Autoren in China

Sprache als Waffe gegen die Zensur

Die chinesische Flagge
Wie können Autoren in China besser unterstützt werden? © dpa / picture alliance / Revierfoto
Ming Di im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Die Lyrikerin Ming Di will die in China lebenden Autoren besser fördern. Mittels der Sprache fänden sie Wege, ihre persönlichen Wahrheiten auszudrücken und damit auch die Zensur zu umgehen, sagte die Mitkuratorin des Poesiefestivals Berlin.
Die chinesische Lyrikerin Ming Di und Mitkuratorin des diesjährigen Poesiefestivals Berlin hat den Stellenwert der Poesie im Verhältnis zur Politik auch in China herausgestellt. Schreiben sei an sich schon eine Art politischer Positionierung, sagte sie im Deutschlandradio Kultur. Ming Di verwies darauf, dass sich die Situation für Schriftsteller in China verbessert habe:
"Wir alle können unsere Gedichte im Land veröffentlichen. Obgleich es immer noch eine Zensur gibt. Aber mit dieser Zensur gehen wir eben so um, dass wir Gedichte ganz bewusst als Kunstausübung auffassen und dadurch die Zensursperre umgehen. Und unsere Botschaften mehr oder minder in verhüllter Form verpacken. Wir verwenden also Sprache als eine Art Werkzeug, auch als Waffe, um etwas zu bewirken, statt ganz offen diesen oder jenen Sachverhalt anzugreifen."
Weder sie noch die anderen fünf zum Poesiefestival eingeladenen Autorinnen und Autoren aus China würden sich unter dem Oberbegriff "Exil-Poeten" sehen noch als politische Dichter, meinte Ming Di:
"Wir sehen Dichtung als Kunstform, als Form, die sich als Literatur begreift. Und wir bieten eben sechs ganz unterschiedliche, persönliche Sichtweisen auf diese Welt, vermittelt durch eine sehr gepflegte Sprache."
Dichter brauchen den Kontakt zur lebendigen Sprache
Ihr besonderes Anliegen sei es, die in China lebenden Dichter zu unterstützen und in die westlichen Ländern zu bringen, betonte Ming Di, die sowohl in den USA als auch in Peking lebt:
"Ich glaube nämlich, dass Dichter tatsächlich den Kontakt mit der sich verändernden, lebendigen Sprache brauchen. Wenn man immer im Ausland lebt, läuft man Gefahr, in Klischees zu erstarren."
Häufig sei es aber so, dass die Ausland lebenden chinesischen Autoren als sogenannte "Exil-Dichter" die meisten Preise erhalten und mit Anerkennung überschüttet werden würden, so Ming Di:
"Aber ich glaube eben, es ist besonders wichtig, dass man die in China lebenden Autoren fördert. Sie haben tatsächlich den Wandel miterlebt. Einige haben auch gelitten, haben auch mit Blut bezahlt. (...) Und sie finden Wege, auf äußerst kunstvolle Weise ihre höchstpersönlichen Wahrheiten doch zu zeigen. (...) Und es lohnt sich, die Stimmen von innerhalb Chinas besser kennen zu lernen."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Seit dem Wochenende ist die Poesie zu Hause in Berlin. Das Poesiefestival lädt ein, und es hat diesmal einen Schwerpunkt, seinen Schwerpunkt gelegt auf ein Land, mit dem wir vieles verbinden. Bei dem wir heutzutage an vieles denken, was mit Wirtschaft zu tun hat, aber wahrscheinlich zuletzt an die Poesie: China ist Schwerpunkt. Und das Programm mitkuratiert hat die teils in Los Angeles, teils in Peking lebende chinesische Poetin Ming Di. Und ich freue mich, sie hier im Deutschlandradio Kultur begrüßen zu dürfen. Willkommen im Studio!
Di Ming: Thank you!
Frenzel: Was liefert dieser Schwerpunkt beim Poesie-Festival? Ein anderes Bild von China?
Ming: Wir bringen bei diesem Festival sechs unterschiedliche Stimmen aus China, neue Stimmen, neue Wahrnehmungen. Wir sehen uns aber nicht unter einem Oberbegriff, wir sind weder Exil-Poeten noch sind wir politische Dichter. Nein, wir sehen Dichtung als Kunstform, als Form, die sich als Literatur begreift. Und wir bieten eben sechs ganz unterschiedliche persönliche Sichtweisen auf diese Welt, vermittelt durch eine sehr gepflegte Sprache.
Frenzel: Sie haben vorhin gesagt, Sie verstehen sich nicht als Exil-Poeten, Sie verstehen das nicht als politische Botschaft, die Sie hier mit nach Berlin bringen. Das bringt mich auf die Frage, inwieweit Poesie in China eine politische Rolle hat. Hat Sie die, gerade, weil man andere Ausdruckswege, die freie Presse beispielsweise, nicht hat?
Vom Schreiben unter der Zensur
Ming: Dichtung ist als solche schon ein politischer Akt. Dennoch liebe ich den Ausdruck politischer Dichter nicht so sehr. Einer unserer sechs eingeladenen Dichter, Zang Di, hat gesagt: Dichten drückt schon einen Wunsch nach Freiheit aus. Insofern ist das Schreiben eine Art politische Positionierung.
Die Situation allgemein in China wird aber immer besser. Wir alle können unsere Gedichte im Land veröffentlichen, obgleich es immer noch eine Zensur gibt. Aber mit dieser Zensur gehen wir eben so um, dass wir Gedichte ganz bewusst als Kunstausübung auffassen und dadurch die Zensursperre umgehen und unsere Botschaften mehr oder minder in verhüllter Form verpacken. Wir verwenden also Sprache als eine Art Werkzeug, auch als Waffe, um etwas zu bewirken, statt ganz offen diesen oder jenen Sachverhalt anzugreifen und zu sagen, das ist nicht richtig.
Frenzel: Ich habe den Eindruck, dass Sie sehr zurückhaltend sind, was den Begriff Exil-Literaten angeht, was den Begriff politische Poesie angeht. Wo kommt das her? Warum diese Zurückhaltung?
Ming: 1989, als die Studentenbewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschah, da lebte ich gerade in Boston. An der Universität studierte ich damals, und wir waren damals natürlich sehr alarmiert. Wir sind nach der Niederschlagung, nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz als Protestbewegung vor die chinesische Botschaft in Washington D.C. gezogen. 80.000 Chinesen waren wir dort.
Wir haben dann beschlossen, nicht zurückzukehren nach China, sondern in den USA zu bleiben. Wir wurden dann beschuldigt, Brot von den blutigen Händen anderer zu nehmen, wir wurden sozusagen als Profiteure dieses Massakers beschuldigt. Es dauerte lange, bis ich mich aus diesem Schatten befreien konnte. Aber genau aus diesem Grunde habe ich eben beschlossen, die in China lebenden Dichter zu unterstützen, sie wirklich bewusst zu fördern und in die westlichen Länder zu bringen.
Die Wahrheit des Dichters
Ich glaube nämlich, dass Dichter tatsächlich den Kontakt mit der sich verändernden lebendigen Sprache brauchen. Wenn man immer im Ausland lebt, läuft man Gefahr, in Klischees zu erstarren. Und dennoch heimsen die im Ausland lebenden chinesischen Autoren häufig als sogenannte Exil-Dichter die meisten Preise ein. Sie werden überschüttet mit Anerkennungen. Aber ich glaube eben, es ist besonders wichtig, dass man die in China lebenden Autoren fördert. Sie haben tatsächlich den Wandel miterlebt. Einige haben auch gelitten, haben auch mit Blut bezahlt. Und sie haben auch mit der Zensur zu kämpfen. Und sie finden Wege, auf äußerst kunstvolle Weise ihre höchstpersönlichen Wahrheiten doch zu zeigen. Und ich glaube, sie haben sehr viel zu sagen, und es lohnt sich, Stimmen von innerhalb Chinas besser kennenzulernen.
Frenzel: Etwas bewirken kann man vor allem, wenn man Menschen erreicht. Haben Sie den Eindruck, dass Poesie, dass Gedichte gerade junge Menschen in China heute erreichen, Menschen, die ja aufgewachsen sind und aufwachsen in einer sehr kapitalistischen Gesellschaft, wenn man so will, also wo es ganz stark um Vermehrung des Wohlstandes geht. Erreicht man da Menschen mit Poesie?
Junge Leute an Poesie heranführen
Ming: Ich glaube, es gibt zweierlei Arten von Dichtung. Die eine richtet sich wirklich an das große Publikum mit sehr plakativen Aussagen. Die andere ist sehr verhalten und still. Ich glaube aber auch, es gibt eine Kombination aus beiden Möglichkeiten, mit der wir vor allem die jungen Menschen auch für Dichtung gewinnen können, indem wir eben sehr stark sensibilisieren für die Schönheit der Dichtung, statt irgendetwas herauszubringen wie "Nieder mit ...", oder "Lang lebe ...", "Lang lebe Chairman Mao" oder "Nieder mit den ausländischen Kapitalisten!" – pflegen wir jetzt Dichtung als Kunst. Und so können wir uns eben auch ein Publikum aufbauen und heranziehen, gerade unter den jungen Leuten.
Wir haben zum Beispiel Lü Yue, eine Frau, die sich sehr mit gesellschaftlichen Problemen befasst, die Frauenthemen anspricht und mit ihrer sehr direkten Art ein großes Publikum erreicht. Dann haben wir noch Zang Di, ein sehr, sehr einflussreicher Dichter, der vor allem an den ästhetischen Qualitäten von Sprache arbeitet, der Dichtung nicht als politische Waffe verwendet, der aber stilprägend und anregend für zwei Generationen in China gewirkt hat. Jeden Tag bringt er mindestens ein Gedicht neu heraus. Und er greift häufig alltägliche, unscheinbare Beobachtungen auf. Zum Beispiel ist es ja in den großen Städten, Beijing, sehr, sehr trübe und oft diesig, und er greift aus einer solchen Beobachtung, die Luftverschmutzung, eben Anlässe zu sehr überzeugenden Gedichten auf.
Kulturelle Barriere bei der Übersetzung
Frenzel: Nun ist es immer schwierig, egal, zwischen welchen Sprachen, aber über Fremdsprachen auch Gedichte, Poesie zu transportieren. Haben Sie den Eindruck, dass es neben dieser Sprachbarriere, der natürlichen, vielleicht auch so etwas wie eine kulturelle Barriere gibt zwischen Poesie aus China und der Poesie, wie wir sie hier geprägt vorfinden?
Ming: Ja. Ich glaube durchaus, dass es unterschiedliche Aspekte gibt, die die chinesische Lyrik schwerer zu übersetzen machen als aus anderen Sprachen. Trotz aller Schwierigkeiten: Übersetzen von Lyrik ist möglich, wenn man nur die richtigen Fähigkeiten anwendet, wenn man eben hinhört auf diese Unterschiede. Solange der Glaube an literarische Verständigung, an die Möglichkeit von Dichtung da ist, wird eine Übersetzung zu Stande kommen.
Frenzel: Die chinesische Poetin und Mit-Kuratorin des diesjährigen Poesiefestivals in Berlin, Ming Di. Haben Sie vielen Dank für Ihren Besuch im Studio. Thank you indeed!
Ming: Thank you!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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