Weites Land, enge Straße
Die B96 ist eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen im nördlichen Brandenburg. Zugleich ist sie extrem stauanfällig. Wirtschaftsverbände fordern deshalb den Ausbau. Der könnte Anwohnern und Gemeinden aber auch Nachteile bringen.
Unterwegs mit Marten Belling von der Industrie- und Handelskammer zu Neubrandenburg auf der rund 20 Kilometer langen, von Alleebäumen bestandenen Strecke mit vielen Ortsdurchfahrten, unübersichtlichen Kuppen und engen Kurven.
"Jetzt sind wir hier auf der B 96 zwischen Neubrandenburg und Neustrelitz, der großräumigen Straßenverbindung des Oberzentrums Neubrandenburg mit der Metropolregion Berlin/Brandenburg. Und nachdem man den vierspurigen Ausbau in Neubrandenburg verlässt, kommt man wieder auf eine typische Landstraße."
Wie an anderen Abschnitten der B 96 zwischen Berlin und Rügen herrscht auch hier kein Mangel an LKW, Bussen und Traktoren, wohl aber an Überholmöglichkeiten. Das steigert die Gefahr riskanter Manöver und Unfälle, die dann gleich den gesamten Folgeverkehr für Stunden lahmlegen können. Es gibt nämlich keine halbwegs naheliegende Nord-Süd-Ausweichroute.
Marten Belling zeigt nun auf zunächst auffällige, aber zahlreich vorhandene Verkehrsbremsen:
"Also wir haben gerade hinter Neubrandenburg relativ viele Einzelhöfe, die dann ihre Zufahrten immer direkt auf die B 96 haben. Das sind natürlich immer schon Situationen, gerade wenn hier in der Dämmerung die Leute auch rausfahren oder auf ihre Höfe fahren, da kommt schon der ganze Verkehr mal ins Stocken bzw. man muss aufpassen, dass man niemandem hinten rauffährt.
Das nächste Thema sind natürlich hier auch die Geschwindigkeitsreduzierungen. Wir haben auf weiten Abschnitten tatsächlich Tempo 70. Vor allem im Bereich der Knotenpunkte, teilweise aber auch in engeren Kurven. Das nimmt dann nachher Richtung Neustrelitz deutlich zu."
Ausbau auf drei Spuren würde helfen
Und dann zuckelt der Verkehr vor allem morgens, abends und in der Sommerurlaubssaison noch langsamer voran. Überholen kaum möglich, zumal viele LKW unterwegs sind. Die Gertner-Spedition zum Beispiel liefert Güter von Neubrandenburg über Oranienburg bis nach Bayern und Baden-Württemberg.
Um auf die A 9 zu kommen, fahren seine Laster stets über die B 96 und nicht den weiten Bogen über die A 20 und A 11. Laut Geschäftsführer Lutz Osterland keine Maut-Flucht, sondern eine wirtschaftlich gebotene Vermeidung von höherem Spritverbrauch, noch mehr Abgasen und Zeitverlust:
"Es gibt ja gar keine alternative Strecke weg, wenn wir in Richtung A 9 oder Richtung Nürnberg/München wollen. Es gibt nur eine Straße, die B 96, die gefahren werden muss."
Allerdings kämpfe auch er seit Jahren für einen gemäßigten Ausbau der engen, zweispurigen B 96. Zu zahlreich und folgenschwer die dortigen Staurisiken:
"Also, das ist schon ein Riesenproblem, und das kann Sie tagtäglich ereilen. Und dahinter steht immer ein Kunde. Ob als Versender oder als Empfänger. Stress kriegen Sie mit beiden in der Regel. Also das können Sie nicht mehr planen, nicht mehr machbar. Und deswegen, denke ich, ist so ein Ausbau schon absolut notwendig. Und zwar auch in der Art und Form, wie er jetzt vorgesehen ist.
Ich kann mich erinnern an einen Jahresempfang, den wir in Neubrandenburg hatten in der IHK, wo als Vorsitzender des Arbeitskreises auch gesagt habe: 'Leute, nun kommt doch mal endlich vom vierspurigen Ausbau runter! Was soll dieser Blödsinn? Wir wollen doch wirtschaftlich keinen Unfug machen.' Aber dreispurig oder mit Überholspuren, wie es in anderen Bundesländern auch vorgemacht wird, würde ja schon helfen ohne Ende."
Die Bundesstraße 96 solle keine Rennstrecke Berlin-Ostsee werden, wohl aber als die kürzeste und wichtigste Straßenverbindung, den Verkehr schneller fließen lassen. Das betonen diverse Wirtschaftsverbände von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg und kämpfen schon lange für einen konzertierten Vorstoß ihrer Landesregierungen.
Seit vorigem Jahr steht der B-96-Ausbau mit Dringlichkeit im Bundesverkehrswegeplan. Erste Planfeststellungsverfahren laufen, Grundstücksverhandlungen, Bürgerversammlungen.
Problematisch für Anlieger: Damit sie nicht mehr den Verkehr blockieren, weil sie von der B 96 aus auf ihr Gehöft biegen, sollen alle direkt angrenzenden Grundstücke von hinten mit parallel geführten Straßen erschlossen werden. Andere finden es unverhältnismäßig, allein für einen Zeitgewinn von nur fünf Minuten zwischen Neubrandenburg und Neustrelitz 100 Millionen Euro zu verbauen.
Wer denkt an den Eisvogel?
Ihr Verband wiederum kritisiere geplante Ortsumgehungen, die durch ein Europäisches Vogelschutzgebiet führen würden, sagt Katharina Brückmann vom Bund für Natur und Umweltschutz M-V:
"Mit Schwarzstorch, mit Neuntöter, mit Eisvogel, mit Rot- und Schwarzmilan. Wir haben die Kraniche und natürlich ganz viele Enten und Gänse hier. Die werden alle betroffen sein. Und ganz besonders und schwer betroffen auch Adler. Wir haben hier den See- und den Fischadler. Und da meint man, mit der Verlegung von Horsten ist der Natur Genüge getan. So geht das nicht. Man kann sich die Natur nicht backen, wie man sie haben möchte."
Dieser Einwand kommt Gemeinden wie Blumenholz zupass, gelegen an der B 96 zwischen Neustrelitz und Neubrandenburg. Sie wären ziemlich abgehängt, weil der geplante Streckenverlauf nur noch zwei Kreuzungen für eine Auf- oder Abfahrt vorsehe, sagt Bürgermeister Gerd Schock.
"Der Schülertransport: Die fahren dann Achten nach dieser Lösung. Wie lange sie wirklich brauchen, hat noch keiner ausgerechnet. Die Rettungsfahrzeuge fahren länger, bis sie vor Ort sind. Die Feuerwehr hat Probleme. Wenn die Lösung so kommt, hat auch die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft Probleme, weil die Zufahrten eingeschränkt werden."
Alles verständlich, meint der Transportunternehmer Lutz Osterland, fügt aber gerade mit Blick auf die Landbevölkerung hinzu:
"Wir müssen an irgendeiner Stelle sagen, was wir wollen. Wenn ich jeden Tag ins Internet gehe und bei Zalando, Amazon oder weiß ich was bestelle und meine Ware innerhalb von 24 Stunden haben will und gleichzeitig sage: 'Baut mir bitte meine Straßen nicht aus!', dann muss man mal sagen, wie es funktionieren soll. Und wenn wir diese Qualität haben wollen, kurze Lieferfristen auch in der Industrie, muss man dazu sagen, dann müssen wir auch die Voraussetzungen in der Infrastruktur schaffen. Und das machen wir nicht."