Ayaan Hirsi Ali: „Beute"

Düstere Spekulationen

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Die Umschlagabbildung Ayaan Hirsi Alis Buch "Beute. Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht" zeigt zwei Frauen, die Rücken an Rücken zueinander stehen, die eine trägt langes blondes Haar, Sonnenbrille und ein blau-weiß gestreiftes Kleid, die zweite eine schwarze Burka mit Kopftuch, so dass nur ihre Augen und die Stirn zu sehen sind.
Ayaan Hirsi Ali ist der Ansicht, dass muslimische Einwanderer Frauen in westlichen Ländern aus dem öffentlichen Leben verdrängen. © C. Bertelsmann Verlag / Deutschlandradio
Von Jasamin Ulfat-Seddiqzai |
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Die Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali behandelt in ihrem neuen Buch durchaus realistisch die Schwierigkeiten von jungen männlichen Geflüchteten, schließt daraus aber auf eine Einschränkung von westlichen Frauenrechten, die sie nicht belegen kann.
Sollte man Ayaan Hirsi Alis neues Buch "Beute" nach dem Einband bewerten? Das Cover, auf dem sich eine blonde Frau mit offenen Haaren und eine muslimische Frau in schwarzer Verschleierung den Rücken zudrehen, lässt keine Nuance zu. Der Untertitel "Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht" fasst die These der Autorin zusammen.
Es geht um die Flüchtlingskrise von 2015 und um Gewaltverbrechen gegen Frauen, begangen von jungen Geflüchteten. Auf 432 Seiten kommt die Autorin zu dem Schluss, dass muslimische Einwanderung den sozialen Frieden gefährdet und unterbunden werden muss.

Sexuelle Gewalt in Kriegen und Konflikten

Das ist nicht nuanciert, und dennoch ist es Hirsi Ali zumindest anfangs wichtig, Pauschalisierungen zu vermeiden. So beginnt sie ihre Recherche mit der Beschreibung von Vergewaltigung als gängigem Mittel männlicher Machtdurchsetzung, sei es im Zweiten Weltkrieg durch die Rote Armee, sei es durch serbische Milizionäre im Bosnien-Krieg. Sie beginnt mit einer sehr allgemeinen Feststellung: Egal aus welchem Teil der Welt sie kommen, mehr junge Männer führen zu mehr Sexualverbrechen.
Hirsi Ali beschreibt Fälle furchtbarer sexueller Gewalt, untermauert vieles mit Zahlen. Tatsächlich zeigt sie, dass junge männliche Geflüchtete ohne familiäre Bindungen und mit wenig Aussicht auf Erfolg beim Asylantrag anfälliger für kriminelles Verhalten sind. Dabei stützt sie sich auf die Forschungsergebnisse des Kriminologen Christian Pfeiffer.

Abschaffung des Asylrechts?

"Beute" besteht aber aus mehreren Teilen: Neben der erhöhten Anfälligkeit für kriminelles Verhalten unter jugendlichen Geflüchteten, möchte das Buch beweisen, dass sich Frauen deswegen seit 2015 stark aus dem öffentlichen Raum zurückziehen, dass die Politik diesen Zustand noch fördert, und dass die einzige Lösung die faktische Abschaffung des europäischen Asylrechts ist. Während der erste Teil des Buchs noch nachvollziehbar ist, driftet Hirsi Alis Argumentation danach mehr und mehr ins Absurde.
Die Zahlen, die beweisen sollen, dass Frauen sich seit 2015 weniger im öffentlichen Raum bewegen, stammen von einer Studie der Universität Stanford. Tatsächlich beweist die Studie, dass Frauen sich weltweit mehr zu Fuß bewegen, wenn Städte fußgängerfreundlich sind. Hier wie auch sonst gehen die Schlussfolgerungen der Autorin meist nicht aus den genannten Studien hervor. Sie erklärt darum, dass Wissenschaftler "versuchten, die Verbindung zwischen der Zunahme der Migration und der Zunahme von Sexualstraftaten zu widerlegen" indem sie absichtlich Daten ausließen.

Unterstellung von Manipulation im großen Stil

Auch der Politik unterstellt Hirsi Ali Manipulation. Zwar nennt sie kein Beispiel dafür, wie Frauenrechte aktiv eingeschränkt werden, trotzdem wirft sie europäischen Regierungen vor, Strategien einzusetzen, die "aus dem Drehbuch [von] Islamisten" stammen könnten. Generell hätten viele Akteure der Antirassismusarbeit kein Interesse daran, die Zahlen der Asylsuchenden zu verringern. Schließlich profitierten grüne und linke Politiker vom Zuzug der Migranten, weil diese sie als neues "Ersatzproletariat" wählen würden.
Hirsi Ali zitiert auch den Islamkritiker Hamed Abdel-Samad, der vermutet, dass viele ältere deutsche Frauen nur deshalb in der Flüchtlingshilfe tätig seien, um sich minderjährige Flüchtlinge zu Liebhabern zu nehmen. Auch andere Vorwürfe sind teilweise skurril.

Spekulative Zukunftsvision

So seien junge Muslime für die sinkenden Anmeldezahlen in Nudisten-Vereinen verantwortlich, weil Nacktheit für sie ein Tabu ist. Europäische Polizisten seien hingegen nicht daran gewöhnt, bei einer "Verkehrskontrolle eine Faust ins Gesicht zu bekommen", weil sie – anders als Muslime – in ihrer Kindheit nicht mehr geschlagen würden.
Hirsi Alis Zukunftsvision ist so düster wie spekulativ. Dass die Integration einiger junger Geflüchteter schwierig ist und das jetzige Asylrecht aufgrund der noch zu erwartenden Krisen erneuert werden muss, ist nicht neu. Belege aber dafür, dass Frauen aufgrund der Flüchtlingskrise den öffentlichen Raum nicht mehr ohne Begleitung betreten dürfen, bleibt Hirsi Ali schuldig.

Ayaan Hirsi Ali: "Beute. Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht"
Aus dem Englischen von Karsten Petersen und Werner Roller
C. Bertelsmann Verlag, München 2021
432 Seiten, 22 Euro

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