Bachmannpreis 2023
Valeria Gordeev hat den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Die aus Tübingen stammende Autorin setzte sich bei dem Literatur-Wettlesen gegen 11 Mitbewerber durch. © Gerd Eggenberger / APA / dpa
Das sind die Gewinner der „Castingshow der Literatur“
Der Ingeborg-Bachmann-Preis 2023 geht an Valeria Gordeev. Zuvor hatten zwölf Autoren drei Tage ihre Texte vorgetragen, die live von der Jury kommentiert wurden. Worum geht es bei dieser "Castingshow der Literatur" und wer sind die weiteren Sieger?
Vom 28. Juni bis zum 2. Juli wurde in Klagenfurt wieder um die Wette gelesen, bei den 47. Tagen der deutschsprachigen Literatur. Zwölf Autorinnen und Autoren hatten jeweils maximal 25 Minuten Zeit, um unveröffentlichte Texte vorzutragen. Anschließend diskutierte die siebenköpfige Jury über die Texte.
Valeria Gordeev hat dabei den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Die aus Tübingen stammende Autorin setzte sich mit dem Text "Er putzt" durch. Die Jury-Vorsitzende Insa Wilke lobte den Text als „Plädoyer für die Empfindlichkeit“.
Den Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro) gewann die Schriftstellerin und Psychologin Anna Felnhofer mit ihrem Text "Fische fangen".
Der mit 10.000 Euro dotierte KELAG-Preis ging an Martin Piekar, der auch den BKS-Publikumspreis gewann. In seinem Text geht es um seine verstorbene Mutter.
Der 3sat-Preis (7.500 Euro) ging an Laura Leupi für ihren Text "Das Alphabet der sexualisierten Gewalt".
Zum ersten Mal wurden die Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Preises auch mit einer neu kreierten Skulptur ausgezeichnet. Geschaffen wurde die Plastik von dem Bildhauer Helmut Machhammer. Sie bekam den Spitznamen "Inge".
Die traditionelle "Rede zur Literatur" hielt dieses Jahr die Ukrainerin Tanja Maljartschuk, die seit 2011 in Wien lebt und 2018 den Bachmannpreis gewann. Der Titel ihrer Rede: "Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf". Maljartschuk sprach als "gebrochene, ehemalige Autorin", wie sie sich selbst bezeichnet: Den Roman, an dem sie schrieb, brach sie ab, als Russland in ihr Heimatland einmarschierte.
Was ist das Besondere am Bachmann-Wettbewerb?
Die Nominierten müssen bisher unveröffentlichte Texte vor Publikum und der Jury vorlesen. Es geht also durchaus auch ums Performen - und dann um direkte, sofortige Kritik. Dafür bekommt die Jury ebenso viel Zeit wie die Autoren zuvor für ihren Vortrag: nämlich 25 Minuten. Das Ganze läuft also ein wenig wie eine Castingshow ab.
"Das Besondere in Klagenfurt ist, die Jury-Diskussion zu beobachten", sagt Deutschlandfunk Literaturredakteurin Miriam Zeh. Es ist keine Hinterzimmer-Entscheidung, wer den Preis bekommt. Stattdessen müssen die Jurorinnen und Juroren vor dem Publikum im Saal, TV und Radio offenbaren, was sie unter einem guten Text verstehen.
Deswegen ist Klagenfurt auch der Ort für Entdeckungen und ein guter Gradmesser für neue Stimmen. Denn längst etablierte Schriftsteller treten hier eher nicht an. Schließlich sieht es nicht so gut aus, wenn sie dann leer ausgehen. Die Diskussion der Jury ist meist ziemlich unterhaltsam - und für die Autorinnen und Autoren nicht immer angenehm. "Aber die Diskussion ist weniger polemisch geworden", sagt Zeh. "Auch die Art der Kritik hat sich verändert."
Wer nahm 2023 am Wettbewerb teil?
Sechs Frauen und sechs Männer waren diesmal dabei, nachdem zwei Nominierte kurzfristig abgesagt haben. Die beste Vorstellung der zwölf Autoren und Autorinnen hat der ORF auf seiner Seite zum Bachmannpreis. Dort findet man ausführliche Biografien und zum Teil eigenwillig gestaltete Videos der Lesenden. Im Laufe des Wettbewerbs wurden auch die gelesenen Texte vom übertragenden ORF online gestellt - und die Aufzeichnungen der Lesungen und Jury-Diskussionen.
Wie fühlt sich öffentliche Literaturkritik an?
Der Berliner Schriftsteller Andreas Stichmann war 2012 zum ersten Mal in Klagenfurt dabei. Nun fuhr er wieder hin - und musste sich anhören, wie die Jurorinnen und Juroren seinen Text besprachen. Für ihn gilt dabei: Sich bloß nichts anmerken lassen. "Man muss halt dasitzen und sozusagen nach innen verschwinden, einfach einen friedlichen Gesichtsausdruck machen, das fällt mir eigentlich relativ leicht." Es komme darauf an, sich mit dem Text "wohl zu fühlen", dann sei man auch entspannt.
Andere Teilnehmer auf dem "heißen Stuhl" haben ganz anders reagiert. Wie etwa die Leipzigerin Heike Geißler, die 2021 eine Debatte über Kriterien der Literaturkritik auslöste, nachdem sie sich beim Bachmann-Wettbewerb von der Jury ungerecht behandelt fühlte. Die Diskussion sei unfair und gar nicht auf den Text bezogen gewesen, was das Mindeste sei, sagte sie in Deutschlandfunk Kultur. "Das Kritisieren wurde verweigert." Es sei aber sehr abenteuerlich gewesen, bei diesem Wettbewerb dabei zu sein: "Ich mag die Jury-Diskussionen, auch wenn sie außer Rand und Band geraten."
Was hat sich in der Jury geändert?
Neu waren die Autorin und Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal, die 2021 mit "Identitti" auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, und der Germanist und Literaturkritiker Thomas Strässle. Weiterhin dabei waren die Juryvorsitzende Insa Wilke und Mara Delius, Klaus Kastberger, Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler. Nicht mehr dabei waren (auf eigenen Wunsch) Vea Kaiser und Michael Wiederstein. Über die neuen Jury-Mitglieder sagt Miriam Zeh: "Auch oder gerade die differenzierenden, vielleicht auch mal zugewandten Diskussionen lassen den Wettbewerb gewinnen. Ich habe Mithu Sanyal und Thomas Strässle als kluge, abwägende Personen und Medienprofis im Ohr und freue mich darauf, denen beim Nachdenken zuzuhören."
Wie entscheidet die Jury über die Preise?
Seit 2022 werden der Bachmann-Preis und die weiteren Auszeichnungen über ein Punktesystem vergeben, das an die Stelle einer Mehrheitsentscheidung der siebenköpfigen Jury nach interner Diskussion trat. Jedes Jurymitglied kann fünf, vier, drei, zwei und einen Punkt an vorgetragene Texte vergeben. Der Justiziar übernimmt die Aufgabe, diese Abstimmungsergebnisse zu addieren, und erstellt daraus die Preisträgerliste des Wettbewerbs. Bis zur öffentlichen Schlusssitzung ist das Ergebnis auch der Jury nicht bekannt, nur der Justiziar hat die Liste der ausgezeichneten Menschen.
Der Berliner Romanautor und Verleger Tom Müller stört sich an dieser Punktevergabe. Sie erscheint ihm als Symbol für einen zunehmenden Funktionalisierungsdruck in der Kunst: "Wenn die Worte der Diskussion zum Nachgeplänkel gegenüber der in Punkten bezifferten Entscheidung degradiert werden, dann wird auch das Ringen um Ausdruck zweitrangig." Der Wettbewerb stelle sich damit selbst infrage, kritisiert Müller: "Denn worum sonst sollte es gehen, wenn nicht um dieses Ringen?"
Die Bewertung eines Kunstwerks müsse unter immer größerem Zeitdruck geschehen, weshalb die notwendigen Prozesse der Auseinandersetzung und des Auf-Sich-Wirkenlassens stark reduziert würden, argumentiert Tom Müller. "Für das Urteil braucht es schnell verfügbare externe Kriterien, wie zum Beispiel das Maß des politischen Engagements des Werks oder der Künstler:innen." Damit werde das Ureigene und Subjektive der Kunst in den Hintergrund gedrängt.
Quellen: Miriam Zeh, ORF, scr