Nachhaltig Wirtschaften
Ertragreicher als unsere heimischen Pflanzen: der Russische Löwenzahn. © imago images/Joerg Boethling
Autoreifen aus Löwenzahn
07:27 Minuten
Um Kautschuk für Reifen zu gewinnen, werden jährlich viele Hektar Regenwald gerodet. Deutsche Wissenschaftler haben nun ein Verfahren entwickelt, um die Kautschukmilch aus Löwenzahn zu extrahieren. Das könnte die Zerstörung des Regenwaldes eindämmen.
150 Millionen Reifen pro Jahr produziert die Continental AG in Hannover. Dafür braucht der viertgrößte Reifenhersteller der Welt viel Naturkautschuk, der vor allem in den tropischen Regionen in Südostasien gewonnen wird. Um die steigende Nachfrage nach Gummi – und damit nach Naturkautschuk – zu decken, müssen jedes Jahr viele Hektar Regenwald gerodet werden. Das will die Chemikerin Carla Recker ändern.
Seit 26 Jahren arbeitet die Wissenschaftlerin in der Materialforschung des Reifenherstellers. Ihr Ziel ist es, den Naturkautschuk aus den Urwaldplantagen durch Kautschuk zu ersetzen, der aus russischem Löwenzahn gewonnen wird. „Wir können es direkt in der Nähe der Fabriken, die ja in Europa oder Nordamerika oder wo auch immer auf dem Globus stehen, anbauen. Dadurch sind wir natürlich sehr viel effizienter, was die Logistik angeht“, erläutert sie.
Ein Gewächshaus an der Universität Münster, etwa 300 Quadratmeter groß: Ein automatisches Bewässerungssystem versorgt die Löwenzahnpflanzen mit Wasser. Seit 2010 haben hier Professor Dirk Prüfer und sein Team beim Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie eine besonders ertragreiche und robuste Variante des russischen Löwenzahns gezüchtet. Sie liefert deutlich mehr Kautschukmilch als der heimische Löwenzahn. „Wir haben so ungefähr in 2010 angefangen diese Pflanze zu züchten“, so der Molekularbiologe. „Gut zehn Jahre, bis wir jetzt das Ziel erreicht haben, dass wir einen Kautschukgehalt haben, der lukrativ, also wirtschaftlich sinnvoll ist, und auch eine Pflanze, die von seiner Perfomance passt.“
Kautschuk aus der Löwenzahnwurzel
Der begehrte Rohstoff befindet sich in der weißen Löwenzahnwurzel. Die ist 30 Zentimeter lang, so dick wie ein Zeigefinger und wiegt etwa 200 Gramm. Prüfer, der mit seinem Team die Wurzeln in stabilen Hochertragslinien gezüchtet hat, zieht einen Löwenzahn aus dem Boden und bricht die Wurzel in zwei Teile. „Wenn man dann diese beiden Fruchtteile auseinanderzieht, dann gehen sie nicht auseinander wie eine gebrochene Wurzel, sondern da hängen so weiße kleine Fäden drinnen. Das, was man da sieht, das ist dann der Naturkautschuk.“
Bei einer einheimischen Pflanze sei das „so ungefähr ein Prozent der Wurzeltrockenmasse. Das heißt, wenn ich eine Wurzel trockne, ist ein Prozent ungefähr Naturkautschuk drin.“ Beim russischen Löwenzahn liege der Basiswert ungefähr bei drei bis fünf Prozent. „Wir haben ihn aber mittlerweile züchterisch optimiert, sodass wir jetzt etwa bei 15 bis 20 Prozent angekommen sind.“
Serienproduktion ist geplant
Aus Pusteblumen Reifen herstellen, für diese Idee wurde die Chemikerin Carla Recker lange von ihren Kollegen belächelt. Doch die 56-Jährige hat es allen gezeigt. 2012 konnte sie die ersten Gramm des braunen Löwenzahnkautschuks gewinnen, 2014 wurden in Aachen die ersten Prototypen eines PKW- Reifens hergestellt, 2016 der erste LKW-Reifen mit Laufflächen aus Löwenzahnkautschuk. Die neuen Reifen haben umfangreiche Fahrversuche bestanden. Der Löwenzahnkautschuk hat die gleiche Qualität und kann den bisherigen Naturkautschuk aus den Tropen eins zu eins ersetzen. Das hat die Continental-Chefs überzeugt, aber es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis die Löwenzahn-Reifen in Serie produziert werden. „Wir gehen davon aus, dass das Ende dieses Jahrzehnts passieren wird mit der Serienproduktion für PKW-Reifen.“
Noch gibt es nicht genügend Mengen an russischem Löwenzahl. Deshalb hat Conti 2018 im mecklenburgischen Anklam ein Forschungszentrum gebaut, als Keimzelle für einen Anbau in industriellem Maßstab. Dort wird bereits auf 100 Hektar russischer Löwenzahn angebaut. Doch Recker denkt weiter. „Das Ziel ist, dass wir 2035 einen ersten eingeschwungenen Zustand erreicht haben und in dem Zusammenhang wollen wir dann auch einen maßgeblichen Teil unserer Naturkautschuk-Bedarfe decken. So ist jedenfalls im Moment der Plan.“
Konkurrenz für den Kautschukbaum
Recker spricht von einem Marktwert von einer Milliarde Euro. 1500 bis 2000 Arbeitsplätze würden allein in der Verarbeitung der Pflanzen zu Kautschuk entstehen. Und in den Subtropen müssten keine zusätzlichen Regenwälder mehr gerodet werden, um an die Kautschukmilch zu kommen, sagt Prüfer. „Der Hektarertrag von einer Kautschukplantage liegt ungefähr bei einer Tonne. Das sind ja riesige Bäume, die da stehen.“
Auf so einem Hektar ständen ungefähr 600 Bäume, die angezapft werden und aus denen der weiße Milchsaft, der Latex, herausläuft. „So ein Baum produziert pro Jahr aber nur 1,5 Kilogramm Naturkautschuk, also gar nicht so viel. Man denkt ja, da kommen ein paar hundert Kilogramm raus, das sind aber nur 1,5 Kilogramm. Und dann haben Sie auf einem Hektar bei 600 Bäumen so eine Tonne. Das ist auch das, was wir mit dem Löwenzahn erreichen werden. Da sind wir noch nicht, da müssen wir noch was tun, aber das ist das erklärte Ziel.“
Vom Unkraut zur Nutzpflanze
Als landwirtschaftliche Nutzpflanze hat Löwenzahn das Potenzial, eine alternative, umweltfreundliche Rohstoffquelle zu werden und so die Abhängigkeit von traditionell produziertem Naturkautschuk zu verringern. Löwenzahn ist eine anspruchslose Pflanze und gedeiht auch auf Flächen, auf denen es sich bislang nicht lohnt, Landwirtschaft zu betreiben. Je höher der Bedarf ist und je mehr Saatgut dann da sein wird, werden sicherlich auch die Flächen ausgeweitet und dann sicher auch andere Gebiete in Deutschland berücksichtigt werden“, so Recker. „Eine Idee sind diese Reviere jetzt gerade, wo es den Strukturwandel gibt, sei es das Rheinische oder in Mitteldeutschland die Lausitz, das könnten natürlich künftig auch gute Anbaugebiete sein.“
Die Landwirte müssen auf jeden Fall umdenken. Bislang war Löwenzahn für sie ein gefürchtetes Unkraut, das sie aufwendig bekämpfen mussten. In Zukunft könnte seine Wurzel für die Landwirtschaft eine lukrative Einnahmequelle darstellen.
Die Idee, Kautschuk aus Löwenzahn zu gewinnen, ist einer von drei Vorschlägen für den Deutschen Zukunftspreis, der mit 250.000 Euro dotiert ist. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gibt den Gewinner morgen in Berlin bekannt. Carla Recker kann es kaum noch erwarten. „Wir sind erst mal sehr stolz, dass wir zu den Nominierten gehören, das ist ja schon eine große Ehre und Auszeichnung für die wissenschaftliche Arbeit, die man geleistet hat – und auch dafür, dass man Deutschland mit seinem Projekt eine Zukunftsperspektive dazu gebaut hat“, betont sie. „Ob wir den Preis gewinnen oder nicht, das überlassen wir dem Präsidenten und der Jury, wenn es dazu kommen sollte, freuen wir uns natürlich noch viel mehr.“