Dagrun Hintze: "Ostkontakte. Ein deutsch-deutsches Date"
Essay mit Interviews
Mairisch Verlag, 2022
152 Seiten, 12 Euro
Autorin Dagrun Hintze über Ost- und Westdeutsche
Als (West-)Kind wuchs Dagrun Hintze quasi mit Blick auf Mecklenburg-Vorpommern auf. Dass es auch heute noch Ressentiments zwischen Wessis und Ossis gibt, treibt die Autorin seit langem um. © Florian Heurich
Zusammen auf die Therapiecouch
10:11 Minuten
Es knirscht mitunter immer noch gewaltig, wenn Ost- und Westdeutsche aufeinandertreffen. Autorin Dagrun Hintze, geboren in Lübeck, ist den Ressentiments auf den Grund gegangen. Das Ergebnis ist ihr Buch "Ostkontakte. Ein deutsch-deutsches Date".
Die Buch- und Theaterautorin Dagrun Hintze macht nicht den Eindruck, als könne man sie leicht aus der Fassung bringen. Doch als ein ostdeutscher Theaterkollege sie vor eine paar Jahren als „professionelle Westschnepfe“ bezeichnete, habe sie das hart getroffen, berichtet sie.
Dies wie auch ein Theaterprojekt zwei Tage vor dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, 2019, waren für die 1971 in Lübeck geborene Hintze Auslöser, ein Buch über „ein deutsch-deutsches Date“ mit erheblichen Anbahnungsproblemen zu schreiben: „Ostkontakte“.
Immer noch große Sprachlosigkeit
Hintze fiel es schwer hinzunehmen, dass auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit die Ressentiments zwischen Wessis und Ossis nach wie vor stark sind und viel Sprachlosigkeit angesichts der unterschiedlichen Biografien herrscht. Also beschloss sie ein Buch darüber aus westdeutscher Sicht zu schreiben.
Die Autorin wuchs als Kind damals noch minderjähriger Eltern bei ihren Großeltern auf, ganz nah an der „Zonengrenze“, wie man das damals im Wessi-Sprech nannte. Heute lebt sie in Hamburg. Als sie 2011 zum ersten Mal an einem ostdeutschen Theater, am Staatsschauspiel Dresden, an einer Inszenierung arbeitete, wurde ihr bewusst, dass ihr offenbar unübersehbar das Etikett „Westfrau“ auf der Stirn klebte.
Als West-Frau alleine am Mittagstisch
„Ich habe halt gemerkt, dass ich ganz viel alleine in der Kantine saß, weil offenbar niemand richtig Lust hatte, mit mir Mittag zu essen. Und ich dachte: Woran liegt denn das, zum Teufel?“ Sie sei lange überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass das mit ihrer West-Herkunft in Zusammenhang stehen könnte.
Für ihr Buch ist sie dieser diffusen Ablehnung auf den Grund gegangen und hat mit vielen Menschen gesprochen. Unter anderem führte sie einen gemeinsamen Workshop für interkulturelles Training mit einer Theatergruppe aus Hamburg und einer aus Halle durch. Die Gruppen sei recht bunt zusammengesetzt gewesen, unter anderem seien in der Hallenser Gruppe ein Pfarrer aus dem Kreis Friedrich Schorlemers und ein ehemaliger NVA-Offizier dabei gewesen, beschreibt Hintze das damalige Setting.
Ein einfacher Schlusstrich ist nicht möglich
Man könnte meinen, dass Wessis und Ossis einander in den letzten 30 Jahren wieder und wieder ihre jeweilige Lebensgeschichte erzählt haben. Dagrun Hintze meint jedoch: „Ich glaube, dass wir unter diese ganze Geschichte niemals einen Strich ziehen können, nach dem Motto: Das ist jetzt die Wahrheit – und damit hat es sich jetzt.“
Denn es gebe auch in Ostdeutschland so viele verschiedene Perspektiven auf die Geschichte: von Leuten, die geflohen seien oder von jenen, die direkt nach der Wende gegangen seien oder eben geblieben seien.
Hintze hält es aber für genauso wichtig, den westdeutschen Blick auf die Zeit der deutsch-deutschen Teilung und auf die Nachwendezeit zu erzählen: Etwa ostdeutsch-sozialisierten Menschen klarzumachen, dass es auch in Westdeutschland nicht immer „den Kapitalismus“ gegeben habe, sondern dass dieser sich und damit die westdeutsche Gesellschaft über die Jahre verändert habe.
Die Toten Hosen mit Marteria auf der Couch
Das klingt so, als sollten sich Ossis und Wessis vielleicht mal zusammen auf die Gruppentherapie-Couch legen. Als satirsch-schönen Beitrag zur deutsch-deutschen Befindlichkeit wertet Hintze deshalb die musikalische Zusammenarbeit der Toten Hosen mit dem Rostocker Rapper Marteria.
Anfang April veröffentlichten sie gemeinsam die Songs "Scheiss Wessis" und "Scheiss Ossis": Die Videos zeigen die Musiker bei der Gruppentherapie. Sie greifen dabei tief und selbstironisch in den Topf der Ost-West-Klischees.
(mkn)