Autorin und Büchner-Preisträgerin Emine Sevgi Özdamar

"Literatur hat ein einziges Zuhause, und das ist die Welt"

39:09 Minuten
Die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar lächelt im Staatstheater in Mainz nachdem sie mit der Carl-Zuckmayer-Medaille 2010 vom Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet worden ist.
Emine Sevgi Özdamar kam 1976 ins geteilte Berlin, lernt am Brecht-Theater im Ostteil der Stadt und wohnte im Westen. © picture-alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Moderation: Katrin Heise |
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„Das Leben ist eine Karawanserei“ lautet der Titel eines Buches von Emine Sevgi Özdamar, passend zu ihrer Biografie: Schauspielschule in der Türkei, Bühnen-, Film- und Bucherfolge in Deutschland und Frankreich. Nun erhält sie den Georg-Büchner-Preis 2022.
1965: Mit 18 Jahren kommt Emine Sevgi Özdamar als "Gastarbeiterin" aus der Türkei nach Deutschland und arbeitet in einer Fabrik - weniger des Geldes wegen, als um befreit und unbehelligt leben zu können. "Ich war keine gute Arbeiterin. Ich hatte keine Ahnung, wie man arbeitet", sagt sie.
Nach nicht allzu langer Zeit geht sie zurück in die Türkei und dort auf eine Schauspielschule. Die Welt des Theaters fasziniert sie: "Alles roch nach diesen Klebemitteln, und Frau wird Mann und Mann wird Frau und man wird ein Drache – es ist fantastisch!"

Wenn Worte krank werden

Das Bohème-Leben in Istanbul wird durch den Militärputsch 1971 und die darauf folgende Diktatur jäh gestoppt. "Damals hatte das Wort eine große Wirkung. Die Menschen saßen manchmal die Hälfte ihres Lebens im Gefängnis nur wegen ihren Wörtern."
Auf einmal muss man aufpassen, was man sagt, und was man liest: "Du musstest die Wörter unter deiner Zunge verstecken oder wegschmeißen. Du fingst an, ein anderer Mensch zu werden, und dann merkst du, dass die Wörter wirklich krank werden."
In der Zeit hilft ihr Brecht. Sätze wie "Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine" hätten wie eine Art Heilsalbe gewirkt, sagt Özdamar. "Da hatte ich einen einzigen Traum: Ich will nach Berlin, mit den Brecht-Schülern arbeiten."
Özdamar kommt 1976 ins geteilte Berlin, lernt am Brecht-Theater im Ostteil der Stadt, ihr Zuhause wird eine Wohngemeinschaft im Westen. Täglich pendelt sie hin und her. Im Laufe der nächsten Jahre arbeitet sie mit den wichtigsten Persönlichkeiten der deutschen Theaterwelt zusammen, von Benno Besson über Claus Peymann bis zu Matthias Langhoff.

Die Großmutter erzählte Märchen

Eine weitere wichtige Station ihres Lebens ist Frankreich. Der Regisseur Benno Besson nimmt Özdamar mit nach Paris. Dort lernt sie Französisch, unter anderem "mit auswendig gelernten Liedern von Edith Piaf", und spielt Theater.
Wieder in Deutschland beginnt sie selbst zu inszenieren, Regie zu führen und schließlich auch zu schreiben. Die familiäre Erzähltradition kommt vonseiten der Großmutter, berichtet Özdamar: "Meine Großmutter hat immer Märchen erzählt, und ich liebte sie sehr, eine Frau mit sehr großem Herzen."
Als Autorin wird sie mit ihrem autobiografisch geprägten Roman "Das Leben ist eine Karawanserei" bekannt - ein "literarisches Ereignis", wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. Ihr neues Buch trägt den Titel "Ein von Schatten begrenzter Raum". Der Roman spielt Leitmotive aus Özdamars Biografie durch und erzeugt vor allem durch Wiederholungen bestimmter Schlüsselmomente und Schlüsselsätze eine unverwechselbare Atmosphäre. Für Özdamar hat Literatur nur ein einziges Zuhause: "Und das ist die Welt."
(mah)

Die Erstausstrahlung der Sendung war am 05. November 2021.

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