Habseligkeiten von NS-Opfern nun digital abrufbar
Habseligkeiten von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen, Verschleppten. Es gibt sie noch en masse. Gesammelt werden sie beim Internationalen Suchdienst im hessischen Bad Arolsen. Teile des Archivs können nun online eingesehen werden. Einige Gegenstände konnten bereits an Angehörige zurückgegeben werden.
Vor dem Eingang des Gebäudes des "Internationalen Suchdienstes" im nordhessischen Bad Arolsen weht die Fahne der UNESCO. Denn seit 2013 sind die Originalmaterialien des Archivs Weltdokumentenerbe. Die gebürtige Französin Floriane Hohenberg – eine Menschenrechtsexpertin und ehemalige Managerin der OSZE – ist seit Jahresbeginn die neue Leiterin der Einrichtung:
"Der internationale Suchdienst besitzt ein einzigartiges Archiv – über 30 Millionen Dokumente, die das Schicksal von Individuen beschreiben und bezeugen. Individuen, die im Zweiten Weltkrieg entweder als Zwangsarbeiter eingesetzt worden sind oder deportiert worden sind. Und auch Leute, die nach dem Krieg verschleppt worden sind."
Es ist die größte Sammlung von Dokumenten zur NS-Verfolgung weltweit. Das betont auch der Archivleiter Christian Groh. Er hat jetzt mit seinem Team damit begonnen, das Archiv online zu stellen. Die ersten 50.000 Dokumente sind nun im Internet abrufbar. Dazu gehört auch das, was KZ-Häftlingen in Dachau und Neuengamme abgenommen haben und was in der sogenannten Effektenkammer aufbewahrt wurde.
Christian Groh: "Neben den Effekten, die ein sehr untypischer Archivbestand sind, weil es eben Gegenstände sind, keine Dokumente, und zweitens auch untypisch, weil wir beabsichtigen sie zurückzugeben an die Angehörigen der ehemaligen Besitzer. Zwei andere Bestände: zu den Todesmärschen. Das sind Umfragen gewesen, die die Alliierten in den Besetzungszonen gemacht haben, ob Todesmärsche – also Evakuierungsmärsche aus KZs – durch die Gemeinden geführt worden sind. Und die Bürgermeister haben darauf geantwortet. Das ist der zweite Bestand, den wir in einer Karte darstellen. Also, sie haben verschiedene Such-Möglichkeiten, sie können nach einem Ort suchen alphabetisch oder sie können sich auch direkt auf eine Karte begeben und sehen die Dokumente dort, die diesen Ort betreffen."
Auch Materialien des Kindersuchdienstes im Netz zu finden
Der vorerst dritte Bestand, der online gestellt wurde, sind Materialien des sogenannten Kindersuchdienstes. Dieser Dienst sollte verschollene Kinder und überlebende Eltern zusammenbringen. Noch heute gelingt es dem Archiv in Arolsen in Einzelfällen, solche Familienzusammenführungen zu ermöglichen. Nach 70 Jahren! Auch das Online-Stellen der Habseligkeiten aus den Effektenkammern der KZs seit Oktober zeigt schon Erfolg, so Archivleiter Christian Groh:
"Wir hatten schon in der ersten Woche, nachdem das Portal in den Produktiv-Betrieb ging schon den ersten Besuch aus den Niederlanden und konnten Effekten zurückgeben. Es sind mittlerweile ein knappes Duzend Effekten, die aufgrund dieses Portals zurückgegeben worden sind."
Archivleiter Christian Groh ist nicht hauptsächlich dafür verantwortlich, die Brieftaschen, Fotos oder Taschenuhren zurückzugeben, die man noch in den Beständen hat. Aber:
"Wenn Angehörigen Gegenstände gegeben werden, ist das ein sehr emotionaler Moment. Das ist eine sehr lebhafte Erinnerung an einen Menschen. Und nochmal eine ganz andere Erinnerung, als nur zu wissen, was der Person passiert ist, wirklich Dinge von ihr in der Hand zu haben."
Floriane Hohenberg, die neue Chefin des Internationalen Suchdienstes will die Internet-Zugänglichkeit der 30 Millionen Dokumente nun entschlossen vorantreiben. Ein nötiger und politisch grundsätzlich beschlossener Archivneubau, der hoffentlich nach dem Vorbild des Deutschen Literaturarchivs in Marbach auch Ausstellungsräume bietet, soll dazu dienen, das Dokumentenerbe zu erhalten. Darüber hinaus geht es darum, die in den letzten Jahren – auch wegen neuer Entschädigungsregelungen für noch rund 40.000 überlebende Zwangsarbeiter – wieder stetig steigende Zahl der Anfragen angemessen abarbeiten zu können. Auch im Hinblick auf künftige Generationen, so Floriane Hohenberg:
"Im letzten Jahr hatten wir 25 Prozent mehr Anfragen. Aber die Antworten, die wir geben, müssen mehr in den Kontext gestellt werden. Weil natürlich die Generation, die jetzt Auskunft haben will, weiß ein bisschen weniger. Und zweitens geht es auch darum, diesen Bestand auch wissenschaftlich zu erschließen, das heißt, auch Historikern, Wissenschaftlern Zugang zu den Dokumenten zu geben. Und das heißt, dass wir hier im Haus auch Fachkräfte brauchen, die diese Dokumente präsentieren können."