Unternehmen streichen Lehrstellen
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Fachkräftemangel hin oder her: Wegen der Coronakrise denken offenbar viele Betriebe darüber nach, ob sie weiterhin ausbilden wollen. Die Politik ist alarmiert und will gegensteuern: mit einem großen Maßnahmenpaket.
"Wir wurden zuerst für Arbeiten eingeteilt, die nicht in unserem Aufgabenbereich liegen, wie zum Beispiel Malen oder irgendwelche Sachen zusammenbauen, reparieren und solche Sachen, und danach wurden wir auch in Kurzarbeit geschickt", sagt Jan Thiessen.
Er macht eine Ausbildung als Koch, in einem Restaurant irgendwo in Norddeutschland. Der genaue Ort und auch sein richtiger Name sollen hier nicht genannt werden. Er und die anderen Azubis gingen mit dem Shutdown in Kurzarbeit. Und weil Azubis erst nach sechs Wochen in Kurzarbeit dürfen, hat er noch sechs Wochen gemalert und gebaut, bis er dann mit 60 Prozent seines ohnehin schmales Gehalts nach Hause geschickt wurde:
"Bisschen mehr als 400. Also deutlich weniger. Das reicht gerade so für die Miete und für drei, vier Tage des Monats, dann ist auch schon wieder Feierabend."
Jan Thiessen ist im dritten Lehrjahr – und seine Prüfungen stehen bevor. Durch den Shutdown hat er kaum Praxis in der Küche sammeln können – und nun, nachdem der Betrieb wieder anläuft, hat sein Arbeitgeber auch noch drei Gesellen gekündigt: erfahrene Kollegen, die den Azubis nun fehlen.
"Ich hab jetzt in zwei Wochen Prüfung, und mir fehlt auf jeden Fall noch einiges an Material. Und praktisch: Wir hatten jetzt zwei, drei Monate, wo nichts los war, darum konnten wir uns auch nicht auf die Prüfung vorbereiten. Und da auch nur wir als Azubis da waren und kein einziger Geselle da war, konnte der uns auch nichts zeigen."
Das Lehrstellenangebot schrumpft
Die Coronakrise trifft nicht nur Azubis hart, sondern auch junge Menschen, die eine Lehrstelle suchen. Viele, vor allem kleinere Betriebe, würden eigentlich genau zu dieser Zeit Ausbildungsverträge abschließen. Würden – denn oftmals überlegen sie es sich nun anders. DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl.
"Viele Jugendliche merken, dass die Betriebe zurückhaltender sind. Dass Bewerbungsgespräche abgesagt werden, dass Bewerbungsmappen zurückkommen mit dem Hinweis, wegen Covid-19 werden wir in diesem Jahr keine Auszubildenden einstellen. Und da ist eine große Unsicherheit insbesondere bei den Jugendlichen mit mittleren Schulabschlüssen, Hauptschulabschluss, weil die sich keine Alternative suchen können."
Abiturienten würden oft ein Studium anfangen, wenn sie keine Lehrstelle bekommen, sagt Matthias Anbuhl. Jugendlichen mit mittlerem Schulabschluss steht dieser Weg nicht offen. Ihre Aussichten haben sich durch die Coronakrise deutlich verschlechtert. Besonders in der Gastronomie, die unter den Corona-Maßnahmen besonders gelitten hat.
"Entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung kann es durchaus sein, dass das Ausbildungsstellenangebot vorrübergehend zurückgehen wird", sagt Gerrit Buchhorn vom Berliner Hotel- und Gaststättenverband. "Bewerber haben es dann möglicherweise auch schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden."
Besorgniserregende Ergebnisse einer Betriebsumfrage
Denn manch ein Betrieb zögere nun mit der Einstellung von Auszubildenden:
"Wir haben ein Feedback bekommen von einigen Betrieben, die uns gesagt haben, sie versuchen natürlich, die bereits abgeschlossenen Ausbildungsverträge einzuhalten. Und wenn es jetzt zum Sommer nicht ist, dann kann es auch zu einer Verschiebung in dem einen oder anderen Betrieb kommen auf Februar. Aber natürlich, aufgrund der wirtschaftlichen Situation warten auch viele Betriebe ab, ob sie dann noch zusätzliche Ausbildungsplätze letztendlich besetzen."
Einige Industrie- und Handelskammern in Deutschland haben bei den Ausbildungsbetrieben nachgefragt – die Ergebnisse unterscheiden sich zwar regional, sind aber insgesamt besorgniserregend, sagt DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl:
"In Bonn-Rhein-Sieg zum Beispiel haben 38 Prozent der Ausbildungsbetriebe in der Industrie- und Handelskammer gesagt, wir könnten unser Ausbildungsengagement einstellen oder reduzieren. Das heißt, im Moment gibt es starke Anzeichen dafür, dass es zu einem Rückgang von Ausbildungsbetrieben und auch Ausbildungsplätzen kommt, aber es ist noch Zeit gegenzusteuern."
Mit einem Maßnahmenpaket gegensteuern
Jahrelang konnten längst nicht alle offenen Ausbildungsplätze besetzt werden, es gab mehr Lehrstellen als Bewerber. Kehrt sich dieser Trend nun um?
"Wir hatten schon vor der Coronakrise einen gespaltenen Ausbildungsmarkt", sagt der Bildungsexperte. "Auf der einen Seite gab es in der Tat eine wachsende Zahl von unbesetzten Ausbildungsplätzen, 53.000 waren das im letzten Jahr, auf der anderen Seite war das bei den Jugendlichen so, dass man sagen kann: Ihre Ausbildungschancen hingen davon ab: Von ihrem Schulabschluss, ob die Eltern Einwanderer waren und von ihrem Wohnort auch … Das heißt, ich fürchte, dass diese Jugendliche zu den Verlierern der Coronakrise zählen könnten – wenn wir jetzt nicht gegensteuern."
Gegensteuern wollen nun Politik, Unternehmen und Gewerkschaften – mit einem Ende Mai vereinbarten Maßnahmenpaket. Darin enthalten: eine Übernahmeprämie für Azubis aus insolventen Betrieben und eine Förderung dafür, dass Ausbilder und Azubis nicht in Kurzarbeit geschickt werden;
"Das ist ein interessanter Ansatz, wir werden sehen, wie er wirkt."
Azubis sind Investitionen in die Zukunft
Das "Jungbluth" in Berlin-Steglitz ist ein kleines, aber feines Restaurant, das im Michelin-Gastroführer erwähnt wird. Jedes Jahr fängt hier ein Azubi an. Während des Lockdowns musste auch das Jungbluth seine Azubis in den Zwangsurlaub schicken. Inhaber und Koch Andre Sawahn hat sie aber voll weiterbezahlt.
"Natürlich haben die zu Hause gelernt und ihre Skripte durchgearbeitet …ich hab hier und da mal nachgefragt, ob sie auch zu Hause für Freunde und Bekannte kochen, und da hat sich wirklich was getan. Also die haben dann auch die Zeit genutzt und viel zuhause gekocht."
Auch für Sawahn und seinen Kompagnon bedeutet der Lockdown einen massiven Einnahmeausfall. Dass er weiter ausbildet, stand aber nie in Frage.
"Unbedingt, ja. Wir machen da weiter! So lange wir offen haben und unser Laden läuft, werden wir ausbilden!"
Auszubildende binden Ressourcen, wenn man sie gut ausbildet – und nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht. Für André Sawahn eine Investition in die Zukunft seines Betriebs
"Wir legen sehr viel drauf. Finanziell und auch Zeit und Nerven. Und dann, wenn es richtig schön ist, wenn die Azubis gesehen haben, wie das Kochen läuft, wenn sie verantwortungsvoller arbeiten könnten, sind sie eigentlich an dem Punkt, wo sie den Betrieb wechseln würden, ja? Trotzdem hält uns das nicht davon ab, weiter auszubilden, weil es einen selber auch im Geiste ein bisschen jung hält, Weil man ja auch die Dinge erklären muss und immer wieder auch seine Arbeit hinterfragen kann."