Fehlender Nachwuchs im Handwerk

Eine Backstube zum Reinschauen

05:36 Minuten
Der Bäcker Michael Köser  in seiner „køniglichen Backstube" in Berlin-Neukölln.
Michael Köser setzt in seiner Bäckerei auf ein neues Konzept, um für Kunden und Mitarbeitende attraktiver zu sein. So öffnet sein Geschäft z.B. erst um 8.30 Uhr. © Deutschlandfunk Kultur / Shahrzad Golab
Von Shahrzad Golab  · 18.07.2022
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Die Backbranche neu denken, dazu faire Arbeitsbedingungen - das wünscht sich der Bäckermeister Michael Köser. Deshalb gibt es in seinem eigenen Betrieb bereits einen anderen Dienstplan und das Angebot "Kunst gegen Brot".
Um zwei Uhr nachts in der Backstube stehen, damit früh morgens die Brötchen ausliegen: Alltag für die meisten Bäckereien in Deutschland. Sie kommen meist nicht ohne die Nachtarbeit aus.
Attraktiv ist das nicht. Seit Jahren beklagt die deutsche Backbranche fehlenden Nachwuchs. Der Bäcker Michael Köser hat vor sechs Jahren beschlossen hat, alles anders zu machen.

Abschied von der Nachtarbeit

6.15 Uhr morgens in Berlin-Neukölln. Erst jetzt heizt Michael Köser die Öfen in seiner „køniglichen Backstube“ vor. Dass bei den übrigen Bäckereien im Kiez bereits seit zwei Uhr nachts das Licht brennt, ist ihm herzlichst egal. Über 30 Jahre lang hat der leidenschaftliche Bäcker die branchenübliche Nachtarbeit mitgemacht – bis sein Körper ihm einen Strich durch die Rechnung macht.
"Erst war es so, dass man nach dem Schichtwechsel anfängt, den ganzen Tag zu pennen. Und das nicht richtig", erzählt Michael. "Man ist immer ein bisschen neben der Spur. Dann wurde es einfach auch immer heftiger mit dem Körper, als ob ich so einen Leistenbruch hätte."
Für den Bäcker war dann klar, dass sich etwas ändern musste.

„Von der Hand in den Mund – wenn Arbeit kaum zum Leben reicht" - unter diesem Titel beschäftigen wir uns in diesem Jahr in unseren Programmen mit der Lage der Arbeitswelt. Hier können Sie die Beiträge hören und lesen.

Ein Karrierewechsel steht für Michael aber nicht zur Debatte. Dafür liebt er sein Handwerk zu sehr und backt schon sein ganzes Leben.
Er zeigt auf die Wand neben sich: ein kleines Schwarz-Weiß-Foto aus seiner Lehrlingszeit. Mit 16 Jahren stand Michael das erste Mal am Ofen - damals noch in der Backstube seines Opas im Bergischen Land.

"Kein Bock auf unsoziales Leben"

Während er von seinen Lehrjahren erzählt, mehlt Michael die Arbeitsfläche ein. Von seiner eigenen Backstube hatte er damals noch nicht geträumt. Den Schritt macht er – notgedrungen – erst mit 50 Jahren. Michaels Konzept: regionale Zutaten, eine entspannte Arbeitsatmosphäre und natürlich keine Nachtarbeit. Nicht nur für sich und seine Gesundheit, sondern auch für den Nachwuchs: Der fehlt in der Bäckerbranche nämlich dringend.
"Mit der Nachtarbeit merke ich gerade bei den jungen Leuten, dass es total wichtig ist, wenn man sich einen Beruf anguckt - die haben einfach keinen Bock mehr auf unsoziales Leben", sagt Michael.
In der Rangliste der unbesetzten Ausbildungsstellen liegt der Bäckerberuf weit vorne. Die Zahl der Neu-Auszubildenden ist in den letzten zwanzig Jahren drastisch gesunken, von rund 7000 auf rund 5000.
Ein Problem, mit dem Michael in Berlin-Neukölln nicht zu kämpfen hat. Das Interesse an seiner Backstube, die so einiges anders macht, ist groß.
Trotzdem bedauert er wie viele andere Bäcker den Mangel an motivierten jungen Menschen. Denn weniger Nachwuchs, heißt in Zukunft auch weniger richtige Handwerksbäckereien. Ein Trend in die falsche Richtung, wie Michael findet: "Im Handwerklichen sind wir eher dümmer geworden, als dass wir schlauer geworden sind", sagt er.

Kinder staunen über die offene Backstube

Inzwischen ist es 13 Uhr geworden in Neukölln. In der Schlange vor Michaels Backstube stehen ein junger Mann und zwei Familien. Kindernasen drücken sich an die Plexiglasscheibe vor der Arbeitsfläche. Sie schauen gebannt zu, wie der Bäcker den Teig wiegt und formt.
Wer den Fuß in Michaels Backstube setzt, sieht nicht nur die Regale voller Brot und die Vitrine mit frischen Zimtschnecken, sondern auch alles, was dahintersteckt: Die schweren Mehlsäcke, den warmen Ofen und die großen Backbleche versteckt er nicht, ganz im Gegenteil. Zu Michaels Konzept gehört die offene Backstube zum Reinschauen.
"Das ist natürlich für Kinder total entspannend", sagt Michael. Er hofft darauf, dass diese Erfahrung in der Backstube vielleicht auch wieder mehr Interesse am Bäckerberuf weckt und für Nachschub sorgt. "Weil die merken: Es riecht gut, es macht Spaß, zuzugucken, und die sind auch nicht so hektisch."

Kunst gegen Brot

Von brotloser Kunst will Michael nichts wissen und hat eigens eine Kunstwand geschaffen. Dort können Künstlerinnen und Künstler ihre Werke und Installationen ausstellen. Im Gegenzug für ihre Kunst bekommen sie täglich Brot.
Der Deal kommt in der Berliner Kunstszene gut an. Michaels unkonventionelle Backstube hat sich herumgesprochen. Immer wieder melden sich interessierte Bäcker bei ihm und fragen nach seinem Erfolgsrezept - den Businessplan gibt er ihnen gerne weiter. Michaels Konzept soll für alle zugänglich sein.

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