Zwischen literarischer Produktion und Reproduktion
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Seit Herbst wächst ein Netzwerk von Autorinnen, die sich auch um Kinder oder Ältere kümmern. Sie wollen zeigen: Kreativität und Care-Arbeit sind kein Gegensatz. Und sie fordern, diese Aufgaben in der Gesellschaft gerechter zu verteilen.
Bei einer Preisverleihung im vergangenen Herbst in Berlin – die Berliner Senatsstipendien wurden vergeben – wuselten viele Kinder herum. Sandra Gugic, selbst Autorin und Mutter, hat die Initiative ergriffen und Kolleginnen angesprochen und so den Austausch von Autorinnen in Gang gebracht, die wie sie Care-Arbeit leisten, also Kinder oder auch ältere Menschen betreuen.
Gegen den Schein
"Wir sind ein loses Netzwerk, die über die scheinbare Dichotomie von künstlerisches Produktion und Reproduktions- und Pflegearbeit nachdenken", erläutert Elisabeth R. Hager, eine der inzwischen zwölf Autorinnen, die sich als "Writer with Care/Writer with Rage" zusammengefunden haben und sich austauschen. Das Bedürfnis scheine also da zu sein, sagt sie.
Care-Arbeit umfasse dabei Elternschaft ebenso wie die Pflege älterer Menschen: die Situation sei sehr komplex, entsprechend wollten die Autorinnen auch nicht für alle Mütter sprechen. "Wir wollen ein heterogenes Netzwerk sein, das vielstimmig spricht und das Thema aus ganz vielen Perspektiven beleuchtet." Trotz aller Unterschiede sei im bisherigen Austausch aber auch schon klar geworden, dass es auch Gemeinsamkeiten gebe: "Zum Beispiel - leider - die Erfahrung der strukturellen Benachteiligung in der literarischen Förderlandschaft."
Erfahrungen struktureller Benachteiligung
Der Literaturbetrieb sei gewiss nicht die sexistische Sphäre der deutschen Gesellschaft, sagt Hager, und dennoch könne sie einiges an Benachteiligung aufzählen. "Zum Beispiel Aufenthaltsstipendien, wo man an Orte reisen muss, wo man dann für fünf, drei oder zwei Monate an Orten als Schmuckeremitin ausharren muss, da können ganz viele Autorinnen, die Care-Arbeit machen, nicht mitmachen." Schließlich könnten sie die Kinder nicht mitnehmen.
Es sei auch gängige Praxis, im Lebenslauf die Kinder nicht zu erwähnen, habe sich herausgestellt. "Das kann ja eigentlich nicht sein", sagt Hager. "Die Erfahrung der Mutterschaft oder Elternschaft oder Pflegearbeit ist ja nichts, was dem kreativen Prozess entgegensteht. Das glaubten die Menschen ja lange." Sie verweist auf den Artikel von Ursula K. Le Guin "The Fisherman's Daughter", in dem die Autorin das Problem als "Book or Baby" umrissen habe. "Das wollen wir niederstampfen, dieses komische Gebilde. Das ist kein Gegensatz."
Theorie und Praxis
Man unterstützte sich in der Praxis, lese Texte, bilde sich gemeinsam, empowere sich gegenseitig, spreche über die eigenen Erfahrungen; auf der theoretischen Ebene lese man Texte; und als Think Tank stelle das Netzwerk auch Forderungen. "Eine gerechtere Verteilung von Care-Arbeit in der Gesellschaft", ist eine solche. In der Coronakrise habe sich ja gezeigt, wie sehr die Mütter wieder in alte Rollen zurückgedrängt werden, sagt Hager, und auch extrem vereinzelt seien.
In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift "Edit" werde nun ein kollektiv geschriebener Text veröffentlicht. "Das macht total Spaß und hilft auch einfach aus der Isolation heraus", sagt Hager. Das Bündnis sei auch noch offen für neue Mitglieder. Und in der Post-Corona-Zeit soll dann auch eine Veranstaltungs- und Lese-Reihe starten.
(mfu)