Autorin und Journalistin Julie von Kessel

Mitten im Inferno

33:56 Minuten
Ein Porträt der ZDF-Reporterin und Autorin Julie von Kessel
"Und ich weiß noch, dass ich hochschaute, und ich sehe, wie diese Stockwerke, wie ein Kartenhaus …": 9/11-Augenzeugin Julie von Kessel. © picture alliance / dpa / Geisler-Fotopress / Sonja van Kampen
Moderation: Katrin Heise |
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Als am 11.9.2001 in New York die Türme des World Trade Centers einstürzten, lief Julie von Kessel um ihr Leben. Die ZDF-Reporterin war zu nah an den Schauplatz des Terrors herangegangen. Ihre damaligen Erlebnisse hat sie in einem Roman verarbeitet.
In diesen Tagen werden die Erinnerungen an 9/11, an die Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon, noch einmal lebendig. Für Julie von Kessel ganz besonders: Die Journalistin ist zu der Zeit Reporterin für das ZDF in New York.
Und eigentlich soll es für die damals 28-Jährige wieder einer dieser thematisch bunten Tage werden, mit Berichten von der "Fashion Week". Doch dann kommt der Studioleiter ins Zimmer gestürmt: "Da brennt es. In das World Trade Center ist ein Flugzeug reingeflogen."

"Da springen Menschen aus dem Gebäude"

Sie lässt alles stehen und liegen und fährt zum World Trade Center: "Es war infernalisch. Uns kamen wahnsinnig viele Menschen entgegen. Alle schrien, weinten und sagten: Da springen Menschen aus dem Gebäude. Die Vorstellung, dazustehen und zuzuschauen, wie jemand diese Entscheidung für sich treffen muss, das hat mich nie losgelassen."
Julie von Kessel berichtet live, geht so nah an das Geschehen ran wie möglich. "Während eines Interviews gab es dann ein Grollen, das immer lauter wurde. Und ich weiß noch, dass ich hochschaute, und ich sehe, wie diese Stockwerke, wie ein Kartenhaus … Und ich glaube, es dauerte bestimmt zehn Stockwerke, bis ich überhaupt halbwegs verstanden habe, was da passiert."
Das Erlebte hat sie in ihrem Roman "Als der Himmel fiel" verarbeitet: die Geschichte zweier Cousinen, ihre traumatischen Erlebnisse – Missbrauch, Konkurrenz in der Familie – und eben 9/11. Sie habe zunächst beim Schreiben den Teil über die Anschläge ausgespart, berichtet die Autorin:
"Ich wusste immer, das kommt dann noch. Aber das richtige Schreiben habe ich ein bisschen vor mir hergeschoben." Sie geht in Schreibklausur, allein in ein Haus in Brandenburg, schaut sich tagelang Fotos und anderes Material über die Anschläge an, entdeckt darin sogar sich selbst. Dieses Abtauchen habe ihr geholfen, die Eindrücke zu verarbeiten.

Aufgewachsen in sieben Ländern

Julie von Kessel kommt 1973 in Helsinki zur Welt. Der Vater ist Diplomat, die Mutter Kinder-und Jugendpsychologin. Die Familie zieht viel um. Julie wächst in Jugoslawien, Mexiko, Finnland, Ägypten, den USA, der Dominikanischen Republik und in Bonn auf.
"Als Familie schweißt das sehr zusammen; das sind ja immer Umbrüche. Unsere Mutter hat immer versucht, uns weich zu betten. Wir kamen dann in das neue Haus, und da hatte sie immer schon alles aufgebaut. Ich weiß, dass sie sogar meine Puppenhäuser immer aufgebaut hat, damit es nicht ein Leben aus Kisten ist. Dieses Leben, alle drei Jahre umzuziehen, fand ich als Kind oft aufregend, aber dann als Teenager schon nicht mehr."
Sie habe durch die vielen Umzüge ein engeres Verhältnis zu ihren beiden Schwestern bekommen, sagt Julie von Kessel. Ihre Schwester Sophie, heute eine bekannte Schauspielerin, habe ihren ersten Roman "Altenstein" als Hörbuch eingelesen. Auch darin fiktionalisiert sie einen Teil der eigenen Familiengeschichte: die Flucht aus Ostpreußen und ihre Folgen.

Der Vater aus Schlesien, die Mutter aus Ostpreußen

"Mein Vater kam aus Schlesien, meine Mutter aus Ostpreußen, das war immer ein großes Thema für uns. Ich fand, das war sehr bezeichnend, dass wir immer aus dem Koffer gelebt haben, und dass sie diese Kindheit hatten, die ja auch mit Koffern, mit Flucht und mit Abschied zu tun hat."
Heute lebt Julie von Kessel mit ihrem Mann, einem US-amerikanischen Drehbuchautor, und ihren Kindern in Berlin. Für sie, die sich immer ein bisschen entwurzelt fühlte, ist die Stadt ein Stück Heimat geworden. Sie arbeitet nach wie vor beim ZDF, findet aber auch immer wieder Zeit, zu schreiben. Der nächste Roman ist schon in Arbeit.
(sus)
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