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Wenn Schriftsteller zu Romanhelden werden

Franz Kafka steht mit verletztem Daumen am Eingangsportal des “Oppelthauses” am Altstädter Ring in Prag, welches ab 1913 das Wohnhaus der Familie Kafka war (Foto, um 1914).
Romane über die A-Klasse der deutschen Literatur, mit Goethe, Kafka, Rilke als Protagonisten, sorgen schon seit Jahren für gute Verkaufszahlen. © dpa / picture-alliance / akg-images
Edelgard Abenstein im Gespräch mit Joachim Scholl |
Tote kann man jederzeit neu erfinden und gerade ein toter Schriftsteller taugt als ideale Projektionsfigur, sagt die Journalistin Edelgard Abenstein. Kein Wunder, dass Schriftsteller gerne etwa Kafka oder Goethe zu Helden ihrer Romane machen.
Annette von Droste-Hülshoff, Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler – sie gehören zum Kanon der deutschen Literatur, auch wenn es um ihre Namen etwas stiller geworden ist. Das ändert sich gerade, seit sie in der laufenden Saison unter malerischen Titeln wie "Wiesenstein" oder "Fräulein Nettes kurzer Sommer" als Romanhelden auftreten. Ihre Autoren sind keine Biografen, es sind Kollegen, Schriftsteller, deren Geschäft die Erfindung ist, das Spiel mit Dichtung und Wahrheit. Und jenes Spiel sorgt schon seit Jahren für gute Verkaufszahlen in den Buchhandlungen – mit der A-Klasse der deutschen Literatur, mit Goethe, Kafka, Rilke als Protagonisten. Ein Trend also.

Gewissenhafte Recherche und fiktive Freiheit

Was veranlasst Schriftsteller, statt Familien- oder Ich-Geschichten zu schreiben, sich das Leben ihrer Vorgänger auszumalen? Hoffen sie nur auf ein wenig Abglanz, wenn sie sich in deren Sonne stellen? Kühn ist es allemal, authentischen Figuren vermeintlich über die Schulter zu blicken, ihnen Worte in den Mund zu legen, als wären sie wirklich gesprochen worden.
Rein sportlich gesehen sind Schriftsteller gegenüber jedem Biografen im Vorteil. Mit der "aktenmäßigen Wirklichkeit" (Stefan Zweig) können sie viel verwegener umspringen. Dass auch sie gewissenhaft zu recherchieren haben, versteht sich, aber ohne an den Quellen zu kleben. Ihr Pfund: Indem sie sich an eine fremde Existenz herantasten, füllen sie Leerstellen erzählerisch, mit ausgedachten Szenen, Dialogen, Gedanken. Das ist nichts anderes als Schicksal zu spielen.

Die Gegenwart wird in ein neues Licht getaucht

Ganz klar, Tote kann man jederzeit neu erfinden, und gerade ein toter Schriftsteller taugt als ideale Projektionsfigur. Abgesehen davon, dass man sich damit in eine lange, mit Büchner und Thomas Mann hochillustre Traditionslinie stellt, liest sich dieses Reanimationsprogramm als reizvolle Variante des historischen Romans. Ungebrochen erfolgreich ist dieses Genre, weil es zuverlässig in andere Zeiten, andere Welten entführt, weil es über den Umweg der Geschichte die Gegenwart in ein neues Licht stellt. Und uns obendrein auf unterhaltsame Weise mit sehr viel schöner Bildung versieht.
Schriftsteller schreiben über Schriftsteller (Auswahl):

Karen Duve: "Fräulein Nettes kurzer Sommer"
Galiani, Berlin 2018, 592 Seiten, 25 Euro
Lesen Sie hier die ausführliche Rezension.

Volker Hage: "Des Lebens fünfter Akt"
Luchterhand, München 2018, 320 Seiten, 20 Euro

Michael Kumpfmüller: "Die Herrlichkeit des Lebens"
KiWi, Köln 2011, 240 Seiten, 11 Euro

Thomas Mann: "Lotte in Weimar"
Fischer, Frankfurt 2003 (2. Auflage), 452 Seiten, 34 Euro

Klaus Modick: "Keyserlings Geheimnis"
KiWi, Köln 2018, 240 Seiten, 20 Euro

Klaus Modick: "Konzert ohne Dichter"
KiWi 2015, 240 Seiten, 9,99 Euro

Hans Pleschinski: "Wiesenstein"
Beck, München 2018 (3. Auflage), 552 Seiten, 24 Euro
Lesen Sie hier die ausführliche Rezension.

Martin Walser: "Ein liebender Mann"
Rowohlt, Reinbek 2009, 288 Seiten, 9,99 Euro

Volker Weidermann: "Ostende"
KiWi, Köln 2014, 160 Seiten, 17,99 Euro

Volker Weidermann: "Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen"
KiWi, Köln 2017, 288 Seiten, 22 Euro
Lesen Sie hier die ausführliche Rezension.

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