Nebulöse Vision vom anderen Leben
Mit Ferdinand Schmalz hat sich im vorigen Jahr und mit der Leipziger Uraufführung seines Debüt-Stücks "Am Beispiel der Butter" ein Talent in starker Tradition bemerkbar gemacht: mit Volkstheater, Farce und Überbau.
Die Fronten könnten klarer kaum sein – hier das dumpfe Volk, dort der Einzelgänger, der noch träumen kann. Ferdinand Schmalz, pseudonymisierter Autor aus Graz, hat für’s eigene Debüt-Stück, ausgezeichnet mit dem Retzhofer-Dramapreis des vorigen Jahres, auf schlichte Konstellationen gesetzt, ganz in der Tradition etwa von Marieluise Fleißers Ingolstadt-Stücken, von Martin Sperr und Franz Xaver Kroetz; aus der Grazer Nachbarschaft des Autors lässt auch der früh verstorbene Werner Schwab grüßen, was die Sprache betrifft und die Lust an monströser Gewalt.
Zum Ende hin wird immerhin ein junges Mädchen zu Tode vergewaltigt und gefoltert im "Hobbykeller" des örtlichen Polizisten. Die Spießer zeigen schlimmste Fratzen, wie so oft.
So sieht das Schlachtfeld aus: Der Polizist im Hobbykeller stellt sich selber über jedes Gesetz, wenn er für "Recht und Ordnung" sorgt; die heruntergekommene Wirtin der noch heruntergekommeneren Bahnhofskneipe und der Werbechef der lokalen Molkerei sind auch zu jeder Schandtat bereit. Ein junger Mann, "der Adi", liefert den Anlass zum Kampf – er arbeitet in der Molkerei und verteilt freigebig und löffelweise Joghurt aus dem privaten Mitarbeiterdepot in der lokalen Eisenbahn.
Nebulöse Vision vom anderen Leben
Außerdem hat er Träume: von der "reinen", sonnenbeschienenen Butter, wie sie aus der Milch glücklicher Kühe auf idyllischen Almen produziert wird; und auch davon, dass hier, im Milch-und-Butter-Tal, schon einmal eine Zivilisation am Überfluss zu Grunde ging. Was er wirklich will, wird allerdings nie ganz klar – nur setzt er halt dem industriellen Betrieb beim Buttern seinen höchstpersönlichen Sonnentraum entgegen, eine Art nebulöser Vision vom anderen Leben.
So wird "der Adi" zum roten Tuch für die Dörfler, zumal mit Karina an der Seite, einer Kollegin aus der Molkerei, deren Lebensträume noch unklarer sind als die von Freund Adi. Kurz: Die Außenseiter sind im Grunde völlig harmlos. Gerade darum wächst der Hass auf sie schon aus der kleinsten Abweichung von der Norm.
Dieses Anti-Volkstheater lädt Schmalz allerdings auf mit ganz viel Überbau – Theorieschnipsel über Natur, industrielle Produktion und Entpersönlichung von Lebens- und Arbeitswelt. Darum kann im Programmheft auch mächtig gegrübelt werden, von Agamben bis Baudrillard. Allerdings läuft das Stück in absichtsvoll gegen den logischen Strich und auf Versmaß gebürsteter Sprache durchaus Gefahr, dass die Theorie schlussendlich wie ein buntes Faschingshütchen schräg auf der Farce sitzt. Das Risiko hat Methode und macht auch den Charme des bösen kleinen Stückes aus.
Natürlich gibt’s ein böses Erwachen
Die Regisseurin Cilli Drexel "kann" Uraufführungen; in Bielefeld, Mannheim, Berlin und vielerorts sonst hat sie das schon bewiesen. Ein schäbiges Bahnhofsbistro hat ihr Timo von Kriegstein auf die kleine Bühne im Leipziger Schauspiel gebaut; hier gibt’s nur Klaren, alles andere ist "aus". Und hier gebiert das Spießertum monströse Mord-Gedanken, wie sentimental auch immer die Wirtin von der goldenen Jugend, der Werbemensch vom eigenen Klasse-Profil und der Bulle vom übergesetzlichen Recht träumt.
Die Monologe der Monstren gehören zu den stärksten Momenten im Schmalz-Text; und das Leipziger Ensemble begibt sich ganz tief hinein in den Sumpf, ganz nah heran an die Abgründe dieser biederbürgerlichen Schreck-Gespenster. Alle sind übrigens extrem fettig geschminkt, wie mit Butter eingerieben … nur Karina nicht, als sie tot ist.
Ein Traum von Adi und Karina scheint am Schluss zu stehen – Adi rächt die Freundin blutig an den Mördern, und die sonnengoldene Butter schwemmt wie eine Lawine den ganzen Dreck, das ganz Kroppzeug raus aus dem Tal. Zu schön, um wahr zu sein – natürlich gibt’s ein böses Erwachen; und Karina ist tot, das Leben geht weiter.
Der Retzhofer Dramapreis, eng verbunden mit dem Festival "Steirischer Herbst" in Graz, prämiiert alle zwei Jahre (anders als andere Literaturpreise) eine Stückentwicklung; die Bewerberinnen und Bewerber (im März endet die Bewerbungsfrist für 2015!) werden im Prozess des Schreibens von Fachleuten aus Theater und Film bei der Arbeit begleitet. Mit Ferdinand Schmalz hat sich im vorigen Jahr (und mit der Leipziger Uraufführung jetzt) ein Talent in starker Tradition bemerkbar gemacht: mit Volkstheater, Farce und Überbau.