Gas geben für die Freiheit
Sie sind die schnellsten Frauen des Nahen Ostens. Ihr Traum ist es, bei der Formel 1 anzutreten. "Speed Sisters" nennen sich die vier jungen Palästinenserinnen, die zwischen Ramallah, Jenin und Jordanien trainieren und seit Jahren Rennen fahren.
Freitagvormittag in der palästinensischen Stadt Jenin im Norden der Westbank. Der Ort wirkt wie ausgestorben. Sogar die Verkehrsinsel im Zentrum der Stadt ist leer. Einzig ein schwarzer Seat Cupra mit orangefarbenen Radkappen parkt direkt gegenüber des Busbahnhofs. "Speed Sisters" steht in weißen Lettern quer über der Seite geschrieben. Ich steige ein.
"My name is Marah Zahalka, from Jenin"
Marah Zahalka trägt ein gelbes Tank Top, ausgewaschene Jeans und strahlend weiße Turnschuhe. Die verspiegelte Sonnenbrille legt sie auch zur Begrüßung nicht ab. Sie lehnt sich zurück. Die Hände lässig ums Lenkrad gelegt, steuert sie durch die von der Hitze flimmernden Straßen Jenins.
"Wenn ich im Auto sitze, bin ich in einer anderen Welt. Wenn ich meinen Fuß auf dem Gaspedal habe, fühle ich mich frei, dann gibt es keine Grenzen."
Jenin hat in den vergangenen Jahren sehr unter der israelischen Militärbesatzung gelitten, insbesondere die Menschen im Flüchtlingslager. 2002 war es vom israelischen Militär belagert worden, monatelang hatten sich Israelis und Palästinenser Straßenkämpfe geliefert. Marah war damals gerade neun Jahre alt.
Mühsame Finanzierung
Sie parkt in einer unfertigen, grauen Neubausiedlung. Das Flüchtlingslager befinde sich keine hundert Meter von hier, sagt sie und weist zu den Bauten auf der anderen Seite der staubigen Straße. Ihre Großeltern leben bis heute im Camp.
"This is Marahs home. Her mother Aram, her brother Kais and her aunt."
"Dies ist Marahs zuhause", erklärt die Freundin, die gekommen ist, um zu übersetzen. Marah stammt aus einer Flüchtlingsfamilie, die Wohnung ist eine provisorische Unterkunft. Um das Hobby der Tochter zu finanzieren, müssen die Eltern hart arbeiten.
Ich selbst bin Fahrlehrerin. Seit Marah neun war, hat sie hinter dem Lenkrad gesessen und ich habe sie unterrichtet. Mit zwölf konnte sie schon ganz alleine fahren. Mit 17 hat sie an ihrem ersten Rennen in Jenin teilgenommen. Sie ging damals noch zur Schule. Ich habe sie immer unterstützt. Das erste Mal hat sie verloren, seitdem aber hat sie jedes Rennen gewonnen.
Marahs Mutter ist der Stolz anzumerken, wenn sie von der Tochter spricht. Sie habe immer hinter ihr gestanden, auch als das erzkonservative Umfeld wegen Marahs Rennleidenschaft den Kontakt zur Familie abbrach. Marah gießt Tee ein. Ihr ist sichtlich unwohl dabei, als besonders zu gelten.
"Vielleicht lebe ich etwas anders als die meisten Mädchen in Jenin, aber es gibt auch noch andere Familien, die ihren Töchtern Freiraum lassen. Nicht alle Familien hier sind konservativ. Was die Autos angeht - ja da bin ich schon anders. Aber im sonstigen Leben, nein."
Training in der Nähe des Militärgefängnisses
Von Jenin geht es ins 70 Kilometer entfernte Ramallah - in eine andere Welt. Rund um den Manara-Platz mit seinen westlichen Café- und Restaurantketten, den Läden mit internationalen Markenartikeln, drängeln sich die Passanten zwischen den Autos hindurch.
Ich steige zu Betty Saadeh ins Auto. Das Handy am Ohr, trommelt sie mit den künstlichen Nägeln der anderen Hand auf dem Lenkrad.
"Es ist Wochenende und all meine Freunde und Cousins rufen an. Sie wissen: Betty hat Zeit und organisiert irgendwelche Partys."
Wie viele Bewohner Ramallahs ist Betty Saadeh Christin, sie hat lange Zeit im Ausland gelebt und ist vor vier Jahren in die palästinensischen Gebiete zurück gekehrt. Wir fahren hinaus aus der Stadt, zu einer staubigen Freifläche nahe des Grenzübergangs von Kalandia, diesseits der israelischen Grenze. Zwei Betonblöcke stehen inmitten der Brache. Betty öffnet die Tür und steigt aus ihrem schwarzen Peugeot.
"Wir befinden uns hier nahe des israelischen Militärgefängnisses. Hier können wir trainieren. Es gibt in Palästina kaum Orte, wo das möglich ist."
Rennanzug schützte vor Gasgeschoss
Im Gefängnis nebenan sind vor allem politische Gefangene inhaftiert. Der Soldat im grauen Kontrollturm, der sich mahnend neben dem Platz erhebt, ist für Betty nicht sichtbar. Eine unwirkliche Szenerie.
"Letztes Jahr gab's hier Probleme mit den Gefangenen. Als ich hier trainieren wollte, hat mich ein israelischer Soldat mit einem Gasgeschoss in den Rücken getroffen. Zum Glück habe ich den Rennanzug getragen und nichts in mein Gesicht gekommen."
Betty Saadeh rollt mit den Augen und wirft die langen blondierten Haare aus dem Gesicht. Sie setzt sich hinter's Lenkrad. Wir schnallen uns an. Sie will zeigen, dass sie, Marah und die beiden anderen "Speed Sisters" nicht umsonst diesen Namen tragen.
"The racing tires are not on my car so i am just doing a little bit. This is awesome, it is so fun."
Betty Saadeh schaut konzentriert, dann startet sie mit einem Mal und rast mit voller Geschwindigkeit auf den Betonblock zu.
Kurz vor dem Betonblock reißt sie das Lenkrad herum, um mit derselben Geschwindigkeit wieder in die entgegen gesetzte Richtung zu rasen. Ist ihr die Gefahr, die vom benachbarten Kontrollturm ausgeht, nicht genug? Betty Saadeh geht es um etwas anderes.
"Wir sind die ersten Rennfahrerinnen des Nahen Ostens. Man kennt uns überall. Wir leben in Palästina und haben die Besatzung satt. Wir wollen normal leben. Und wir wollen Spaß haben. Autorennen befreien mich. Es ist meine Art, gegen die Militärbesatzung zu kämpfen."