Laura Backes und Margherita Bettoni: "Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen"
DVA, München, 2021
208 Seiten, 20 Euro
"Dann hat er versucht, mich umzubringen"
05:51 Minuten
Statistisch gesehen versucht jeden Tag ein Mann in Deutschland, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu ermorden. Jeden dritten Tag gelingt ein solcher Mord. Laura Backes und Margherita Bettoni haben ein erschütterndes Buch über diese Femizide geschrieben.
Der Begriff "Femizid", so schreiben Laura Backes und Margherita Bettoni, ist eine direkte Übersetzung des englischen Begriffs "femicide", der auf die südafrikanische Soziologin Diana Russell zurückgeht. Russell gebrauchte die Bezeichnung schon in den 1970er-Jahren. Mit diesem Begriff sollte "Aufmerksamkeit für all die Verbrechen geschaffen werden, die Frauen weltweit erleiden müssen".
Russell sprach von femicide, von "Mord an Frauen, weil sie Frauen sind". Russell habe damit eine Alternative zum geschlechtsneutralen Wort homicide, Mord, gesucht, um zu betonen, dass bei Femiziden das weibliche Geschlecht der Opfer zentral ist. In dagegen Deutschland habe sich der Begriff bis heute kaum durchgesetzt: "Erst seit 2020 steht er im Duden – immerhin ein kleiner Fortschritt."
Frauen als "Eigentum"
Der Begriff soll verdeutlichen: Es geht bei diesen Taten nicht um persönliche Streitigkeiten, die eskalieren. Es geht um ein strukturelles Problem, um Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, um Hierarchien, die dazu führen, dass Frauen von ihren Partnern, Expartnern oder Familienangehörigen ermordet werden. Oft, weil diese der Auffassung sind, die Frau sei ihr "Eigentum" und habe sich dementsprechend zu verhalten.
Zwar töteten auch Frauen ihre Partner, allerdings seltener und aus anderen Motiven, meist um sich aus einer gewaltsamen Beziehung zu befreien, schreiben die Autorinnen. Auf nicht-heterosexuelle Paare geht das Buch leider nicht ein, auch wenn das in diesem Zusammenhang sicherlich interessant wäre.
In Argentinien ist "Femizid" ein eigener Straftatbestand
Abgesehen davon zeigt das Buch in seinen sieben thematisch abgetrennten Kapiteln aber eine Reihe von Aspekten auf, die im Zusammenhang mit Femiziden von Relevanz sind und die die Thematik umfassend einordnen. Es geht unter anderem um verharmlosende Begriffe wie "Beziehungsdrama", mit denen über Femizide berichtet wird, um Präventionsarbeit, die verhindern kann, dass Männer zu Tätern werden oder um Rechtssprechung: Hat sich die Frau vor der Tat von ihrem zukünftigen Mörder getrennt, kann das unter Umständen sogar als mildernder Umstand ausgelegt werden.
Die Autorinnen blicken auch in andere Länder, nach Argentinien etwa, wo "Femizid" ein eigener Straftatbestand ist und die Thematik öffentlich und breit diskutiert wird. Oder nach Frankreich, das nach Demonstrationen in den vergangenen Jahren Deutschland zumindest einen kleinen Schritt voraus ist und einen runden Tisch zum Thema eingerichtet hat.
Und die Autorinnen geben, soweit überhaupt vorhanden, Zahlen, Statistiken und nennen Studien, die sich weltweit mit Femiziden beschäftigen, und belegen, dass es sich um ein globales Problem handelt.
Schwer zu ertragende Zeugenaussagen
Unterbrochen sind die Theoriekapitel von sogenannten "Protokollen" – eindrucksvollen Schilderungen von Frauen, die einen Mordversuch ihres Partners oder Expartners überlebt haben. Das Buch beginnt mit einer entsprechenden Triggerwarnung.
Stefanie K. beispielsweise erzählt von ihrer Aussage vor Gericht:
"Gegen 13 Uhr betrat ich den Saal und sah Christian da neben seinem Anwalt sitzen. Er trug Fußfesseln. Zum Glück war eine Frau, die auf Prozessbegleitung spezialisiert ist, an meiner Seite. Im Zeugenstand saß sie direkt neben mir und redete mir immer wieder gut zu. Der Richter bat mich zu berichten, was am Abend des 1. März 2020 passiert ist. Es sagte: ‚Da müssen wir jetzt durch.‘ Ich stockte, holte tief Luft, dann erzählte ich, wie Christian versucht hatte, mich umzubringen."
Die detaillierten Erzählungen der Frauen sind schwer zu ertragen. Sie erzählen von Gewalt, auch schon vor dem Moderversuch, von Hilflosigkeit, von Angst. Behörden, Polizei oder Jugendämter haben in vielen Fällen die Gefahr nicht erkannt. Und auch, damit sich das ändere, so die Autorinnen, sei es wichtig, die Fälle so erschreckend ausführlich nachzuerzählen.
Kontrollverhalten geht der Tat voran
Die britische Kriminologin Jane Monckton-Smith hat in einer Studie einige hunderte Femizide untersucht und Gemeinsamkeiten herausgestellt, das Buch zitiert aus einem Interview:
"Mich hat schockiert zu sehen, wie gezielt die Täter vorgegangen sind. Allzu oft werden Femizide als spontan interpretiert, als sogenanntes Verbrechen aus Leidenschaft. Meine Forschung hat das Gegenteil gezeigt: In der Mehrheit der Fälle wurde mit erheblichem Aufwand reflektiert, geplant und entschlossen gehandelt."
Die Kriminologin hat auch ein Stufenmodell entwickelt, das den typischen Beziehungsverlauf vor einem Femizid beschreibt. Dabei hat sie herausgefunden, dass nicht nur vorangegangene Gewalt ein Indikator sein kann, sondern vor allem kontrollierendes Verhalten des Täters.
Gewalt gegen Frauen als strukturelle Gefahr
Das Buch nennt weitere Risikofaktoren. Männer, die in besonders patriarchal geprägten Familien aufgewachsen sind, etwa, neigen eher zu Gewalt gegen Frauen. Oder auch solche, die in der Kindheit selbst Gewalt erfahren haben. Die Autorinnen warnen aber davor, dies nur auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu beziehen: Gewalt gegen Frauen und Femizide sind strukturell und können uns somit alle treffen. Das zeigt das Buch auf sehr eindringliche Weite.
Und es zeigt, wie viel es noch zu tun gibt: wie wichtig Prävention ist, genügend Frauenhäuser etwa oder Anti-Gewalt-Trainings, wie wichtig neue Geschlechterbilder in dem Zusammenhang sind.
Und zuletzt zeigt das Buch, dass wir das Problem zunächst einmal erkennen und benennen müssen: Alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Expartner ermordet.