Ava Farmehri: "Im düstern Wald werden unsere Leiber hängen"
Roman, Aus dem Englischen von Sonja Finck
Edition Nautilus, Hamburg 2020
282 Seiten, 22,00 Euro
Selbstermächtigung im Iran
06:54 Minuten
In Ava Farmehris Roman "Im düstern Wald werden unsere Leiber hängen" wartet eine Iranerin auf ihre Hinrichtung. Sie ist keine Oppositionelle, keine Märtyrerin und doch verkörpert sie eine Generation, deren Wünsche am repressiven System scheitern.
Sie wartet auf ihre Hinrichtung. Die 20-jährige Sheyda ist im Iran zum Tod durch den Strang verurteilt worden. Sie wünscht sich, nicht traditionell gehängt zu werden, durch Genickbruch zu sterben, sondern an einem Kran in die Höhe gezogen und stranguliert zu werden - um im letzten Augenblick ihres Lebens noch einmal den Horizont zu sehen.
Die in Kanada lebende Autorin Ava Farmehri – der Name ist ein Pseudonym – lässt ihre Protagonistin im Todestrakt eines Gefängnisses ihr kurzes Leben resümieren. Schnell wird klar: Sheyda ist keine Menschenrechtlerin, keine Oppositionelle, kein Fall für Amnesty. Sie eignet sich nicht als politische Symbolfigur, denn verurteilt wurde sie für den Mord an ihrer Mutter.
Und doch steht sie exemplarisch für eine ganze Generation. Für das Scheitern individueller Wünsche in einem repressiven, religiösen Staat. Für junge Frauen, die selbstbestimmt leben wollen. Für die Sehnsucht nach Geborgenheit und einem Zuhause, das Menschen wie Sheyda gewiss nicht unter dem Mullahregime, vermutlich überhaupt auf Erden nicht vergönnt ist.
Iranische Alltagskultur
"Wir alle sind Engel, missverstandene Engel in einer jämmerlichen Welt, die keine Flügel und keinen Heiligenschein duldet." Mit solchem Selbstbewusstsein sieht die junge Frau ihrer Hinrichtung wie einer Erlösung entgegen. Auf Sheyda lasten die unerfüllten Träume ihrer Eltern. "Ich war ein schmutziger Spiegel, der ihren Schmerz spiegelte." Sie beschreibt sich als eigenartiges Kind, eines, das sich besser mit Vögeln versteht als mit Gleichaltrigen.
Sie ist Bettnässerin, auch regelmäßige Besuche beim Psychologen können das nicht ändern. Sie stiehlt, lügt, lebt in Träumen und Fantasien, schafft sich ein alter Ego namens Beatrice, hat aber einen bestechend klaren Blick auf ihre Umgebung. Sie verliebt sich in einen Krüppel, verführt ihren Schuldirektor, taucht ab in die Welt der Literatur. Ihr Herz ist zerbrechlich, ihr Urteil ist scharf, ihre Haltung rebellisch.
Der Erzählton des Romans fasziniert durch die Vermischung von Anmaßung und Anklage, Poesie, Vulgarität und Sinnlichkeit. In Erinnerungen verpackte Schilderungen iranischer Alltagskultur verbinden sich mit literarischen und religiösen Anspielungen. Hier gibt jemand seiner Wut und Verachtung Raum, doch in der Selbsterhöhung der Ich-Erzählerin bleibt ihr Schmerz immer spürbar.
Weibliche Selbstermächtigung
Die Autorin Ava Farmehri, die erkennbar auch mit westlicher Populärkultur vertraut ist, hat eine iranische Poétesse maudit geschaffen. In der Gefängniszelle lässt sie Sheyda herausgeschlagene Zähne und abgerissene Fingernägel sammeln. Zugleich seziert sie gnadenlos die Schwächen ihrer Wärterinnen und Mitgefangenen. Nichts bleibt dieser Figur erspart – doch eine Märtyrerin ist sie nicht. Sheyda behauptet sich in der Sprache.
"Im düstern Wald werden unsere Leiber hängen" steht in der Tradition weiblicher, literarischer Selbstermächtigung. Eine junge, wütende Frau spuckt der Welt und ihren Konventionen ins Gesicht. Und auch wenn am Ende des Romans die Erzählung noch eine Wende nimmt, so spricht hier kein Opfer. Sondern die magische Stimme der Leidenschaft.