Avi Primor: Machtübernahme durch Muslimbrüder in Ägypten möglich
Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, vermutet hinter den Protesten in Ägypten die Muslimbruderschaft. Zwar wisse im Moment kein Mensch, wer eigentlich dahinter stehe, sagte Primor. Wahrscheinlich seien die Muslimbrüder "sehr schlau und vorsichtig" und ließen andere die Arbeit machen.
André Hatting: Viele Menschen fragen sich: Warum hat der Westen so lange am ägyptischen Präsidenten festgehalten? Warum nur diese halbherzige Unterstützung der Proteste gegen den autoritären Herrscher? Bei ihrem Israel-Besuch wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel aber genau das Gegenteil gefragt: Warum lässt der Westen den ägyptischen Präsidenten so schnell fallen? Das zeigt, wie verschieden die Perspektiven sind. Für Israel ist Ägypten der wichtigste und neben Jordanien auch der einzige Verbündete in der arabischen Welt. Am Telefon begrüße ich jetzt Avi Primor, er ist Präsident der Israelischen Gesellschaft der Auswärtigen Politik und war bis Ende 1999 Botschafter Israels in Deutschland. Guten Morgen, Herr Primor!
Avi Primor: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Herr Primor, stellt man sich in Israel immer noch die Frage, warum der Westen Mubarak fallen gelassen hat?
Primor: Ja, weil man Ängste hat, weil man ein Gefühl von Beklommenheit hat. Mubarak war ein verlässlicher Partner und vor allem eine Stützung gegen Islamismus, gegen den Aufstieg des Islamismus, wie es – sagt man in Israel –, wie es im Iran 1979 geschah. Das konnte in Ägypten, so lange Mubarak Präsident ist, nicht geschehen, und das Gleiche sagt man über König Hussein in Jordanien. Und man meint, dass, wenn diese Stützung nicht mehr existieren sollte, dann könnte sogar der Frieden zwischen Ägypten und Israel zusammenbrechen.
Hatting: Mubarak hat in Israel einen verlässlichen Partner, haben sie gerade gesagt, aber darf man einen Despoten zum Freund haben, der foltern lässt und die Presse zensiert?
Primor: Ja, diese Frage kann man allen stellen. Auch die Amerikaner und auch der Westen hat ja so viele Partner in aller Welt, die nicht unbedingt Demokraten waren, die nicht auf Menschenrechte geachtet haben.
Die Frage ist: Was ist das nationale Interesse? Das auf jeden Fall ist eine Frage, die man sich in Israel stellt, weil Israel ja immer noch ein Land ist, das in Gefahr lebt, in Kriegszustand lebt, und das einzige Land auf Erden, das auch in seiner Existenz gefährdet wird, wenn Sie zum Beispiel den Ahmadinedschad, den iranischen Präsidenten, in Betracht ziehen, der uns jede Woche die Vernichtung verspricht. Also sehen Sie, was für ein Stimmung das schafft. Dass Mubarak kein Demokrat war und auch Menschenrechte nicht geachtet hat, ist ja klar.
Hatting: Die Angst vor dem Iran ist absolut nachvollziehbar, aber die Vorgänge in Ägypten zeigen ja, dass es bislang zumindest keine islamische Revolution ist, es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass die Moslembrüder zum Beispiel die Proteste unterwandern. Warum ist Israel trotzdem so skeptisch?
Primor: Also erstens weiß kein Mensch, was dahintersteht. Die Moslembrüder sind wahrscheinlich sehr schlau und vorsichtig und lassen die anderen die schmutzige Arbeit machen. Aber da sie die einzige organisierte Macht hinter der offiziellen Macht sind, werden sie wahrscheinlich, so fürchtet man in Israel, irgendwann, wenn das alles so zerbröckelt, die Macht übernehmen, wie es in Russland 1917 war: Nicht Kerenzki war der richtige Herrscher, ihn hatten die Kommunisten arbeiten lassen, und dann haben sie selber die Macht übernommen.
So war es auch teilweise im Iran, zunächst einmal haben die Islamisten die Bourgeoisie und die Liberalen die Macht übernehmen lassen, aber nicht in Wirklichkeit, das war nur scheinweise. Das fürchtet man. Ich sage es nicht, ich sage was anderes, darüber hinaus, ich sage: Weder Präsident Sadat noch Präsident Mubarak haben den Frieden mit Israel geschlossen und aufrecht erhalten nicht, weil sie in Israel verliebt waren, auch nicht König Hussein war in Israel verliebt, sondern weil das eine Notwendigkeit für Ägypten und für Jordanien ist.
Also ist das Staatsraison, und jede Bewegung, auch eine extremistische, ideologisch motivierte Bewegung, die an die Macht kommt, wird dann Staatsraison in Betracht ziehen müssen, und deshalb bin ich nicht sicher, dass ... selbst wenn die Islamisten die Macht übernehmen, was ich gar nicht für unbedingt notwendig oder unentbehrlich halte, bedeutet das noch nicht, dass der Frieden tatsächlich zerfallen wird.
Hatting: In der Tat, zumal ja auch sogar die Moslembrüder gesagt haben, selbst wenn sie an die Macht kämen, würden sie die Friedensverträge mit Israel respektieren.
Primor: Ja, nur man vertraut denen nicht, natürlich nicht, und mit Recht nicht. Sie haben Hass gegen Israel, sie betreiben eine Hasspropaganda gegen Israel und versprechen Israel die Vernichtung. Aber genau wie ich das über die Hamas in dem Gazastreifen sage: Es gibt Interessen. Wenn man einmal an die Macht kommt, wenn man ein Land zu regieren hat, eine Bevölkerung zu verwalten hat, dann sieht man die Dinge anders, und ich glaube, auch die werden dann erst echt verstehen, dass sie den Frieden mit Israel brauchen, genau wie Mubarak und Sadat es verstanden haben. Aber die Bevölkerung in Israel ist davon nicht überzeugt und lebt in Angst.
Hatting: Sie haben die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen angesprochen, die verhält sich bislang auffällig ruhig. Überrascht Sie das?
Primor: Ja, wissen Sie, sie verhalten sich ruhig, genau wie die moslemischen Brüder in Ägypten sich ruhig verhalten, und das Interessante ist, dass in allen Demonstrationen und Krawallen in Ägypten das Wort Israel kaum jemals gefallen ist. Die sprechen wirklich über interne Probleme, wirtschaftliche Probleme, Menschenrechte, Demokratie und so weiter, und nicht von Israel, was immer irgendwie ein schwarzer Peter war, den man erhoben hat, wenn es Schwierigkeiten gab. Diesmal nicht. Aber wer weiß, was danach kommt, das sagen die meisten Israelis.
Hatting: Blicken wir mal von Ägypten weg und auf die gesamte arabische Welt, die Proteste beschränken sich ja nicht nur auf Ägypten. Welche Auswirkungen haben die Ereignisse in Nordafrika auf den Friedensprozess mit den Palästinensern?
Primor: In Nordafrika hat es überhaupt keine Rolle gespielt, auch in der Vergangenheit nicht. Ich darf Sie daran erinnern, dass der erste arabische Staatspräsident, das erste arabische Staatsoberhaupt, das schon 1965 von der Anerkennung eines israelischen Staates gesprochen hat, war (…), der tunesische Präsident, und das hat in der Bevölkerung dort keine Turbulenzen erweckt.
Also in Nordafrika sehen die Dinge ganz anders aus, es sei denn, die Islamisten, sollten die an die Macht kommen, aber in Tunesien ist es offensichtlich nicht der Fall, obwohl man immer befürchtet hat und sagte, besser ein Polizeistaat von Ben Ali als Islamismus, aber das scheint wirklich nicht der Fall zu sein. Aber insgesamt würde natürlich ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern wie auch ein Frieden zwischen Israel und Syrien, beide sind meines Erachtens machbar, die Lage insgesamt ein wenig beruhigen und den Bezug auf Israel ganz bestimmt, nur: Nicht so sehen das die meisten Israelis und schon gar nicht die israelische Regierung.
Hatting: Das war Avi Primor, er ist Präsident der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik und war bis Ende 99 Botschafter Israels in Deutschland. Herr Primor, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Primor: Gerne, Wiedersehen!
Hatting: Auf Wiedersehen!
Avi Primor: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Herr Primor, stellt man sich in Israel immer noch die Frage, warum der Westen Mubarak fallen gelassen hat?
Primor: Ja, weil man Ängste hat, weil man ein Gefühl von Beklommenheit hat. Mubarak war ein verlässlicher Partner und vor allem eine Stützung gegen Islamismus, gegen den Aufstieg des Islamismus, wie es – sagt man in Israel –, wie es im Iran 1979 geschah. Das konnte in Ägypten, so lange Mubarak Präsident ist, nicht geschehen, und das Gleiche sagt man über König Hussein in Jordanien. Und man meint, dass, wenn diese Stützung nicht mehr existieren sollte, dann könnte sogar der Frieden zwischen Ägypten und Israel zusammenbrechen.
Hatting: Mubarak hat in Israel einen verlässlichen Partner, haben sie gerade gesagt, aber darf man einen Despoten zum Freund haben, der foltern lässt und die Presse zensiert?
Primor: Ja, diese Frage kann man allen stellen. Auch die Amerikaner und auch der Westen hat ja so viele Partner in aller Welt, die nicht unbedingt Demokraten waren, die nicht auf Menschenrechte geachtet haben.
Die Frage ist: Was ist das nationale Interesse? Das auf jeden Fall ist eine Frage, die man sich in Israel stellt, weil Israel ja immer noch ein Land ist, das in Gefahr lebt, in Kriegszustand lebt, und das einzige Land auf Erden, das auch in seiner Existenz gefährdet wird, wenn Sie zum Beispiel den Ahmadinedschad, den iranischen Präsidenten, in Betracht ziehen, der uns jede Woche die Vernichtung verspricht. Also sehen Sie, was für ein Stimmung das schafft. Dass Mubarak kein Demokrat war und auch Menschenrechte nicht geachtet hat, ist ja klar.
Hatting: Die Angst vor dem Iran ist absolut nachvollziehbar, aber die Vorgänge in Ägypten zeigen ja, dass es bislang zumindest keine islamische Revolution ist, es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass die Moslembrüder zum Beispiel die Proteste unterwandern. Warum ist Israel trotzdem so skeptisch?
Primor: Also erstens weiß kein Mensch, was dahintersteht. Die Moslembrüder sind wahrscheinlich sehr schlau und vorsichtig und lassen die anderen die schmutzige Arbeit machen. Aber da sie die einzige organisierte Macht hinter der offiziellen Macht sind, werden sie wahrscheinlich, so fürchtet man in Israel, irgendwann, wenn das alles so zerbröckelt, die Macht übernehmen, wie es in Russland 1917 war: Nicht Kerenzki war der richtige Herrscher, ihn hatten die Kommunisten arbeiten lassen, und dann haben sie selber die Macht übernommen.
So war es auch teilweise im Iran, zunächst einmal haben die Islamisten die Bourgeoisie und die Liberalen die Macht übernehmen lassen, aber nicht in Wirklichkeit, das war nur scheinweise. Das fürchtet man. Ich sage es nicht, ich sage was anderes, darüber hinaus, ich sage: Weder Präsident Sadat noch Präsident Mubarak haben den Frieden mit Israel geschlossen und aufrecht erhalten nicht, weil sie in Israel verliebt waren, auch nicht König Hussein war in Israel verliebt, sondern weil das eine Notwendigkeit für Ägypten und für Jordanien ist.
Also ist das Staatsraison, und jede Bewegung, auch eine extremistische, ideologisch motivierte Bewegung, die an die Macht kommt, wird dann Staatsraison in Betracht ziehen müssen, und deshalb bin ich nicht sicher, dass ... selbst wenn die Islamisten die Macht übernehmen, was ich gar nicht für unbedingt notwendig oder unentbehrlich halte, bedeutet das noch nicht, dass der Frieden tatsächlich zerfallen wird.
Hatting: In der Tat, zumal ja auch sogar die Moslembrüder gesagt haben, selbst wenn sie an die Macht kämen, würden sie die Friedensverträge mit Israel respektieren.
Primor: Ja, nur man vertraut denen nicht, natürlich nicht, und mit Recht nicht. Sie haben Hass gegen Israel, sie betreiben eine Hasspropaganda gegen Israel und versprechen Israel die Vernichtung. Aber genau wie ich das über die Hamas in dem Gazastreifen sage: Es gibt Interessen. Wenn man einmal an die Macht kommt, wenn man ein Land zu regieren hat, eine Bevölkerung zu verwalten hat, dann sieht man die Dinge anders, und ich glaube, auch die werden dann erst echt verstehen, dass sie den Frieden mit Israel brauchen, genau wie Mubarak und Sadat es verstanden haben. Aber die Bevölkerung in Israel ist davon nicht überzeugt und lebt in Angst.
Hatting: Sie haben die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen angesprochen, die verhält sich bislang auffällig ruhig. Überrascht Sie das?
Primor: Ja, wissen Sie, sie verhalten sich ruhig, genau wie die moslemischen Brüder in Ägypten sich ruhig verhalten, und das Interessante ist, dass in allen Demonstrationen und Krawallen in Ägypten das Wort Israel kaum jemals gefallen ist. Die sprechen wirklich über interne Probleme, wirtschaftliche Probleme, Menschenrechte, Demokratie und so weiter, und nicht von Israel, was immer irgendwie ein schwarzer Peter war, den man erhoben hat, wenn es Schwierigkeiten gab. Diesmal nicht. Aber wer weiß, was danach kommt, das sagen die meisten Israelis.
Hatting: Blicken wir mal von Ägypten weg und auf die gesamte arabische Welt, die Proteste beschränken sich ja nicht nur auf Ägypten. Welche Auswirkungen haben die Ereignisse in Nordafrika auf den Friedensprozess mit den Palästinensern?
Primor: In Nordafrika hat es überhaupt keine Rolle gespielt, auch in der Vergangenheit nicht. Ich darf Sie daran erinnern, dass der erste arabische Staatspräsident, das erste arabische Staatsoberhaupt, das schon 1965 von der Anerkennung eines israelischen Staates gesprochen hat, war (…), der tunesische Präsident, und das hat in der Bevölkerung dort keine Turbulenzen erweckt.
Also in Nordafrika sehen die Dinge ganz anders aus, es sei denn, die Islamisten, sollten die an die Macht kommen, aber in Tunesien ist es offensichtlich nicht der Fall, obwohl man immer befürchtet hat und sagte, besser ein Polizeistaat von Ben Ali als Islamismus, aber das scheint wirklich nicht der Fall zu sein. Aber insgesamt würde natürlich ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern wie auch ein Frieden zwischen Israel und Syrien, beide sind meines Erachtens machbar, die Lage insgesamt ein wenig beruhigen und den Bezug auf Israel ganz bestimmt, nur: Nicht so sehen das die meisten Israelis und schon gar nicht die israelische Regierung.
Hatting: Das war Avi Primor, er ist Präsident der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik und war bis Ende 99 Botschafter Israels in Deutschland. Herr Primor, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Primor: Gerne, Wiedersehen!
Hatting: Auf Wiedersehen!