Johny Pitts: "Afropäisch – Eine Reise durch das schwarze Europa"
Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm
Suhrkamp, Berlin 2020
461 Seiten, 26 Euro
Auf identitätspolitischer Mission
05:32 Minuten
Johny Pitts wurde für sein Buch „Afropäisch“ mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung prämiert. Der Autor beschreibt darin seine Reise durch das schwarze Europa. Was hat ihn dazu bewegt?
Den Bildschirm füllt der Blick auf eine Südlondoner Wohnung mit Zimmerpflanze vor dem Fenster, gerahmtem Poster an der Wand und einem jener s-förmigen Hängeregale aus Blech, auf denen sich nur ein paar Bücher windschief balancieren lassen. Mittendrin sitzt Johny Pitts, schon etwas älter, als man ihn vom Autorenfoto her kennt, und entschuldigt sich freundlich für die Sirene eines vorbeifahrenden Polizeiautos.
Sein Buch "Afropäisch" beginnt damit, wie Pitts vor seinem Aufbruch als Rucksackreisender quer durch Europa eine Londoner Wohnung aufgab und kurzfristig wieder zurück ins Elternhaus im englischen Norden zog. Dabei musste er feststellen, dass seine Nachbarin von gegenüber der Crack-Sucht verfallen ist, wie so viele andere, mit denen er in einer verarmten Nachbarschaft von Sheffield aufgewachsen war. Nun ist er also wieder in Peckham gelandet, einer Gegend von London, wo ein nicht mehr ganz junger Autor und Fotograf sich eine prekäre Existenz leisten kann. Und wo seine Herkunft weniger eine Rolle spielt als am Schauplatz seiner Jugend.
"Ich war kulturell heimatlos"
"Ich wuchs mit dem Gefühl auf, dass ich nirgendwo hinpasste. Ich passte nicht in das schwarze britische Konzept, weil es sehr stark mit einer karibischen Herkunft verknüpft ist. Mein Vater ist aber Afroamerikaner, er wusste Bescheid über Autoren wie James Baldwin, die sich mit den Themen befasst hatten, die ihn betrafen. Er wusste die Bürgerrechtsbewegung hinter sich. Ich dagegen war kulturell heimatlos, also begann ich, Musik zu hören, die durch die Verbindung verschiedener Klänge etwas suggerierte, das sowohl afrikanisch also auch europäisch war. Das schuf einen Ort, an dem ich viel Trost fand. Insofern ist es nicht überraschend, dass ich diesen Begriff 'afropean' - afropäisch – in der Welt der Musik fand, durch die Musik von Zap Mama."
Zap Mama, eine belgische Sängerin mit kongolesischen Wurzeln, die sich Anfang des Jahrtausends mit dem Chef ihrer Plattenfirma, dem Talking Heads-Sänger David Byrne, auf "Afropean" als Beschreibung ihres Musikstils einigte. Eine Wortschöpfung, die Johny Pitts sich als Sohn eines eingewanderten amerikanischen Soul-Sängers und einer weißen Mutter zur Bezeichnung einer noch zu erfindenden Gruppenidentität borgte.
"Ich wollte mein Europäischsein behaupten"
"Darin fand ich etwas, das wirklich zu meiner Erfahrung passte. Und ich wollte herausfinden, wie sich dieser Begriff jenseits der Musik im Alltag auf den Straßen Europas anwenden lässt. Also machte ich mich auf, diese afropäische Welt in Europa zu suchen. Ich wollte mein Europäischsein behaupten, eine über Britannien hinausgehende Identität. Gerade jetzt, wo der Nationalismus erstarkt, könnten die Schwarzen, die in all diesen Städten im Kielwasser des Kolonialismus leben, miteinander reden und so ein stärkeres kulturelles Fundament bauen. Das ist, worum es in meinem Projekt ging."
Johny Pitts bereiste für sein Buch europäische Städte wie Paris, Brüssel, Berlin, Moskau und Lissabon und erkundete die Viertel, wo Menschen afrikanischen Ursprungs leben. Er forderte dabei nicht nur die rassistischen Klischees der äußeren Wahrnehmung dieser Minderheiten heraus, sondern auch die Widersprüche ihrer Selbstsicht. Insofern befand und befindet er sich auf einer zutiefst identitätspolitischen Mission.
Pro-schwarz für Gleichheit
"Ich bin ein Millennial, aber am älteren Ende dieses Spektrums, ich erinnere mich an die Neunzigerjahre als Ära der Fusion, wo versucht wurde, die Menschen zusammenzubringen und Rassenbegriffe hinter sich zu lassen. Andererseits aber haben vor allem schwarze Leute, die mit Identitätspolitik spielen, um einiges mehr weitergebracht als Leute wie ich. Ohne diese Generation, die jetzt in ihren frühen Zwanzigern ist, wäre ein Buch wie Afropäisch wohl nie erschienen. Ich versuchte jahrelang, einen Verleger dafür zu finden. Seit die Landschaft sich verändert hat, weil andere einen Raum für ihr Schwarzsein beansprucht haben, können wir nun auch eine Diskussion über die feineren Nuancen davon führen. Ich bin nur pro-schwarz, weil ich pro Gleichheit bin. Sobald Gleichheit erreicht ist, wäre ich nicht mehr pro-schwarz, sondern nur mehr pro-Mensch, denn das ist letztlich, woran ich glaube."
Es ist genau dieser menschenfreundliche Kern, der Pitts Texte und Bilder so überzeugend macht. Sein Buch, das weiß er, war erst ein Anfang, nicht nur für ihn selbst, sondern für uns alle, die wir unseren sich radikal verändernden Kontinent ständig neu verstehen lernen.