.
Das haben Sie gemerkt an den Reaktionen der verschiedenen Leute, die hier das geistige Bayern vertreten, also an den Präsidenten der Hochschulen und an den Präsidenten der Akademien, die auch dazu aufgefordert worden sind, und die haben sich alle mit mehr oder weniger ironischen Kommentaren wieder zurück in die Büsche geschlagen.
Spillerbeck: Interessant wird ja, was jetzt passiert. Ob der Ministerpräsident versucht, diesen Erlass durchzusetzen. Aber was spricht denn Ihrer Ansicht nach gegen das Aufhängen der Kreuze. Man kann ja auch sagen, okay, wir sind ein christlich geprägtes Land, dann hängen wir eben in jeder Behörde ein Kreuz auf.
Ein Kreuz wird an eine Wand gehängt.
Der "Kreuz-Erlass" sorgt für rege Debatten © dpa / picture alliance / Ralf Hirschberge
Spengler: Ja. Also das Kreuz hat ja eine doppelte Funktion oder Symbolik – oder mindestens zwei, ich könnte da auch noch länger drüber reden. Aber denken Sie zum einen dran, das ist das Kreuz eben des Christus, der zur Toleranz aufgefordert hat, der zur Nächstenliebe aufgefordert hat, der für die Bergpredigt steht, das ist die eine Funktion des Kreuzes. Oder die eine Symbolik des Kreuzes, wenn Sie so wollen. Und dann steht das Kreuz natürlich nicht nur für den Konstantin, von dem ich vorhin gesprochen habe, sondern eben auch für die Kreuzzüge, für die blutige Unterwerfung der muslimischen Welt, für die Wiedereroberung Jerusalems und all diese historischen Geschichten.
Insofern ist das Kreuz eine verständlicherweise sehr ambivalente Geschichte als Symbol. Und es ist in dieser Form ja auch noch gar nicht so alt, wie man das immer denkt. Also das Kreuz, an dem Christus starb, war ein altes T, das war der letzte Buchstabe im griechischen und im hebräischen Alphabet. Also, das heißt, es gibt so viele verschiedene Darstellungsformen des Kreuzes, dass da hier keine Einheitlichkeit herrscht.
Und wenn Sie sich dann ein bedeutendes, ein anderes bedeutendes Moment in der christlichen Geschichte erinnern, als die Jesuiten versucht haben, China zu missionieren im 16., 17. Jahrhundert, da war das Kreuz, wurde das Kreuz ganz, ganz sorgfältig zurückgenommen, weil das an ein Verbrechen erinnerte. Also, wie gesagt, viele Weisen, viele Möglichkeiten, damit zu spielen, aber nicht überall auf der Welt ist bayerischer Landtagswahlkampf, also muss man sich da eine große, dicke Brille anziehen.

Finanzamt als Symbol

Billerbeck: Was wäre denn für Sie ein Zeichen, ein Symbol, das eher geeignet wäre, worauf sich die Bayern einigen könnten?
Spengler: Ich glaube, wenn Sie das schon vorschlügen, würde jetzt Zeter und Mordio ausbrechen, weil wenn Sie freundlicherweise Bayern sagen, wenn ich das in meiner Überheblichkeit hinzufügen darf, dann meinen Sie damit auch Niederfranken, Oberfranken, Mittelfranken, Schwaben, Niederbayern, Pfälzer, Oberpfälzer … Also, dass es hier etwas gäbe, was dieses ganze Bundesland symbolisch einigen könnte, das glaube ich gar nicht, aber es könnte symbolisch zu großen, produktiven Streiten führen.
Billerbeck: Und was wäre Ihr Vorschlag?
Spengler: Das ist … Das trifft mich jetzt so unvorbereitet, dass ich um Bedenkzeit bitte, aber so lange geht Ihre Sendung nicht.
Billerbeck: Wie wäre es mit einem Fußballer?
Spengler: Ja, das sind diese Lichtgestalten. Diese Lichtgestalten des Fußballs, die ja auch alle immer eine besondere … Vielleicht sollte man das Finanzamt nehmen, das wäre vielleicht eine Möglichkeit, dann hätte man Herrn Hoeneß und Herrn Beckenbauer gleich auf einen Begriff gebracht.
Billerbeck: Das Finanzamt als einigendes Element für Bayern. Am heutigen Tag, da Ministerpräsident Söder dafür gesorgt hat, dass in jeder Amtsstube, in jeder bayerischen, ein Kreuz hängt. Wir sprachen darüber mit dem Publizisten, Sinologen und Wahlbayern Tilmann Spengler. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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